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       # taz.de -- Kooperation mit externen Gemeinschaften: Religions-Außenpolitik eingekürzt
       
       > Das Auswärtige Amt will nicht mehr von Religionsverter:innen
       > beraten werden. Dabei wollte die Ampel kulturelle Dimensionen der
       > Diplomatie stärken.
       
   IMG Bild: Benedektinermönch Nikodemus Schnabel
       
       München taz | Das Auswärtige Amt (AA) will sich in Zukunft nicht mehr von
       externen Religionsvertreter:innen beraten lassen. Das teilt das
       Ministerium auf Anfrage mit. Der Ex-Berater Nikodemus Schnabel fürchtet
       zudem, dass das Religionsreferat im Außenamt unter [1][Ministerin Annalena
       Baerbock (Grüne)] zu kurz kommen könnte. Im Koalitionsvertrag der Ampel
       steht eigentlich, dass die Regierung den Bereich „Religion und
       Außenpolitik“ stärken will.
       
       Schnabel lebt eigentlich als Benediktinerpater in Jerusalem. 2018 hat er
       für ein Jahr das AA zu Religionsfragen beraten. Der Theologe spricht von
       einem „Streichkonzert“ in der Kulturaußenpolitik, das nicht nur das
       Religionsprojekt betreffen würde, sondern auch die Goethe-Institute, den
       Deutschen Akademischen Austauschdienst und Qantara. Dieses Webportal der
       Deutschen Welle will auf Deutsch, Englisch und Arabisch den „Dialog mit der
       islamischen Welt“ fördern.
       
       „Da wird mit wenig Geld Enormes bewirkt und auch gerade langfristig. Da zu
       kürzen halte ich einfach für eine kurzatmige, kurzfristige Politik, die uns
       irgendwann auf die Füße fällt. Da kann ich nur kopfschütteln“, sagt
       Schnabel. „Man darf gerne als Diplomat Atheistin, Atheist sein, aber
       religiös desinteressiert und keine Ahnung zu haben vom Thema: Das geht gar
       nicht.“ Für 84 Prozent der Weltbevölkerung sei Religion der Faktor im
       Leben, der Handeln, Identität und Resilienz bestimme. Bei Fragen des
       Klimaschutzes oder der globalen Bevölkerungsentwicklung müsse mit
       Religionsgemeinschaften kooperiert werden.
       
       Der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte 2016 als
       Außenminister das Projekt „Religion und Außenpolitik“ ins Leben gerufen, um
       auszuloten, wie sich Religionsgruppen bei diplomatischen Prozessen
       einbinden lassen. Kurz zuvor hatte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU)
       mit einem ähnlichen Prozess in seinem Ressort begonnen. Bei der Weltbank
       und in den USA arbeitet man schon sehr viel länger mit religiösen
       Organisationen zusammen.
       
       ## Projekt schon seit 2020 pausiert
       
       Steinmeiers Nachfolger im Auswärtigen Amt, die Sozialdemokraten Sigmar
       Gabriel und Heiko Maas, führten das Religionsprojekt weiter. Trotz Kritik,
       nicht nur von der AfD. Mina Ahadi, Vorsitzende des Zentralrats der
       Ex-Muslime in Deutschland, sprach von einem „gefährlichen Rückschritt,
       durch den säkulare Prinzipien verraten werden“.
       
       Das vorläufige Aus kam 2020 mit der [2][Berufung von Nurhan Soykan zur
       Beraterin.] Soykan ist Generalsekretärin und stellvertretende Vorsitzende
       des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Parteiübergreifend wurde Kritik
       an der Personalie laut.
       
       Volker Beck (Grüne) sagte, er verstehe nicht, warum das Amt „eine
       Vertreterin dieses problematischen Verbandes“ berufen habe. Die Linke Sevim
       Dağdelen erklärte damals, Außenminister Maas mache sich durch Soykans
       Berufung im Kampf gegen Antisemitismus unglaubwürdig.
       
       Vom Liberal-Islamischen Bund hieß es, im Zentralrat der Muslime fänden sich
       Muslimbrüder, die für eine intolerante und antisemitische Ideologie
       stünden. Soykan habe außerdem in einem Interview den antisemitischen
       Al-Quds-Marsch in Berlin verteidigt. Tatsächlich bezog sich Soykans
       Äußerung auf Proteste gegen die israelische Bombardierung des
       Gazastreifens 2014. Soykan schwieg lange zu den Vorwürfen, bevor sie sich
       von islamistischen Ansichten distanzierte. Doch das Außenamt legt das
       Religionsprojekt auf Eis.
       
       Das Außenministerium erklärte am 29. Juli 2020, es wolle in einen
       Beratungsprozess eintreten „mit denjenigen, die sich dafür interessieren,
       auch mit denjenigen, die Kritik daran geäußert haben“. Ende 2020 antwortete
       die Bundesregierung noch auf eine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag,
       dass es Überlegungen gebe, den interreligiösen Beraterkreis insgesamt
       umzustrukturieren und auf eine breitere Grundlage zu stellen. Dann war
       lange nichts mehr zu hören.
       
       Aus dem Auswärtigen Amt heißt es jetzt auf Anfrage, dass es keine Pläne
       gebe, die externe Beratung wieder aufzunehmen. Das Amt werde aber auch in
       Zukunft Kontakte zu religiösen Persönlichkeiten und Organisationen pflegen,
       um „ein möglichst breites Netzwerk zum gegenseitigen Nutzen zu errichten“.
       
       Pater Nikodemus Schnabel hofft, dass das Religionsreferat als solches
       „erhalten wird und auch wieder ordentliches Personal bekommt, damit es
       arbeiten kann“. Gerade für eine [3][feministische Außenpolitik], wie sie
       Ministerin Baerbock angeblich vertreten würde, gebe es bei der
       Zusammenarbeit mit religiösen Akteur*innen viel zu gewinnen, meint
       Schnabel. Er selbst arbeitet in Israel und Palästina mit Geflüchteten. Dass
       dieses Potenzial genutzt werde, sehe er, von Jerusalem aus, noch nicht.
       
       20 Oct 2022
       
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   DIR Stefan Hunglinger
       
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