# taz.de -- Dritter Jahrestag des Halle-Anschlags: Gedenken im Marathontrubel
> Vor drei Jahren griff ein Attentäter die Synagoge in Halle an.
> Initiativen kritisieren, dass das Gedenken parallel zu einem Marathon
> stattfindet.
IMG Bild: Am dritten Jahrestag des Angriffs auf die Synagoge,, findet in Halle ein Marathon statt
BERLIN taz | Um 12.03 Uhr am Sonntag soll es still werden in Halle. Zu dem
Zeitpunkt, als [1][vor drei Jahren ein Attentäter die Synagoge in der Stadt
attackierte], am jüdischen Feiertag Jom Kippur. Der Rechtsextremist
scheiterte an der Eingangstür, aber er erschoss eine Passantin, Jana Lange,
und im nahen Kiezdöner einen Gast, [2][Kevin Schwarze]. Auf seiner Flucht
schoss der Angreifer auf weitere Personen und verletzte diese schwer. Die
Tat bleibt ein antisemitisches und rassistisches Fanal, bis heute.
An das Attentat soll am Sonntag an der Synagoge gedacht werden,
Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) reist an. Gleichzeitig soll um
12.03 Uhr stadtweit innegehalten werden: Der Verkehrsverbund Havag will
seine Fahrzeuge stoppen, Kirchenglocken sollen läuten, eine Andacht in der
Marktkirche wird folgen.
Ob es aber wirklich still wird, ist fraglich. Denn gleichzeitig wird in der
Stadt der Mitteldeutsche Marathon stattfinden – was mehrere
zivilgesellschaftliche Initiativen, der Evangelische Kirchenkreis, die
Freiwilligenagentur und die Mobile Opferberatung deutlich kritisieren.
„Gedenken, Anteilnahme, Innehalten und Solidarität zur gleichen Zeit und
ein großes, lautes Sportereignis in der Mitte der Stadt passen nicht
zusammen“, heißt es in einer [3][gemeinsamen Mitteilung]. Umso mehr, da der
Marathon auch über den Marktplatz führen werde, wo in den vergangenen
Jahren tausende Menschen Blumen und Kerzen im Gedenken an Anschlag
ablegten.
## Stadt und jüdische Gemeinde weisen Kritik zurück
Dass kein anderes Datum für den Marathon gefunden werden konnte, sei „kaum
nachvollziehbar“, kritisieren die Initiativen. Dabei habe man sich seit dem
Frühjahr über den Gedenktag ausgetauscht. In der letzten Sitzung habe die
Stadt „überraschend“ den Marathonplan bekanntgegeben. Nun sei ein Verzicht
auf Musik und einer Kommentierung des Marathons im Gedenkzeitraum zwischen
12 und 13 Uhr „ein erwartbares Minimum“.
Die Stadt verteidigt sich. Der Marathon sei seit Monaten bekannt, erklärt
diese auf taz-Anfrage. Mit den jüdischen Gemeinde habe man vereinbart, dass
das Gedenken diesmal vor allem an der Synagoge stattfinden werde. Auch an
anderen Orten werde es Möglichkeiten geben, an dem Tag „angemessen zu
gedenken“.
Zudem hätten die Marathonveranstalter versprochen, ihre Lautstärke während
der Gedenkminute und der Andacht in der Marktkirche „stark“ zu drosseln und
den Marktplatz bis zum späten Nachmittag zu räumen. Dann sei am Abend auch
dort ein „individuelles Gedenken und Erinnern“ möglich.
[4][Max Privorozki], Vorsteher der jüdischen Gemeinde, springt der Stadt
bei. Er habe mit dem Marathon „überhaupt kein Problem“ und verstehe die
Aufregung nicht, sagte er der taz. „Das Leben geht doch weiter. Menschen
treiben Sport, heiraten, bekommen Kinder, gehen ins Kino, feiern
Geburtstage – auch an Gedenktagen.“ Auch die jüdische Gemeinde werde am
Sonntagabend den Beginn des Laubhüttenfestes feiern.
## Der Kiezdöner ist geschlossen – noch?
Privorozki appellierte, den Jahrestag „nicht zu politisieren“. Es gebe
genügend Gelegenheiten, außerhalb dieses Tages Kritik zu üben oder sich mit
der menschenfeindlichen Ideologie des Täters auseinanderzusetzen. Der
Sonntag aber müsse „wirklich ein Tag des Gedenkens an die Mordopfer und die
Schwerverletzten bleiben“, forderte Privorozki. An diesem Tag wolle man an
diese erinnern und beten.
Die Initiativen, die ebenfalls in Kontakt mit Anschlagsbetroffenen stehen,
sehen aber ein grundsätzliches Problem: Der Umgang mit dem Gedenken sei
„ein Zeichen dafür, dass sich die Tragweite des Anschlags immer noch nicht
ausreichend im städtischen Gedächtnis manifestiert hat“, kritisieren sie.
Das Bündnis Halle gegen Rechts fordert künftig „ein offenes Angebot an alle
Angehörigen, Überlebenden und Betroffenen des Anschlags, die Gestaltung des
Jahrestags mitzubestimmen, anders als in diesem Jahr“.
Außer an der Synagoge wollen sich am Sonntagnachmittag Betroffene des
Anschlags auch zu einer Kundgebung vor dem [5][Tekiez, dem früheren
Kiezdöner], treffen. Angekündigt sind auch Betroffene weiterer
rechtsextremer Anschläge in Deutschland. Man stehe „in Solidarität und
Verbundenheit mit allen Betroffenen rechter Gewalt“, heißt es [6][in einem
Aufruf].
Das Tekiez, das als Frühstückscafé neu eröffnete, [7][musste im Mai
schließen]. Nach dem Anschlag blieben Gäste aus, die Corona-Pandemie wurde
zur zusätzlichen Belastung. Das Lokal besteht aber als Veranstaltungsraum
fort und hofft derzeit auf eine staatliche Förderung als Gedenk- und
Erinnerungsort.
7 Oct 2022
## LINKS
DIR [1] /Lebenslange-Haft-fuer-Halle-Attentaeter/!5735260
DIR [2] /Prozess-zum-Nazi-Anschlag-von-Halle/!5709776
DIR [3] https://www.halle-gegen-rechts.de/service/462-initiativen-kritisieren-zusammentreffen-von-anschlagsgedenken-und-mitteldeutschem-marathon-am-9-oktober-und-informieren-%C3%BCber-ihre-aktivit%C3%A4ten-zum-9-10.html
DIR [4] /Jahrestag-des-Halle-Anschlags/!5806778
DIR [5] /Cafe-Tekiez-in-Halle/!5855524
DIR [6] https://www.instagram.com/p/CjIPhUBMvRB/
DIR [7] /Anschlagsopfer-von-Halle-geben-auf/!5853569
## AUTOREN
DIR Konrad Litschko
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