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       # taz.de -- Skandalsport Schach: Der nächste Zug führt zum Gericht
       
       > Der Schachweltmeister bezichtigt Hans Niemann des Betrugs. Der reicht
       > eine Klage ein, die seinen Ruf ruinieren oder die Schachwelt erschüttern
       > wird.
       
   IMG Bild: Hochstapler oder Großmeister? Hans Niemann geht „all in“
       
       Was seit Wochen die Schachwelt in Atem hielt, wurde am Donnerstagabend
       endgültig zum größten Skandal der Schachgeschichte. Mit Hans Niemanns Tweet
       „My lawsuit speaks for itself“ veröffentlichte der 19-jährige Amerikaner
       eine 44-seitige Klageschrift seiner Anwälte. Lange war auf eine Reaktion
       Niemanns zu den [1][Betrugsvorwürfen von Weltmeister Magnus Carlsen] und
       der Plattform [2][chess.com] gegen ihn gewartet worden. Aber dass sie in
       einer Klage mündet, die mindestens 400 Millionen Dollar Entschädigungssumme
       fordert, hatte niemand erwartet.
       
       Überraschend ist zudem auch, dass Niemanns Klage sich nicht nur gegen
       Carlsen sowie chess.com richtet, sondern auch gegen den Chief Chess Officer
       des Portals, Danny Rensch, [3][die von Carlsen mit Investoren gegründete
       Play Magnus Group (PMG)], sowie den Weltklassespieler und Streamer Hikaru
       Nakamura.
       
       Die insgesamt 202 Punkte umfassende Klageschrift zeichnet dabei zu Beginn
       Niemanns Weg zum Spieler nach, der nun in die Top 40 der Welt vorgestoßen
       ist. Allerdings wird schnell klar, dass da eine Überzeichnung Niemanns
       stattfindet. Schließlich war der dort als „chess prodigy“ bezeichnete
       Spieler bis vor zwei Jahren ein nur Insidern bekannter Internationaler
       Meister, dem niemand einen solch kometenhaften Aufstieg zugetraut hatte.
       
       Natürlich wird chronologisch noch einmal der gesamte Ablauf des Skandals
       nachgezeichnet. Niemanns Sieg gegen Carlsen in Saint Louis, der Tweet von
       Carlsen nach der Partie, Nakamuras Kommentare im Stream, die Sperre von
       Niemanns Account durch chess.com, Carlsens Aufgabe nach zwei Zügen bei
       einem Turnier seiner PMG, dessen Erklärung danach sowie der
       „[4][Niemann-Report]“ von chess.com.
       
       ## Abgesagte Partien
       
       Neu ist unter anderem, dass Niemann vor der Unterzeichnung eines Vertrags
       als Teilnehmer des Weltklasseturniers im niederländischen Wijk aan Zee
       stand und die Veranstalter nach Bekanntwerden der Vorwürfe einen Rückzieher
       machten. Ebenfalls neu und aus deutscher Sicht besonders interessant ist
       der Punkt, dass es ein Match zwischen dem größten deutschen Talent Vincent
       Keymer und Niemann geben sollte, Keymer dem Match aber mittlerweile eine
       Absage erteilte. Die zu erwartenden Startgelder für solche Events liegen
       laut der Schrift zwischen 5.000 und 15.000 Dollar. Das Preisgeld käme noch
       hinzu.
       
       Und so stützt sich die Klage am Ende auf die Punkte Verleumdung,
       Beleidigung, Missbrauch von Monopolstellung, Beeinträchtigung von Verträgen
       sowie private Verschwörung.
       
       Niemann geht mit dieser Klage „all in“, denn er wird nun vor Gericht
       schwören müssen, nur in den von ihm genannten Zeiträumen betrogen zu haben.
       So sieht es auch der Sportrechtler Dr. Paul Lambertz im Gespräch mit der
       taz: „Wenn der Ruf so angegriffen wird, ist solch eine Klage auch der
       Versuch, sein Heil im Angriff zu suchen.“ Der Jurist glaubt zudem, dass es
       zum Prozess kommen wird. „Wenn die Klage eingereicht ist, wird das seinen
       Weg vor die Jury gehen.“
       
       Es wird spannend zu sehen sein, was Niemanns Anwälte dort dem Bericht von
       chess.com entgegensetzen werden, der von Betrug in insgesamt 106 Partien
       sprach. Schließlich gilt die Betrugserkennung der Plattform als die beste
       der Schachwelt.
       
       ## Letzte Chance für Niemann
       
       Andererseits ist diese Klage auch die einzige Chance für Niemann, seinen
       Ruf wiederherzustellen. An den lukrativen Onlineturnieren der Play Magnus
       Group und chess.com wird er vorerst nicht teilnehmen können, auch
       Einladungen zu sonstigen Turnieren werden erst mal ausbleiben. Die
       Klageschrift führt sogar aus, dass er aktuell nicht einmal als Schachlehrer
       arbeiten kann, weil seine Reputation zerstört sei.
       
       Aber auch für alle Angeklagten steht viel auf dem Spiel. Carlsen wird seine
       Anschuldigungen belegen müssen. Auch sein Ruf ist bedroht. Hat der
       Weltmeister wirklich unberechtigt die Integrität eines Großmeisters
       ruiniert? Welche Glaubwürdigkeit hätte der größte Spieler aller Zeiten
       noch, wenn er vor Gericht verurteilt würde?
       
       Und chess.com, das mit der gerade laufenden Übernahme der Play Magnus Group
       dabei ist, sich ein Monopol in Sachen Onlineschach zu verschaffen, wäre
       wirtschaftlich in großer Not, sollte Niemann mit der Klage durchkommen. So
       geht es vor der Jury nicht nur um Niemann gegen die Angeklagten, es geht um
       die Zukunft der Schachwelt.
       
       21 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Betrugsvorwuerfe-gegen-Hans-Niemann/!5880404
   DIR [2] https://www.chess.com/
   DIR [3] /Niederlage-fuer-Schach-Genie/!5720536
   DIR [4] https://www.chess.com/blog/CHESScom/hans-niemann-report
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven Metzger
       
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