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       # taz.de -- Neue Apple-Serie „Shantaram“: Vergebung für den guten Weißen
       
       > Der Bestseller „Shantaram“ wurde verfilmt. Die Apple-Serie über einen
       > Kriminellen in Mumbai ist visuell stark, hat aber einen
       > White-Saviour-Drall.
       
   IMG Bild: Ein echt feiner Kerl: Protagonist Lin im Slum
       
       Der Geruch der Stadt ist das Erste, was Lin Ford wahrnimmt, als er 1980 in
       Mumbai, das damals noch Bombay genannt wurde, aus dem Flugzeug steigt. Und
       damit meint er nicht den Duft von indischen Gewürzen oder den Gestank von
       Smog und verschmutzen Gewässern, von dem heute manchmal die Rede ist. Was
       der Protagonist der Serie „Shantaram“ wahrnimmt, die ab dem 14. Oktober bei
       Apple TV+ zu sehen ist, ist vielmehr der Geruch der Hoffnung.
       
       Lin Ford (Charlie Hunnam), der seinen Namen dem neuen, gefälschten Pass
       verdankt, mit dem er zu seiner Reise aufgebrochen ist, ist nicht wie andere
       Weiße [1][nach Indien gekommen, um sich selbst zu finden], sondern um sich
       im Gegenteil zu verlieren. Zu Hause in Australien saß er im Gefängnis, weil
       es bei einem Banküberfall einen Toten gab und er den wahren Täter auch nach
       Folter nicht verraten hat. Nun ist er ausgebrochen, doch die Narben auf
       Körper und Seele sind noch frisch und ein Neuanfang auf der Flucht die
       einzige Chance.
       
       Kaum in Bombay angekommen, freundet er sich mit Prabhu (stark: Shubham
       Saraf) an, der in den Slums wohnt und als Stadtführer sein Geld zu
       verdienen versucht. Doch mindestens genauso schnell zieht es ihn, nicht
       zuletzt dank einer Begegnung mit der geheimnisvollen Karla (Antonia
       Desplat) in die Unterwelt, wo er seine Abende mit ihr, der heroinsüchtigen
       Sexarbeiterin Lisa (Elektra Kilbey) und diversen Gaunern, Gangstern und
       anderen zwielichtigen Gestalten verbringt. Mehr als einmal wird ihm
       bedeutet, dass er sich besser aus dem Staub machen sollte, doch wider
       besseres Wissen schafft Lin, der in seinem früheren Leben ebenfalls
       drogenabhängig und außerdem Philosophie-Student sowie Rettungssanitäter
       war, den Absprung nicht.
       
       Während sich ersteres hier vor allem in bedeutungsschwanger-redundanten
       Off-Kommentaren niederschlägt, gereicht ihm letzteres zum Vorteil, als er
       in Prabhus Nachbarschaft zum Arzt für die Armen wird. Doch da steckt er
       eigentlich schon längst viel zu tief drin in dunklen Machenschaften, in
       denen außer Karla auch diverse Lokalpolitiker, eine deutsche Puffmutter
       (Gabriele Scharnitzky) und nicht zuletzt ein aus Afghanistan stammender
       Mafiaboss (Alexander Siddig) und seine Konkurrenz verwickelt sind.
       
       ## Visuell eindrucksvoll
       
       Der [2][autobiografisch inspirierte Roman „Shantaram“] von Gregory David
       Roberts wurde vor bald 20 Jahren zu einem so großen Bestseller, dass eine
       Verfilmung nur eine Frage der Zeit war. Und dass es nun – statt eines
       Kinofilms mit Johnny Depp, wie ursprünglich geplant – eine 12-stündige,
       unter anderem von Bharat Nalluri inszenierte Serie geworden ist, sagt nicht
       nur viel über die Filmbranche dieser Tage aus, sondern ist der Geschichte
       prinzipiell durchaus angemessen. Die Anzahl der Figuren nämlich ist riesig,
       die Showrunner Steve Lightfood und Eric Warren Singer lassen sich Zeit für
       die Erzählung, und Rückblenden müssen immer wieder natürlich auch sein.
       
       Visuell ist das eindrucksvoll umgesetzt; dass nach einer
       Corona-Unterbrechung (begonnen hatte der Dreh schon Ende 2019) statt in
       Indien in Thailand und Australien weitergedreht werden musste, fällt
       tatsächlich nicht auf. Auch Hunnam ist einmal mehr eine sichere,
       charismatische Bank als Hauptdarsteller, der ja – [3][siehe „Sons of
       Anarchy“] – mit zwiespältigen Protagonisten so seine Erfahrungen hat.
       Schade nur, dass „Shantaram“ sich dann doch an jeder Ecke zu betonen
       bemüht, was für ein feiner Kerl Lin ist, der nur vorübergehend und
       unverschuldet vom rechten Weg abkam und hart um Vergebung und für
       Wiedergutmachung kämpft. Dadurch bekommt die Serie leider auch einen Drall
       in Richtung [4][„White Saviour“-Komplex], der in Kombination mit dem
       exotisierenden Blick keinen angenehmen Beigeschmack hat.
       
       14 Oct 2022
       
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