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       # taz.de -- taz-Serie Nachtzugkritik: Frische Trauben am Bahnsteig
       
       > Wer den Zug von Istanbul nach Bukarest nimmt, sollte viel Geduld und
       > Zuversicht mitbringen. Dann aber kann die Fahrt zu einem tollen Erlebnis
       > werden.
       
   IMG Bild: Blick aus dem Bosporus-Express von Istanbul nach Bukarest
       
       Bukarest taz | Von Istanbul hat man nur eine Möglichkeit, mit dem Zug in
       den Westen zu kommen: den Bosporus-Express, der sich auf der Hälfte der
       Strecke Richtung Sofia und Bukarest teilt. „Express“ ist bei diesem Zug
       allerdings übertrieben: Über 20 Stunden sind für die Strecke von knapp 750
       Kilometern nach Bukarest eingeplant. Zum Vergleich: Für die Strecke
       Hamburg-München mit ähnlicher Entfernung braucht der ICE zwischen 6 und 8
       Stunden. Allerdings gehören zur Strecke auch zwei Grenzübergänge, die nicht
       ganz zum Schengenraum gehören.
       
       Dafür kommt man mit dieser Verbindung für umgerechnet 50 Euro inklusive
       Bettreservierung im Vierer-Liegewagenabteil nach Bukarest. Andere Optionen
       gibt es nicht: Der Zug teilt sich in Bulgarien und nur der eine Wagen mit
       Vierer-Liegeabteilen fährt weiter Richtung Rumänien.
       
       Online ist diese Verbindung nicht leicht zu finden: Internationale
       Bahnseiten zeigen den Zug kaum an und sowohl die rumänische als auch die
       türkische Buchungsseite streiken regelmäßig. Vor Ort ist es dafür sehr viel
       einfacher: Obwohl nur ein Wagen täglich in den Sommermonaten diese Strecke
       fährt, scheint der Zug nie ausgebucht. Im September kann man auch am selben
       Tag noch einfach ein Ticket am Schalter an der Istanbuler Station Sirkeci
       im Zentrum bekommen.
       
       ## Die Fahrtbedingungen schweißen zusammen
       
       Der Zug fährt allerdings nicht in Sirkeci ab, sondern in Halkalı am
       westlichen Rand Istanbuls – Endstation der Marmaray-Bahn. Dort trifft man
       bereits die ersten Mitreisenden, die alle nach dem Zug suchen, denn an
       Anzeigetafeln mangelt es. Eigentlich aber nur durch eine Gepäckkontrolle
       und steht schon am Zug.
       
       Dass nur ein Wagen nach Bukarest fährt, heißt auch: Nur eine Sitz- und eine
       Hocktoilette und ein Waschraum für alle. Der Waschraum ist allerdings mit
       Putzutensilien vollgestellt; nicht sonderlich luxuriös das ganze, aber es
       erfüllt den Zweck. Zur Sicherheit sollte man sich extra Klopapier und
       Desinfektionsmittel mitnehmen. Und den Klogang möglichst früh planen, denn
       sie riechen immer unangenehmer, je weiter die Zeit im Zug voranschreitet.
       
       Die unschlagbar günstige Zugfahrt zieht nicht nur Backpacker an, sondern
       auch Passagiere aus Rumänien und Bulgarien, die die Strecke öfter zu fahren
       scheinen. Eine Familie aus drei Generationen verteilt sich auf mehrere
       Abteile und hat sogar an Töpfchen für die Kinder gedacht.
       
       Die lange Fahrt und eine gemeinsame Nacht schweißen zusammen: Hier kommt
       man mit Mitreisenden viel eher ins Gespräch als im Großraumwagen eines ICE
       nach München. Da kann man die Zeit gut mit einem Austausch über
       Reiseerlebnisse verbringen und mit Glück findet man Leute, die sich auf der
       Strecke auskennen.
       
       Die Vierbettabteile bieten gerade genug Platz für Koffer und Personen, wenn
       sie voll besetzt sind. Die Sitze könnten gemütlicher sein und sind nicht
       für Menschen mit langem Rücken gemacht. Dafür werden die Betten später auf
       die Sitze geklappt und haben sogar richtige Matratzen. Frische Bettwäsche
       bringt der Schaffner vorbei. Das Rollo vorm Fenster und der Vorhang vor der
       Tür schirmen die Lichter von draußen eher weniger ab, da ist einem mit
       einer Schlafmaske gut geholfen. Voll ist der Zug aber anscheinend nie und
       ein gnädiger Schaffner lässt einen auch mal trotz Reservierung in ein
       leeres Abteil wechseln. Türkischkenntnisse helfen dabei.
       
       ## Erste Kontrolle in der Nacht
       
       Eine ruhige Nacht hat man allerdings auch allein im Abteil nicht: Für 01:28
       Uhr ist die erste Grenzkontrolle angesetzt. Wer jetzt denkt, bis dahin wach
       zu bleiben sei die beste Lösung, liegt aber falsch: Dies ist nur die erste
       Grenzkontrolle, und wir sind nicht im Schengenraum, das heißt: Bis 5:56 Uhr
       wird man immer wieder von Pass-, Zoll- und Ticketkontrollen geweckt. Die
       längste Zeit für Schlaf in der Nacht, liegt um die Zeit also schon hinter
       einem. Und mit Pünktlichkeit sollte hier sowieso niemand rechnen: 01:28 ist
       zwar laut Plan Ankunft am Grenzbahnhof, tatsächlich geht die Passkontrolle
       aber erst um 02:00 Uhr los.
       
       An der türkischen Grenze müssen alle Passagiere aussteigen und verschlafen
       ihre Pässe den Beamten im Büro vorzeigen. Wer schnell aussteigt, wird auch
       schnell kontrolliert und kann den Rest der Wartezeit wieder im Zug
       verbringen. Oder deckt sich am Grenzimbiss noch mit Sandwiches, Bier und
       Kaffee für die Fahrt ein. Ein Bordbistro oder Trinkwasser gibt es im Zug
       nämlich nicht.
       
       Die bulgarischen Grenzbeamt*innen lassen die Passagiere dagegen nicht
       aussteigen, sondern sammeln um 04:24 Uhr morgens lieber ihre Pässe ein. Das
       heißt, man kann liegen bleiben, muss aber auch darauf warten, dass man den
       eigenen Pass wieder zurückbekommt. Bis 05:41 dauert das.
       
       ## Verspätungen gehören einfach dazu
       
       Die lange Zugfahrt heißt aber, dass die Weiterreisenden den Schlafmangel
       von der Nacht noch am Tag nachholen können. Erst am Vormittag kommt
       wirklich wieder Leben unter den Passagieren auf. Der Zug aber zuckelt
       weiter in sehr gemütlichem Tempo durch die Landschaft. Immer wieder bleibt
       er an einem verlassenen Bahnhof stehen, wird umrangiert oder von
       Bahnpersonal überprüft.
       
       Im bulgarischen Gorna Orjachowiza dauert das am frühen Nachmittag eine
       ganze Weile. Gut, wer sich da auskennt oder etwas traut: Über die Gleise
       kann man einfach mal eben gegenüber zum Imbiss laufen und lernt dann auch
       noch den Bahnhofsvorsteher kennen, der ausländische Touristen gerne mit
       frischen Weintrauben aus seinem Garten versorgt. Eine Ansage, wie lange der
       Zug wo stehen bleibt gibt es genauso wenig wie Informationen zur
       Verspätung. So rollt der Zug plötzlich langsam davon, während ein paar
       Passagiere noch auf dem Bahnsteig stehen. Der Schaffner winkt lächelnd, der
       Bahnhofsvorsteher steht weiter gelassen neben den Passagieren am Bahnsteig.
       Denn schon kommt der Zug zurück – er hatte nur das Gleis gewechselt.
       Gemütlich führt der Bahnhofsvorsteher über die Gleise zurück zum Zug, bevor
       dieser tatsächlich weiterfährt.
       
       Den Rest der Fahrt verstreicht mit Beobachtungen der Landschaft und Leute
       an den Bahnhöfen, mit dem Austausch von Reisegeschichten mit Mitreisenden,
       spielen, lesen und essen, aber mit wenig Zeit am Handy, weil der Zug keinen
       Strom zum Laden hat. Als der Zug nach fast 22 Stunden mit etwa anderthalb
       Stunden Verspätung um etwa 18:30 Uhr in die Gara de Nord von Bukarest
       einrollt, stehen die meisten Passagiere schon ungeduldig vor der Tür,
       während andere noch ihr Kartenspiel beenden. Am besten achtet man hier gar
       nicht auf Verspätungen – sie gehören sowieso dazu.
       
       Ja, 20 Stunden Zugfahrt sind lang. Aber mit etwas Glück und den richtigen
       Mitreisenden vergeht die Zeit trotzdem fast wie im Fluge, nur besser: Man
       erlebt noch etwas von Land und Leuten und kann sich langsam wieder auf
       einen neuen Ort einstellen.
       
       19 Dec 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jelena Malkowski
       
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