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       # taz.de -- Prozess zur Neuköllner Terrorserie: Jetzt ist Feuer im Prozess
       
       > Die Betroffenen Ferat Kocak und Heinz Ostermann wurden als Zeugen
       > vernommen. Gegen die angeklagten Neonazis häufen sich die Indizien.
       
   IMG Bild: Ferat Kocak bei einer Kundgebung zum Beginn des Neuköllner Nazi-Prozesses
       
       Berlin taz | Der [1][Prozess] um die [2][rechtsextreme Terrorserie mit mehr
       als 70 Straftaten in Neukölln] ist am Montag in die entscheidende Phase
       getreten. Als Zeugen vernommen wurden der Linken-Abgeordnete Ferat Kocak
       und der Buchhändler Heinz Ostermann. Beiden wurde in der Nacht zum 1.
       Februar 2018 die Autos vor ihren Wohnhäusern angezündet – es sind jene
       Straftaten, die vor dem Amtsgericht Tiergarten hauptsächlich verhandelt
       werden.
       
       Die angeklagten hauptverdächtigen Neonazis Sebastian T. und Tilo P. hatten
       den Schilderungen der Geschädigten regungslos gefolgt. Doch nach dem Ende
       der Verhandlung wendete sich T. auf dem Flur mit aufgesetzter
       Freundlichkeit an den Buchhändler und sagte: „Tschüss, Herr Ostermann“. Auf
       dessen Erwiderung „Man sieht sich“, murmelte T. noch etwas hinterher, das
       sich – auch für Ostermann – anhörte wie: „Wir wissen ja, wo du wohnst.“ Die
       Intention der Drohung zumindest war offensichtlich. Womöglich hatte sich T.
       von Ostermann provozieren lassen, der noch im Gerichtssaal zu den beiden
       Angeklagten gesagt hatte: „Ihr seid nicht deutsch. Ihr seid feige, ihr seid
       heimtückisch.“
       
       In der Verhandlung hatte Ostermann geschildert, wie ihm zunächst 2016 die
       Scheiben seines Buchladens eingeschmissen wurden, dann im Januar 2017 ein
       erstes Auto und ein Jahr später dann auch der Ersatzwagen abgefackelt
       wurden. Später fand sich noch ein NPD-Aufkleber mit dem Bild seines Ladens.
       „Sie zielen darauf, dass bestimmte Menschen wie ich die Schnauze halten
       sollen“, so Ostermann. Gelungen ist das nicht: Er ist noch aktiver
       geworden, hat die Initiative „Rudow empört sich“ gegründet und sagt, die
       Anschläge hätten seinen „Ehrgeiz angestachelt“.
       
       Im Ergebnis ist es bei Ferat Kocak auch so. Seine Arbeit als
       Marketingdirektor einer Hochschule konnte er nach dem Anschlag aufgrund von
       Konzentrationsschwierigkeiten nicht weiterführen, ebenso wenig einen
       Nachfolgejob. Kocak suchte sich Arbeit, bei der er das Erlebte aktiv
       verarbeiten kann, erst als Campaigner für Antirassismus, seit vergangenem
       Jahr als Abgeordneter. Gleichwohl bedeutet die Brandstiftung, die um ein
       Haar auf das Haus, das er mit seinen Eltern bewohnte, übergriff, für ihn
       selbst: „Nichts wird wieder wie vorher.“ Kocak lässt sich
       psychotherapeutisch behandeln, wechselt noch immer regelmäßig seine
       Schlaforte.
       
       ## Noch mehr Taten geplant?
       
       Seine Anwältin Franziska Nedelmann – Kocak ist Nebenkläger im Prozess –
       verwies noch auf mehrere Nachrichten, die die Angeklagten per WhatsApp
       ausgetauscht haben sollen. So habe P. vor dem Anschlag einen
       Gesinnungsgenossen nach dem Namen von Kocak gefragt und geschrieben:
       „Würdest du die Kanaken wiedererkennen?“ An Sebastian T. soll er eine
       Nachricht mit Kocaks Autokennzeichen gesendet haben. Zudem standen auf
       einem Zettel, der sich im Oktober 2018 bei T. auffand, Angaben zum Auto und
       Nummernschild von Ostermanns zweitem Auto.
       
       Für P. dürfte auch ungemütlich werden, dass Ermittler nun sein Handy
       ausgewertet und darauf 43 Suchanfragen mit dem Namen der Oberstaatsanwältin
       gefunden haben. Die Ex-Freundin seines Bruders soll laut eines
       B.Z.-Berichts bei der Polizei ausgesagt haben, dass P. vorhatte, die
       Staatsanwältin umzubringen.
       
       Am 14. November soll zudem der Neonazi Maurice P. als Zeuge gehört werden,
       der derzeit ebenfalls wegen einer rassistischen Attacke auf einen
       Jamaikaner vor Gericht steht. Tilo P. hatte sich im vergangenen November
       mit Maurice P. eine Zelle in Moabit geteilt. Dort soll er zu diesem gesagt
       haben, dass man ihm „[3][jetzt auch noch wegen der anderen Sachen was
       anhängen“ wolle], dabei habe er „nur Schmiere“ gestanden. Die Ankläger
       werteten dies als Teilgeständnis.
       
       Der Inhalt der Rede entstammt der „verdeckten technischen Maßnahme eines
       Nachrichtendienstes“, hatte Generalstaatsanwalt Dirk Feuerberg zuletzt
       klargestellt – und damit dem Vorwurf widersprochen, Maurice P. sei bewusst
       als Spitzel eingesetzt oder gar mit Haftverschonung belohnt worden.
       Anwältin Nedelmann stellte am Montag einen Antrag, der umfassende Einsicht
       in die Tätigkeit des Verfassungsschutzes fordert.
       
       In den vergangenen Wochen ging es in dem Ende August gestarteten Prozess um
       eine Serie von Propagandadelikten: das Anbringen von mehreren Dutzend
       Aufklebern und Schriftzügen im Juli und August 2017 mit Bezug auf eine
       angebliche Tötung des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß und gesprühter
       Todesdrohungen an den Wohnadressen dreier Antifaschist:innen. Hieran sollen
       neben den beiden Hauptverdächtigen drei weitere Neonazis beteiligt gewesen
       sein, die zunächst mit angeklagt waren.
       
       Die Verfahren gegen zwei Beschuldigte wurden frühzeitig abgetrennt. Einer
       war krank, gegen einen anderen war wegen Sachbeschädigung in zwei Fällen
       eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15 Euro per Strafbefehl ergangen.
       Die Beweisaufnahme hatte dann auch die Schuld des Mitangeklagten Samuel B.
       ergeben. Er wurde wegen Sachbeschädigung in neun Fällen zu 150 Tagessätzen
       à 30 Euro verurteilt – die Staatsanwaltschaft hatte acht Monate
       Gefängnisstrafe beantragt. Noch im Gerichtssaal hatte sich sein Anwalt, der
       Naziszene-Verteidiger Wolfram Narath, den Vorwurf des Mordes an Heß zu
       eigen gemacht und von „Gesinnungsjustiz“ gesprochen.
       
       24 Oct 2022
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
       
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