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       # taz.de -- „Instant Fiction“ im ZDF: Spiegel des Jetzt
       
       > Die „Instant“-Serie „Himmel und Erde“ erzählt Geschichten über
       > Ukrainer*innen in Deutschland. Hochaktueller Stoff dank kurzem Vorlauf.
       
   IMG Bild: Instant-Hochzeit: Zara (Alina Sokhna M’Baye, l.) führt Olja (Valeriia Berezovska) zum „Altar“ 
       
       Gute Fiktion ist wie die Realität, und dann noch ein bisschen besser. Olja
       und Petja sind verlobt. Petja versteckt sich in Kyjiv in einer Shisha-Bar,
       während Olja [1][nach Berlin geflohen ist]. Im Zimmer ihrer WG kann sie
       sich nicht vom Handy losreißen. So beginnt die erste Folge der
       ZDF-Miniserie „Himmel & Erde – Небо та Земля“ über den Alltag im
       Angriffskrieg gegen die Ukraine.
       
       Der ständige Fluss an Nachrichten hält Olja davon ab, anzukommen. Ihre
       deutschen Mitbewohner*innen schlagen vor, dass sie für ein paar
       Stunden in den „Flugzeugmodus“ geht. Dieses lifestylige „Mal-Abschalten“
       wird erzählerisch eindrucksvoll verwoben mit der Überlebensschuld der
       Kriegsgeflüchteten. Und das in 18 Minuten. Am Ende gibt es eine
       improvisierte Hochzeit – und Gesprächsstoff fürs Publikum.
       
       Am Dienstagabend laufen die fünf filmischen Kurzgeschichten aus „Himmel &
       Erde“ auf ZDFneo. In der Mediathek stehen sie schon seit Anfang Oktober.
       Die fünf Geschichten wurden erdacht, geschrieben und umgesetzt von
       ukrainischen Filmschaffenden, die nach Deutschland geflohen sind oder
       bereits länger hier leben.
       
       „Himmel & Erde“ ist außerdem das, was man beim ZDF seit einigen Jahren
       „Instant Fiction“ nennt. Ein Format, bei dem der Produktionsprozess
       wesentlich schneller geht als üblich.
       
       ## Pandemie brachte schon mehrere „Instant“-Serien hervor
       
       „Instant Fiction“ ist ein Kind der Pandemie. Die erste Serie dieser Art war
       „Drinnen“, eine tragikomische Geschichte über das Leben im ersten Lockdown.
       Sie lief Anfang April 2020, wenige Wochen nach dem Beginn des Social
       Distancing. Verglichen mit den normalen Planungs- und Produktionszeiten
       beim Fernsehen war das schwindelerregend schnell. Im Laufe des ersten
       Coronajahrs brachte das ZDF noch mehr Instant-Pandemie-Stoff mit
       [2][„Liebe, Jetzt!“] und „Lehrerin auf Entzug“. 2021 folgte „Schlafschafe“.
       
       „Instant Fiction“ heißt: kleines Budget und simple, dialogstarke Plots. Das
       Prinzip: thematisch hochaktuelle Stoffe und dafür weniger Bürokratie. „Im
       deutschen System gibt es normalerweise eine strenge Kontrolle des Schnitts
       durch die Sender“, sagt Daria Onyshchenko, Autorin und Regisseurin bei
       „Himmel und Erde“ [3][im Interview mit dem Branchenportal Filmdienst.de].
       „Aber bei diesem Projekt hatte ich den Eindruck, dass uns eher freie Hand
       gelassen wurde, um unsere Gefühle zur Situation in der Ukraine
       auszudrücken.“ Der Vorteil: Das Publikum bekommt eine fiktionalisierte
       Version der Gegenwart gespiegelt. Und nicht, wie sonst, einen beinahe
       historischen Rückblick Jahre später. Nachteil: „Instant Fiction“ läuft
       Gefahr, schneller zu altern.
       
       Deswegen muss eine Instantserie Kraft aus dem Moment ziehen. Und das tut
       „Himmel & Erde“. Die Schwestern Jaroslava und Nika in Folge zwei geraten in
       Streit über die Frage: Im Exil bleiben oder zurückgehen? Einen ähnlichen
       inneren Konflikt hat Nestor in Folge vier. In Folge drei versuchen die
       zehnjährige Viktoria und ihre Oma, sich mit deutschen Regeln und der
       Bürokratie zu arrangieren.
       
       Die Geschichten sind archetypisch, die Konflikte im Kern zeitlos. Im Krieg
       bekommen sie einen neuen Kontext. Mindestens ist das berührend,
       idealerweise schafft es Verständnis. Hinzu kommt: Ukrainische
       Filmschaffende erhalten schnell eine Gelegenheit, zu arbeiten und in die
       Branche einzusteigen.
       
       Inzwischen tauchen auch queere Serien unter „Instant Fiction“ auf.
       „Becoming Charlie“ (2022) über nichtbinäre Selbstfindung und „Loving Her“
       (2021) mit lesbischen Liebesgeschichten. Wobei letztere eigentlich in der
       Kategorie „Instant Fiction“ nichts zu suchen hat, weil es sich um eine
       beinahe exakte Kopie der niederländischen Serie „Anne+“ von 2018 handelt.
       Die Frage ist auch, warum Queerness unter „instant“ läuft, schließlich ist
       das Thema, anders als Corona und Krieg, nicht plötzlich vom Himmel
       gefallen. „Instant Fiction“ sollte keine Schublade für Themen werden, die
       man für zu „nischig“ hält.
       
       Erst mal aber lohnt es sich, das Format im Blick zu behalten und damit
       weiter zu experimentieren. Eine Instant-Serie mit Kurzgeschichten aus dem
       Gaskrisen-Winter? Eine Miniserie, die Parallelen zwischen
       Widerstandsbewegungen in Russland, [4][Iran] und Sudan untersucht? Das wäre
       zeitgeschichtlich hochrelevantes fiktionales TV, mit dem sich der Rundfunk
       schmücken könnte – jenseits seiner üblichen Tatortigkeit und
       Traumschiffität.
       
       26 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Flucht-aus-der-Ukraine/!5888411
   DIR [2] /ZDFneo-Serie-Liebe-Jetzt/!5728865
   DIR [3] https://www.filmdienst.de/artikel/57423/interview-himmel-und-erde-zdf-neo
   DIR [4] /Proteste-in-Iran/!t5884344
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Weissenburger
       
       ## TAGS
       
   DIR Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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