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       # taz.de -- Cannabis-Legalisierung in Deutschland: Die Koalition zieht was durch
       
       > Cannabis soll in Deutschland legalisiert werden, sofern die EU zustimmt.
       > Apotheker kritisieren den Vorstoß, anderen geht er nicht weit genug.
       
   IMG Bild: Ob das klappt? In Deutschland konsumiertes Cannabis soll dann auch in Deutschland angebaut werden
       
       Kein Lifestyle, aber ein ehrgeiziges Projekt. So lässt sich der Vorstoß der
       Bundesregierung zur Legalisierung von Cannabis zum Konsum für Erwachsene
       zusammenfassen. Am Mittwoch stellte Bundesgesundheitsminister Karl
       Lauterbach (SPD) die [1][Eckpunkte] für das von der Ampelkoalition
       angekündigte Projekt vor. Es ist die Vision eines legalen, staatlich
       regulierten, lizensierten und kontrollierten Markts vom Anbau über den
       Vertrieb bis zum Verkauf an die Endverbraucher:innen.
       
       Künftig sollen in Deutschland Erwachsene Cannabis kaufen, besitzen und
       konsumieren dürfen. Kommt ein entsprechendes Gesetz, fällt Cannabis
       vollständig aus dem Betäubungsmittelgesetz heraus. Straffrei gestellt
       werden soll der Kauf und Besitz von 20 bis 30 Gramm Cannabis bei
       Erwachsenen. Geprüft wird, ob es für unter 21-Jährige eine Obergrenze für
       den THC-Gehalt geben soll.
       
       Nicht nur Umsatzsteuer soll erhoben werden, sondern auch eine zusätzliche
       Cannabissteuer – deren Erträge in Aufklärungs- und Präventionsarbeit
       fließen können. Dabei soll der Endpreis aber auf keinen Fall höher als der
       Schwarzmarktpreis liegen. Rauchcannabis, Kapseln oder Sprays werden legal.
       Ob auch sogenannte Edibles von Plätzchen über Kuchen bis zu Gummibärchen
       zugelassen werden sollen, werde noch geprüft.
       
       Die Kritik aus den Reihen der Apotheker:innen wies Lauterbach zurück.
       Der Apothekerverband Nordrhein hatte seine Ablehnung des Entwurfs
       angekündigt: Zwar seien Apotheker:innen aufgrund ihrer fachlichen
       Expertise bestens geeignet, die notwendigen Qualitätsstandards bei der
       Abgabe und Beratung zu erfüllen. „Andererseits sind Apothekerinnen und
       Apotheker Heilberufler“, betonte Verbandschef Thomas Preis.
       
       ## Lauterbachs Kehrtwende
       
       Besonders kritisch wird demnach eine „mögliche Wettbewerbssituation mit
       rein kommerziellen Anbietern gesehen“. Im Eckpunktepapier ist eine Abgabe
       durch Apotheken insbesondere deshalb angedacht, weil damit schnell eine
       ausreichende legale Versorgung etwa im ländlichen Raum hergestellt werden
       könne.
       
       Noch vor rund einer Woche bestand mächtig Klärungsbedarf zwischen den
       Ressorts: Innen, Außen, Justiz, Ernährung, Wirtschaft. Die Federführung
       liegt beim Bundesgesundheitsministerium. Ein abgestimmter Vorschlag zur
       Legalisierung von Cannabis lag noch nicht vor, dennoch [2][kursierte ein
       Entwurf], den – zumindest offiziell – niemand durchgestochen haben wollte.
       
       Lauterbach selbst hatte sich bis vor rund eineinhalb Jahren gegen eine
       Legalisierung von Cannabis ausgesprochen. Aber: „Es funktioniert so nicht“,
       sagte der Gesundheitsminister. Rund vier Millionen Menschen konsumieren
       regelmäßig Cannabis, Tendenz steigend. Scharfe Gesetzgebung hätte nicht zu
       mehr Kinder- und Jugendschutz geführt, im Gegenteil seien Konsum,
       THC-Gehalt und gefährliche Beimengungen immer mehr geworden. Deshalb könne
       man nicht einfach so weitermachen, sondern brauche einen gänzlich anderen
       Ansatz, so Lauterbach.
       
       Die Eckpunkte gehen nun an die EU-Kommission und sollen dort geprüft
       werden. Damit will Lauterbach sicherstellen, dass ein deutsches Gesetz den
       EU-Gesetzen perspektivisch auch standhalten kann. Wenn alles gut laufe,
       könne im ersten Quartal 2023 ein Gesetzentwurf stehen, ab 2024 könnte
       Cannabis dann legal sein. Wenn es allerdings eine klare Ablehnung vonseiten
       der EU-Kommission gebe, sei das Gesetzesvorhaben in dieser Form vom Tisch.
       Über einen Plan B wolle er noch nicht nachdenken, sagte Lauterbach.
       
       ## Künftig mit der Feingrammwaage unterwegs?
       
       Der EU-Parlamentarier Niklas Nienaß (Grüne) ist skeptisch, dass dieses
       Vorgehen erfolgreich ist. Er vermutet aufgrund der Vorabprüfung durch die
       EU-Kommission eine Verzögerungstaktik und „Ausrede, um den Prozess um Jahre
       zu verlangsamen“. „Denn dieses Vorgehen bietet keinerlei Rechtssicherheit,
       ist nicht vorgeschrieben und daher auch nicht notwendig“, sagte Nienaß der
       taz. Malta etwa habe bewiesen, dass die Cannabislegalisierung im Rahmen des
       europäischen Rechts möglich sei.
       
       Problematisch findet er eine Beschränkung auf die Produktion in
       Deutschland: Ein Ausschließen europäischer Produzenten sei schlichtweg
       unvereinbar mit dem europäischen Binnenmarkt. „Hier ist das Risiko einer
       Klage anderer Mitgliedstaaten vor dem EuGH wesentlich höher.“
       
       Die Bundesregierung argumentiert hier genau umgekehrt: „Nach vorläufiger
       Einschätzung ist ein internationaler Handel von Cannabis zu Genusszwecken
       auf Basis bzw. im Einklang mit bestehenden internationalen
       Rahmenbedingungen nicht möglich“, heißt es im Eckpunktepapier – deshalb
       müsse der deutsche Bedarf durch Produktion in Deutschland gedeckt werden.
       Das hält Lauterbach im Übrigen auch für schnell umsetzbar: Es gebe bereits
       großes Interesse potenzieller Anbieter und Produzenten, sagte er. Anbau
       unter Glas sei allerdings energieintensiv und müsse mit erneuerbaren
       Energien stattfinden.
       
       Expert:innen, die noch dem in der vergangenen Woche durchgestochenen
       Entwurf [3][extrem kritisch gegenüberstanden], befürworten das Papier.
       Hubert Wimber, ehemaliger Polizeipräsident von Münster und Vorsitzender der
       Organisation Leap (Law Enforcement Against Prohibition) in Deutschland,
       findet das Papier eine vernünftige Grundlage für ein
       Gesetzgebungsverfahren. Allerdings hält er sowohl die noch immer
       diskutierte THC-Obergrenze für unter 21-Jährige als auch die Begrenzung der
       Abgabe- und Besitzmenge auf 20 bis 30 Gramm für falsch. Ziel müsse es sein,
       [4][die Strafverfolgungsbehörden] künftig aus dem ganzen Thema
       herauszuhalten – dem widersprächen solche Regelungen, sagte Wimber der taz.
       
       Ähnlich argumentiert die Gewerkschaft der Polizei (GdP): „Die Festlegung
       einer Obergrenze zieht ja trotzdem Kontrollen nach sich. Das heißt: Wir
       sind künftig alle mit der Feinwaage unterwegs“, warnte der
       GdP-Bundesvorsitzende Jochen Kopelke.
       
       26 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/C/Kabinettvorlage_Eckpunktepapier_Abgabe_Cannabis.pdf
   DIR [2] /Cannabis-Legalisierung/!5885525
   DIR [3] /Geleakte-Cannabis-Eckpunkte/!5885519
   DIR [4] /Plaene-zur-Cannabis-Freigabe/!5889659
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tanja Tricarico
   DIR Bernd Pickert
       
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