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       # taz.de -- Wahl in Brasilien: Lula verpasst Sieg in der ersten Runde
       
       > Der linke Kandidat holt 48,4 Prozent. Der rechtsextreme Amtsinhaber
       > Bolsonaro kommt auf gut 43 Prozent. Nun kommt es zur Stichwahl am 30.
       > Oktober.
       
   IMG Bild: Muss in die zweite Runde: Lula da Silva am Wahlabend mit seiner Frau Rosangela da Silva
       
       Sao Paulo taz | Als Luiz Inácio „Lula“ da Silva um 21:57 Uhr Ortszeit im
       vollbepackten Auditorium vor die Presse trat, hatte er ein Lächeln im
       Gesicht. Doch so richtig wollte in dem schicken Hotel im Zentrum São Paulos
       keine Partystimmung aufkommen. Zwar ging der Politiker der Arbeiterpartei
       als Sieger aus der Präsidentschaftswahl hervor. Doch der erhoffte Sieg in
       der ersten Runde, für den er mehr als 50 Prozent der Stimmen benötigt
       hätte, gelang ihm nicht. Lula holte 48,42 Prozent. Und sein Kontrahent,
       Amtsinhaber Jair Bolsonaro, schnitt mit 43 Prozent ebenfalls stark ab. Alle
       anderen Kandidat*innen lagen abgeschlagen auf den hinteren Plätzen.
       
       Mehr als 160 Millionen Brasilianer*innen waren am Sonntag dazu
       aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu wählen. [1][Analyst*innen
       sprachen von der „wichtigsten Wahl in der Geschichte des Landes“]. Denn mit
       Bolsonaro trat ein Rechtsradikaler zur Wiederwahl an, [2][der sich im
       Dauerkonflikt mit den demokratischen Institutionen befindet], gegen
       Minderheiten hetzt und das Land durch seine zerstörerische Umweltpolitik
       international isoliert hat.
       
       In den Umfragen hatte Bolsonaro deutlich hinter Lula gelegen und kam dort
       zuletzt gerade einmal auf rund 36 Prozent der Stimmen. Dass er nun mehr als
       43 Prozent holte, ist ein Erfolg für den Rechtsradikalen.
       
       So kommt es am 30. Oktober zur Stichwahl zwischen Lula und Bolsonaro – und
       Brasilien steuert auf turbulente Wochen zu. Das Land ist in zwei Lager
       gespalten, das sah man auch am Wahlmorgen. Viele Wähler*innen tauchten
       in den Farben beiden Kandidaten vor den Wahllokalen auf: Die
       Unterstützer*innen von Lula in rot, die Unterstützer*innen
       Bolsonaros in den Nationalfarben grün und gelb. Die befürchteten
       Ausschreitungen blieben aus, es war weitestgehend friedlich.
       
       ## Ein Sieg fast wie eine Niederlage
       
       „Wir wollten eigentlich in der ersten Runde gewinnen“, sagte Eduardo
       Suplicy, Ex-Senator für die PT, am Rande der Wahlparty der taz. „Doch die
       Mehrheit der Brasilianer wird in der Stichwahl für Lula stimmen.“ So
       klangen viele Politiker der Partei. Doch viele einfache Parteimitglieder
       zeigten sich enttäuscht, einige sprachen gar von einer „Niederlage“. Das
       liegt auch am weiteren Wahlausgang.
       
       Denn neben dem Präsidenten wurden auch das Abgeordnetenhaus, Teile des
       Senats, die Lokalparlamente und die Gouverneur*innen gewählt. In vielen
       Bundesstaaten konnten sich Verbündete Bolsonaros durchsetzen. In Rio de
       Janeiro fuhr der von Bolsonaro unterstützte Kandidat Claudio Castro einen
       Erdrutschsieg ein und gewann die Gouverneurswahl in der ersten Runde. In
       São Paulo holt der Bolsonaro-Kandidat Tarcísio Freitas die meisten Stimmen,
       er muss jedoch gegen PT-Politiker und Ex-Präsidentschaftskandidat Fernando
       Haddad in die Stichwahl. Auch bei den Gouverneurswahlen wichen die
       Umfragewerte zum Teil deutlich von den Wahlergebnissen ab.
       
       ## Das Parlament wird diverser
       
       Was vielen Linken Hoffnung bereitet: Im Abgeordnetenhaus werden zukünftig
       deutlich mehr Schwarze, indigene und LGBT-Politiker*innen vertreten sein.
       Im Senat wird das Bild anders aussehen. Dort werden in Zukunft viele
       ultrarechte Politiker*innen sitzen, unter anderem Bolsonaros ehemalige
       Familienministerin, die fundamentalistische Pastorin Damares Alves.
       
       Für die Stichwahl wird es entscheidend sein, wohin die Wähler*innen der
       anderen Präsidentschaftskandidat*innen wandern. Zwar kamen diese
       zusammen noch nicht einmal auf 10 Prozent der Stimmen, sie könnten jedoch
       das Zünglein an der Waage sein.
       
       Sowohl der Mitte-Links Kandidat Ciro Gomes als auch die Konservative Simone
       Tebet versprachen noch am Wahlabend, sie würden sich nicht enthalten. Es
       wird damit gerechnet, dass beide eine Wahlempfehlung für Lula abgeben
       werden. Bolsonaro könnte wiederum von den Siegen bei den Gouverneurswahlen
       in Rio de Janeiro und São Paulo profitieren. Außerdem könnte ihm das
       überraschend hohe Wahlergebnis ein Momentum verschaffen, glauben
       Analyst*innen.
       
       Und es ist weiterhin damit zu rechnen, dass er die Ergebnisse anfechten
       wird, wenn er in der Stichwahl nicht gewählt wird. Bei seiner ersten Rede
       nach der Wahl hielt sich Bolsonaro zurück, verkündete, er werde in den
       kommenden Wochen arme Brasilianer*innen überzeugen und die Stichwahl
       in vier Wochen für sich zu entscheiden.
       
       Auch Lula gab sich siegessicher. „Für uns ist das nur eine Nachspielzeit“,
       sagte er bei seiner kurzen Rede. „Aber wir werden die Wahl gewinnen“. Und
       dann ergänzte der für seinen Humor bekannte Ex-Gewerkschafter noch: „Es tut
       mir leid, ihr Journalisten müsst jetzt doch noch ein bisschen mehr
       arbeiten.“
       
       3 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
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   DIR Niklas Franzen
       
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