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       # taz.de -- 10 Jahre Besetzung des Oranienplatzes: Berlin wird sie nicht mehr los
       
       > Die ProtagonistInnen der Oranienplatzbesetzung, die vor zehn Jahren
       > begann, sind medial nicht mehr präsent – aber ihre Arbeit geht weiter.
       > Zum Glück.
       
   IMG Bild: Im Oktober 2012 wurde der Oranienplatz für anderthalb Jahre zum Camp mitten in der Stadt
       
       Was ist geblieben nach 10 Jahren Oranienplatz? In dieser Woche erinnern die
       ehemaligen Besetzer*innen an eine eigentlich unglaubliche Tat, die
       viele sicher längst vergessen haben und von der andere, jüngere, womöglich
       gar nichts wissen: Hundert Geflüchtete aus ganz Deutschland waren – unter
       Missachtung geltender Gesetze wie Residenzpflicht – am 6. Oktober 2012
       [1][nach einem langen Marsch aus Würzburg in Berlin angekommen], um gegen
       die deutsche und europäische Asylpolitik zu protestieren.
       
       Eine Politik, die sie in Lager sperrt, wo sie – oft für Jahre – zur
       Untätigkeit verdammt sind und als Menschen zweiter Klasse leben müssen;
       eine Politik, die Asyl fast nach Belieben zu vergeben oder zu verwehren
       scheint und sogar [2][aktuell nach Iran] abschiebt. Eine Politik, die an
       ihren Außengrenzen tausende Tote produziert und sich zugleich für ihre
       „Willkommenspolitik“ gegenüber Syrer*innen – aktuell Ukrainer*innen –
       als besonders humanitär feiert.
       
       Ausgehend vom Oranienplatz legte die widerständige Flüchtlingsbewegung
       damals über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren die Grausamkeiten,
       Widersprüche und Verdrängungsmechanismen dieser Politik offen – und war mit
       ihrer Präsenz mitten in der Stadt ein ständiger Pfahl im Fleische der
       Mehrheitsgesellschaft. Nicht einmal die Grünen im vermeintlichen
       Hippie-Bezirk mochten bei den Forderungen der Geflüchteten mitgehen.
       Natürlich hieß es damals, man könne sie nicht erfüllen, man sei ja „leider,
       leider“ nicht an der Regierung. Heute, wo die Grünen in Land und Bund
       mitregieren, wissen wir, dass das in Punkto Asyl, Abschiebungen,
       EU-Außengrenzen keinen Unterschied macht.
       
       Was aber ist geblieben von der Refugee-Resistance-Bewegung? Zunächst einmal
       hat das Jubiläum gezeigt: Es gibt sie noch. Viele Akteur*innen von
       damals haben, auch wenn sie vom Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit
       weitgehend verschwunden sind, nie aufgehört mit ihrer Arbeit: Sie
       [3][machen Radio], [4][helfen einander], organisieren sich – kurz: sie
       haben nicht aufgegeben, allein das ist ermutigend.
       
       ## Neues Betätigungsfeld
       
       Im Zuge des Jubiläums wurde auch deutlich: Die Bewegung hat ein neues Thema
       und Betätigungsfeld gefunden – die BIPoC-Geflüchteten aus der Ukraine. Dass
       die Schwarzen Geflüchteten aus dem Krieg in Deutschland rechtlich
       schlechter gestellt sind als die Ukrainer, die sofort Aufenthaltserlaubnis
       und Arbeitsmöglichkeit bekommen, wurde in den Reden der Aktivist*innen
       diese Woche zurecht immer wieder beklagt. Und es ist kein Wunder, dass die
       Schwarzen Aktivist*innen dahinter denselben Rassismus am Werk sehen,
       der auch ihnen das Leben schwer macht.
       
       Denn tatsächlich war ja in den letzten Monaten wiederholt zu hören und zu
       lesen, dass man die Ukrainer*innen gerne aufnehme, da sie „wie wir“
       seien. Ob dies stimmt, sei mal dahin gestellt. Fest steht, dass es kein
       Argument ist, in Kriegszeiten, wo es um den Schutz von Menschenleben geht,
       schon gar nicht. Dennoch ist der öffentliche Aufschrei gegen die
       Ungleichbehandlung der BIPoCs aus der Ukraine bis heute ausgeblieben.
       
       Umso wichtiger ist es, dass die Oranienplatz-Leute und ihre Netzwerke – vom
       [5][International Women Space], der auch die 10-Jahres-Feier auf die Beine
       gestellt hat, über die [6][“Schlafplatz-Orga“] bis zum Projekt [7][CUSBU] –
       sich um die „Neuen“ kümmern und ihr Wissen um die deutschen Zustände,
       Grenzen und Möglichkeiten weitergeben. Und damit der nächsten Generation
       von Schwarzen Geflüchteten eine Perspektive geben. Damit am Ende auch sie
       die alte Botschaft vom Oranienplatz weitertragen: „You can't evict a
       movement.“ Frei übersetzt: Ihr könnt machen, was ihr wollt, ihr werdet uns
       nicht los. Gut so!
       
       9 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
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