# taz.de -- Lützerath als Protestsymbol: Bewegung sucht Energie
> Die Klimaaktivist*innen brauchen dringend Erfolge. Doch im Kampf
> gegen den Abriss des Dorfes Lützerath lässt sich nicht viel gewinnen.
IMG Bild: Das Protestplakat behauptet: „Lützerath lebt“ – das stimmt so leider nicht mehr
Für viele schöne Dinge im Leben gibt es ein nicht ganz so schönes, dafür
umso längeres Wort in der deutschen Sprache. Selbstwirksamkeitserfahrung,
zum Beispiel. In anderen Worten: das berauschende Gefühl, das sich
einstellt, wenn man mit dem eigenen Körper eine Straße oder eine Zugstrecke
blockiert. Wenn das, wofür man demonstriert, auch umgesetzt wird.
Die Klimabewegung braucht nach Jahren der Niederlagen einen Erfolg, der ihr
dieses Gefühl zurückgibt. Viele sind frustriert, weil trotz der
Offensichtlichkeit der Klimakatastrophe nichts passiert.
Seit Anfang dieser Woche die NRW-Landesministerin Mona Neubaur gemeinsam
mit Klimaminister Robert Habeck angekündigt hat, [1][dass das Dorf
Lützerath abgerissen wird], weil es auf Braunkohle gebaut ist, hoffen viele
auf neue Energie – nicht für das Stromnetz, sondern für die Bewegung. Auf
die Chance, endlich mal wieder einen Konflikt zu gewinnen. #StandWithLützi,
twittern Luisa Neubauer und andere.
Natürlich gibt es Gründe, die [2][Entscheidung der Grünen] und ihren faulen
Kompromiss mit RWE zu kritisieren: Der frühere und auch nur freiwillige
Kohleausstieg 2030 wäre so oder so gekommen. Die Vorstellung, dass in acht
Jahren noch Braunkohle verstromt werden könnte, ist so oder so absurd.
Gutachten zeigen zudem, dass die Braunkohle unter Lützerath für die
„Versorgungssicherheit“ nicht notwendig ist. Und überhaupt,
Versorgungssicherheit, schon wieder so ein Wort. Als wäre die wichtiger
als, sagen wir, Überlebenssicherheit.
Orte waren für Bewegungen immer wichtig: [3][Gorleben und der Hambacher
Forst] sind zu Symbolen geworden. Hier lassen sich komplexe Konflikte
vereinfachen, kann eine Bewegung gegen die Staatsmacht und Konzerne
gewinnen. Aber eignet sich Lützerath als neues Symbol?
Gorleben wurde über Jahrzehnte zu einem Symbol, lange waren nur ein paar
vermeintliche Kauze gegen Atomkraft. Die Endlagerfrage ist zudem bis heute
ungelöst. Als der Hambacher Forst zum Symbol wurde, regierte in NRW
Schwarz-Gelb und der Kohleausstieg war weit entfernt. Heute ist der
Ausstieg beschlossen und gesellschaftlicher Konsens. Die Klimabewegung
hatte sich deshalb zuletzt auf den Kampf gegen LNG-Gas konzentriert.
Kämpfe um Orte sind Abwehrkämpfe: Das war so in Gorleben, das war so im
Hambacher Forst. Die Bewegung kann wenig gewinnen, wenn sie die Kohlebagger
in Lützerath ein paar Monate aufhält. Sie kann die Kompromisse der Grünen
als faul entlarven, die Klimapolitik der Regierung als ungenügend. Und
dann? Besteht die Gefahr, dass sich die Bewegung an ein verlassenes Dorf
klammert, indem niemand außer ihr selbst ein Symbol erkennen will.
8 Oct 2022
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## AUTOREN
DIR Kersten Augustin
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