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       # taz.de -- Es muss noch viel geredet werden über die Polizei
       
       > Die Rassismusstudie in der Berliner Polizei fällt überraschend aus:
       > Racial Profiling mögen die Wissenschaftler nicht feststellen.
       > Deeskalierende Kommunikation bleibe aber eine Baustelle
       
   IMG Bild: Polizei-Streife im Bahnhof Friedrichstraße: Betroffenen-Verbände, etwa von Schwarzen oder muslimischen Menschen, kritisieren diskriminierende Erfahrungen mit Beamten im Einsatz
       
       Von Plutonia Plarre
       
       Große Erwartungen waren auf die Studie gerichtet, nun ist sie da: Ein Jahr
       lang hatte ein Wissenschaftlerteam des Zentrums Technik und Gesellschaft
       der Technischen Universität Berlin zum Thema Rassismus bei der Berliner
       Polizei geforscht. In einer ersten Reaktion zeigten sich nun sowohl die
       Gewerkschaft der Polizei als auch die Grünen zufrieden – was in dieser
       Einmütigkeit nicht unbedingt selbstverständlich ist.
       
       „Diskriminierungskritische qualitative Untersuchung ausgewählter
       Dienstbereiche der Polizei Berlin“ ist der offizielle Titel der 141 Seiten
       umfassenden Studie. Die Studienleiterin Christiane Howe stellte sie am
       Freitag in den Räumen der Senatsverwaltung für Inneres vor. Den Ansatz, von
       dem die Studie ausgeht, beschrieb Howe so: „Wir alle tragen Rassismus in
       uns“, aber die Polizei habe eine besonders hohe Anforderung, diesen
       kritisch zu reflektieren, weil sie als Behörde mit Gewaltmonopol eine
       besondere Machtstellung hat.
       
       In Auftrag gegeben wurde die Studie 2021 vom damaligen Innensenator Andreas
       Geisel (SPD). Daneben beteiligt sich das Land Berlin auch an einer Studie
       des Bundes zu Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizisten,
       die das Bundesinnenministerium bei der Deutschen Hochschule der Polizei in
       Auftrag gegeben hat.
       
       Bei der Berliner Studie war die Vorgehensweise so, dass Howe und ihre Leute
       zunächst 17 Verbände und Initiativen, die sich mit Rassismus gegen
       Schwarze, Muslime, Roma, Juden und Asiaten befassen, zu
       Rassismuserfahrungen mit der Polizei befragten. Danach beobachteten und
       begleiteten die Wissenschaftler dreieinhalb Monate lang insgesamt rund 150
       Berliner Polizistinnen und Polizisten in fünf verschiedenen Dienststellen
       bei der Arbeit.
       
       Die Sichtweise der Betroffenenverbände ist in der Studie so
       zusammengefasst: Diskriminierungen durch die Polizei finden vor allem bei
       Kontrollen im öffentlichen Raum statt: an den sogenannten
       kriminalitätsbelasteten Orten (kbO) und bei Verkehrskontrollen, aber auch
       bei Konflikten mit dem Sicherheitspersonal im öffentlichen Nahverkehr oder
       in Supermärkten, zu denen die Polizei gerufen wird.
       
       Betroffene hätten geschildert, dass sie von der Polizei „weitaus häufiger
       als Weiße kontrolliert“ werden, heißt es in der Studie. Vor allem, wenn sie
       in einer Gruppe aufträten, hätten Schwarze oder arabische männliche
       Jugendliche das Gefühl, häufiger kontrolliert zu werden als ihre weißen
       Freunde. Betroffene fühlten sich von der Polizei teilweise nicht ernst
       genommen, ihren Erzählungen werde mitunter nicht geglaubt. Auch Anzeigen
       würden zum Teil nicht aufgenommen.
       
       Mit den Polizistinnen und Polizisten wurden keine Interviews geführt. Um zu
       verstehen, „wie sie ticken“, wurden sie von den Autoren der Studie im
       Dienstalltag begleitet. Es sei nicht darum gegangen, etwaige Beamte mit
       einer rechtsextremen Gesinnung herauszufiltern, so Howe am Freitag.
       Vielmehr habe man Schnittstellen aufspüren wollen, die bei der
       Polizeiarbeit Alltagsrassismus beförderten, um dann Lösungsansätze zu
       finden, wie man dem begegnen kann.
       
       In der Studie werden Faktoren wie Stress, Überforderung, aber auch Routine
       als Gründe für mögliches diskriminierendes und abwertendes Verhalten im
       Polizeidienst genannt. Polizeikräfte müssten häufig mit Konfliktlagen
       umgehen, oftmals mit unklarer Gefahrenlage. Häufig hätten sie zunächst
       wenig Informationen über die Lage am Einsatzort – dort aber mit aufgeregten
       Zeugen und Betroffenen zu tun. Für die Beamten sei es eine Herausforderung,
       jede Situation stets neu zu bewerten zu müssen, nicht vorschnell zu
       interpretieren oder zu pauschalisieren. Nicht selten seien sie auch Gewalt
       und Aggression ausgesetzt.
       
       Dass der Begriff Racial Profling nur im Glossar der Studie auftaucht,
       sorgte bei der Vorstellung für Nachfragen. Howe erklärte es damit, dass man
       bei der Begleitung der Beamtinnen und Beamten keine anlassunabhängigen
       Kontrollen beobachtet habe, die allein aufgrund phänotypischer Merkmale und
       einer vermuteten Herkunft der betroffenen Person erfolgt seien. Allen
       beobachteten Kontrollen habe stets ein konkreter Verdachtsmoment zugrunde
       gelegen. „lch würde nicht sagen, dass es Racial Profling nicht gibt, aber
       nicht in der Form, wie es immer kolportiert wird“, so Howe.
       
       Auch nach ihrer Einschätzung des Videos von einem umstrittenen
       Polizeieinsatz in der Wohnung einer syrischen Familie wurde Howe am Freitag
       gefragt. Die Ehefrau wird darin, wie berichtet, von einem der beiden
       Beamten mit den Worten angeschrien: „Das ist mein Land und du bist hier
       Gast.“ Sie könne den Einsatz nicht anhand eines Filmausschnitts bewerten,
       sagte Howe.
       
       Das Vorgehen des Beamten gegenüber dem Ehemann zeige aber, dass der Einsatz
       komplett aus dem Ruder gelaufen sei. „Unsere Erfahrung ist nicht gewesen,
       dass die Polizei in eine Wohnung geht und die Leute dort auf den Boden
       knallt.“ Insgesamt habe sich bei der Polizei schon viel getan. Gerade junge
       Beamtinnen und Beamten seien „hochgradig diskriminierungssensibel“.
       
       Am Ende der Studie geben die Autoren der Polizei Handlungsempfehlungen.
       Insbesondere die Aus- und Fortbildung sei zu verbessern, heißt es. Soziale
       Empathie müsse bei den Auswahlverfahren von künftigen Polizisten ein
       wichtiges Kriterium werden. Themen wie Wert und Haltung zur kolonialen
       Geschichte Deutschlands und ihre rassistischen Kontinuitäten müssten in
       Schulungen und Fortbildungen zu verpflichtenden Inhalten werden, genauso
       wie die Sensibilisierung wegen Diskriminierung und Rassismus.
       
       Die wichtigste Stellschraube sei aber, die Kommunikation und Reflexion zu
       stärken, betonte Howe. „Da ist noch viel Luft nach oben.“ Der Einsatz von
       Sprache sei nicht nur deeskalierend, sondern auch „ein großer Gewinn für
       die Eigensicherung“. An konkreten Maßnahmen empfehlen die Autoren den
       Ausbau von Sprachkursangeboten sowie den Einsatz von Dolmetschern und
       digitalen Übersetzungsdiensten zur besseren Verständigung. Bodycams und die
       Ausstellung von Kontrollquittungen könnten zu mehr Transparenz des
       polizeilichen Handelns führen.
       
       Offen ist, ob es eine Folgestudie geben wird. Die Autoren hatten angeregt,
       die Handlungsempfehlungen im Rahmen einer Folgestudie zu erproben und
       weiterhin wissenschaftlich zu begleiten. Es sei noch keine Entscheidung
       gefallen, teilte die Sprecherin der Innenverwaltung mit. Linke und Grüne
       sind dafür. „Damit wir nicht nur die Analyse, sondern auch Lösungen
       vorantreiben“, erklärte Vasili Franco, innenpolitischer Sprecher der
       Grünen-Fraktion.
       
       10 Oct 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Plutonia Plarre
       
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