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       # taz.de -- Verbale Gewalt, Brandanschläge und Häme: Anständig war nur der Salatkopf
       
       > Verbalgewalt gegen Long-Covid-Betroffene und Autor*innen, ein
       > Brandanschlag, das ist deprimierend. Angebracht dagegen: Häme gegen
       > unfähige Politiker.
       
   IMG Bild: Zum Spott gegen Truss genutzt: grüner Salatkopf
       
       Es grüßt Sie zum Wochenende Ihr „Moralapostel“, Ihr
       „Erziehungsbeauftragter“, Ihr „Anstandsonkel“ – Bezeichnungen, die mir nach
       meiner letzten Kolumne von anonymen Leser*innen zugeschrieben wurden.
       Herzlichen Dank! Moral, Erziehung, Anstand – oder nennen wir es: Werte und
       Haltung, das passt gut! Besonders bei der Rückschau auf diese Woche.
       
       [1][Kim de l’Horizon] hat den Deutschen Buchpreis bekommen, für den Roman
       „Blutbuch“, in dem eine namenlose Figur, die weder Mann noch Frau ist, ihre
       Familiengeschichte aufarbeitet. Auch Kim de l'Horizon bezeichnet sich als
       „nonbinär“, möchte die Pronomen er*sie für sich verwendet wissen, gibt
       sein*ihr Geburtsdatum mit 2666 an und rasierte sich bei der
       Preisverleihung aus Solidarität mit den Frauen in Iran die Haare ab.
       
       Das darf man fortschrittlich und löblich finden oder auch affektiert und
       eine Zumutung. Darf man. Wirklich. So wie man auch Autoren wie, sagen wir:
       Uwe Tellkamp oder Richard David Precht für total toll oder total bescheuert
       halten darf. Man kann de l’Horizons Buch fantastisch finden oder belanglos.
       Man darf sogar den*die Verfasser*in kritisieren, ohne den Roman gelesen
       zu haben. Dafür darf man dann zurückkritisiert werden. Debatten, auch
       scharf geführte, sollten innerhalb zivilisierter Grenzen stattfinden. Aber
       Kim de l’Horizon erhält Drohungen und muss teils beschützt werden. Was
       genau haben diese Leute nicht kapiert?
       
       Auch die Kolumnistin [2][Margarete Stokowski] ist verbaler Gewalt
       ausgesetzt, seit sie vergangenen Freitag mit Gesundheitsminister Lauterbach
       zur Vorstellung einer neuen Impfkampagne aufgetreten ist. Sie ist von Long
       Covid betroffen. Ihr die Frage zu stellen, wie sie sich ihre Erkrankung als
       dreimal Geimpfte erkläre und warum sie sich trotzdem fürs Impfen einsetze,
       liegt nahe. Eine ZDF-Journalistin tat genau das. Und man kann ihren
       Auftritt für eine schlechte Idee halten, wie das Blog Übermedien es tat,
       oder für einen PR-Coup, für den es das Gesundheitsministerium offenbar
       hält. Aber Stokowski bekommt seither Mord- und Vergewaltigungsdrohungen.
       Geht’s noch?
       
       Oder Mecklenburg-Vorpommern. Im Ort Groß Strömkendorf brannte am Mittwoch
       eine Unterkunft nieder, in der Menschen aus der Ukraine lebten. Feuerwehr
       und Polizei gehen von [3][Brandstiftung] aus. Auch hier: Natürlich darf man
       in einer freien, demokratischen Gesellschaft Kritik an Flüchtlingspolitik
       äußern. Man darf sagen, dass man sich überfordert fühlt. Aber ein Haus
       anzünden? Den Tod von Menschen in Kauf nehmen? Wie verroht kann man sein?
       
       ## Häme und Spott sind nicht immer falsch
       
       Manche halten mein Eintreten für Anstand und Moral für den Versuch, Kritik
       – und auch Witze, Häme, Spott – zu unterbinden. Falsch! Gewalt, auch
       verbale, ist inakzeptabel. Witze, Häme und Spott hingegen sind bisweilen
       sogar dringend geboten. Wie im Fall der britischen
       [4][Kurzzeit-Premierministerin Liz Truss]. Das Krawallblatt Daily Star
       fragte vor ihrem Rücktritt am Donnerstag, ob Truss, von Fehler zu Fehler
       stolpernd, länger im Amt bleiben werde als ein Salat haltbar sei. Am Ende
       gewann, auf Youtube verfolgbar, ein mit Augen beklebter Salatkopf. Böse.
       Aber lustig.
       
       Spott – mehr noch: einen Gerichtsprozess – verdient auch Sebastian Kurz,
       Österreichs jüngster Altkanzler aller Zeiten. Diese Woche hat sein
       ehemaliger politischer Weggefährte Thomas Schmid zu Korruption der von Kurz
       geführten Ex-Regierung ausgesagt. Stimmt das, was Schmid ausgepackt hat,
       auch nur halbwegs, hat Kurz Maßstäbe in Sachen Bestechung gesetzt. Gekaufte
       Umfragen. Verschonung von Millionären vor dem Fiskus. Und noch viel mehr.
       
       In Iran dauern derweil die Proteste gegen die Mullah-Diktatur an. Viel zu
       lange haben westliche Staaten dort auf „Wandel durch Handel“ gesetzt. Wir
       sollten im Umgang mit dem Regime eher den Weg „Wandel durch Tritt in den
       Hintern“ wählen. Apropos Umgang mit autoritären Staaten: Dass Kanzler
       Scholz allen Ernstes will, dass China Anteile am Hamburger Hafen erhält,
       ist alles Mögliche, aber sicher nicht intelligent. Muss man auch mal sagen.
       
       21 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
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       Es war ein bemerkenswerter Auftritt von Kim de l’Horizon bei der Verleihung
       des Buchpreises. Diese Dringlichkeit findet sich auch in „Blutbuch“.