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       # taz.de -- Ex-Aktivistin Antje Grothus zu Lützerath: „Es gibt Emotionen, gerade bei mir“
       
       > Antje Grothus kämpfte gegen den Kohleabbau, nun ist sie Abgeordnete im
       > NRW-Landtag. Sie weiß nicht, ob sie eine Räumung von Lützerath aushalten
       > könnte.
       
   IMG Bild: Hier hat Antje Grothus lange gegen den Kohleabbau gekämpft: Lützerath im rheinischen Revier
       
       taz: Frau Grothus, vom gemeinsamen Beschluss grüner MinisterInnen und des
       RWE-Chefs am Dienstag, [1][Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier fallen
       zu lassen], waren alle überrascht. Wie kontrovers waren denn vorher die
       Debatten zwischen Abgeordneten und Ministerien? 
       
       Antje Grothus: Ich stand immer im Austausch mit dem Wirtschaftsministerium
       und auch mit Ministerin Mona Neubaur selbst, habe meine Position und
       Haltung zu Kohleausstieg und nachhaltigem Strukturwandel zum Ausdruck
       gebracht. Dass es Gespräche mit RWE gibt, wussten alle. Dass das
       vertrauensvoll geschieht, kann ich verstehen. Aber über das Ergebnis sind
       alle Abgeordneten auch erst per Videokonferenz am frühen Dienstagmorgen
       informiert worden. Gleich gebe es eine [2][Pressekonferenz].
       
       Also fast Geheimpakt von oben? 
       
       Der Zeitpunkt hat mich sehr überrascht. In der Woche vorher hatte ich mir
       noch in einem Interview einen möglichst transparenten Prozess auf der Basis
       von Gutachten und unter Beteiligung der Betroffenen gewünscht.
       
       Klingt etwas enttäuscht. Wie fühlt es sich an zwischen Baum und Borke? 
       
       Das Endkapitel der Braunkohle zu schreiben ist eine riesige Aufgabe. Es
       gibt eine Faktenlage. Und es gibt Emotionen, gerade bei mir nach all den
       Jahren am Hambi. Ich war sehr überrascht, wie schnell es plötzlich diese
       Verständigung gab. Aber es ist wichtig, dass es jetzt Sicherheit für die
       fünf anderen Dörfer und die Feldhöfe am Rand von Lützerath gibt. Und dass
       es Rückkäufe der Umgesiedelten in den fünf Dörfern geben kann, auch im
       Tagebau Hambach in Morschenich.
       
       Braucht der Deal parlamentarische Zustimmung? 
       
       Zunächst mal in Berlin, ja. Weil es um den Beschluss geht, im
       Kohleverstromungsbeendigungsgesetz den Ausstieg von 2038 auf 2030
       vorzuziehen.
       
       Und im Landtag? 
       
       Nach meinen Informationen nicht.
       
       Wird oder würde die Volksvertreterin Antje Grothus zustimmen? 
       
       Kann ich noch nicht sagen. Dazu müsste ich erst alle Gutachten
       durcharbeiten. Und ich weiß nicht, ob ich eine Räumung von Lützerath
       aushalten könnte. Dafür bin ich in die Konflikte über die vielen Jahre zu
       sehr involviert. Die letzte Räumung im Hambacher Wald hat sogar ein
       Menschenleben gekostet. Ich tue mich unendlich schwer zu sagen, wir
       beginnen das letzte Kapitel der Braunkohle mit einer Räumung.
       
       Vielerorts liest man nun von desaströser grüner Politik. von grün
       lackierter FDP. Was sagen Sie solchen Leuten? 
       
       Ich bin erst im vergangenen Jahr bei den Grünen eingetreten, weil ich die
       Debattenkultur, diese Art Basisdemokratie, immer als bereichernd empfunden
       habe. Und weil ich als Aktivistin erlebt habe, dass es da eine große
       Offenheit gibt. Weiter wählbar? Das kann nur jeder persönlich entscheiden.
       Als Katholikin habe ich auch intensiv überlegt, ob ich noch Kirchenmitglied
       bleiben kann, auch wegen der einseitigen Politik der Kirche gerade hier in
       den Braunkohledörfern: Kirchenverkäufe, die Abrisse. Ich bin nicht
       ausgetreten, weil ich intern die fortschrittlichen Kräfte wie zum Beispiel
       Maria 2.0 stärken will.
       
       [3][Naturführer Michael Zobel], Ihr jahrelanger Weggefährte im Kampf gegen
       RWE, hat am Donnerstag seinen Austritt nach bald 20 Jahren aus der grünen
       Partei erklärt. 
       
       Ich habe am Mittwoch noch mit ihm telefoniert. Da hat er mir seine
       Entscheidung mitgeteilt.
       
       Zobel schrieb, er fühle sich betrogen durch die „unsägliche und beschämende
       Pressekonferenz“ mit dem RWE-Chef. Der „angeblich vorgezogene“
       Kohleausstieg sei erkauft durch die Verbrennung weiterer 280 Millionen
       Tonnen und die Laufzeitverlängerung von Kraftwerken, Lützerath sei ein
       Bauernopfer. Harter Tobak? 
       
       Das ist Michaels Sichtweise. Aber bitte: Formulierung wie „angeblich
       vorgezogen“ finde ich schwierig. In einer Zeit, in der Ewiggestrige trotz
       der Klimakatastrophe eine Rolle rückwärts machen wollen mit der
       Kohleverstromung bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag, habe ich für einen
       definitiven Kohleausstieg 2030 Respekt, auch vor Mona Neubaur und Robert
       Habeck selbst.
       
       In der Vereinbarung ist eine Option auf Kohleverbrennung bis 2033 als
       „Sicherheitsbereitschaft“ offengehalten. Den Ausstieg 2030 halten deshalb
       einige für einen „Taschenspielertrick“. Stimmt das?
       
       Nein. Keine Frage, dass ich die kostenbasierte Reserve kritisch sehe. Aber
       es zählt, was insgesamt emittiert wird, und ich verstehe die Vereinbarung
       so, dass die maximale Gestaltung des Tagesbaus und damit die Kohlemenge
       begrenzt ist unabhängig von der konkreten Jahreszahl.
       
       Was soll nun mit RWE passieren? 
       
       Aus meiner Erfahrung in der Region weiß ich, dass Energieversorgung
       verantwortungsbewusst gesichert sein muss. Deshalb sehe ich die
       Abhängigkeit von diesem wirklich nicht vertrauenswürdigen Energiekonzern
       sehr kritisch. Wichtig ist, dass in der Vereinbarung jetzt der Rest des
       Hambacher Waldes in eine Stiftung mit Landesbeteiligung überführt werden
       soll. Da werde ich dran ziehen und arbeiten.
       
       7 Oct 2022
       
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