URI: 
       # taz.de -- Kinder- und Jugendbücher im Herbst: Spielräume in Krisenzeiten
       
       > Hoffnungsfrohe Lektüren. Ein Abenteuer während der Pandemie, die
       > leuchtende Erfindung gegen den Krieg und ein Handbuch für angehende
       > Stadtplanerinnen.
       
   IMG Bild: Illustration von Heike Herold für Katja Ludwigs Erzählun „Ellie & Oleg – außer uns ist keiner hier“
       
       Ellie und Oleg sind Teil einer modernen Patchworkfamilie. Eigentlich wohnen
       die zwölf- und der achtjährige in der Stadt, doch nun herrscht Pandemie und
       die Schulen sind geschlossen. Deshalb sind sie mit Mommie, Ron, Mats und
       Lilac raus aufs Land gezogen, in das noch renovierungsbedürftige Haus
       irgendwo an der Grenze zu Polen.
       
       Das klingt erst mal wie ein Klischee, doch schon nach wenigen Seiten
       entwickelt „Ellie & Oleg – außer uns ist keiner hier“ aus einer hyperrealen
       Situation eine verblüffende Dynamik. Plötzlich stehen Ellie und Oleg in
       Katja Ludwigs Erzählung vor einer riesigen Herausforderung.
       
       Während die Erwachsenen mit der kleinen Lilac und Mats, Olegs großem
       Bruder, in der Stadt noch letzte Dinge erledigen müssen, wollen die beiden
       Kinder zum ersten Mal allein in dem abgelegenen Haus auf dem Land bleiben.
       Falls sie Hilfe bräuchten, könnten sie einfach anrufen. Oder zu Edeltraut
       gehen, der einzigen Nachbarin, die alleinstehend schräg gegenüber wohnt.
       Alles also kein Problem.
       
       Doch dann kehren die Eltern auch am späten Abend nicht zurück. Zudem ist
       Ellies Handy unauffindbar, und von Edeltraut fehlt jede Spur. Nur ihre
       Katze Sissi schleicht hungrig über den Hof. In Decken gehüllt und eng
       aneinander gedrückt verbringen Ellie und Oleg diese erste Nacht allein auf
       der Küchenbank. Am Morgen hören sie im Radio etwas von „Katastrophenfall“
       und „nationalem Notstand“.
       
       ## Brandenburger Robinsonade
       
       Als eine Art Brandenburger Robinsonade, inspiriert durch die Erfahrungen
       der zurückliegenden zwei Pandemiejahre, schildert die Berliner Autorin und
       Ärztin Katja Ludwig außergewöhnliche Tage aus der Perspektive der
       Zwölfjährigen. Nicht nur äußerlich wirken die dunkelhäutige Ellie und ihr
       hellblonder Stiefbruder recht verschieden.
       
       Mutig stellt sich die ältere Schwester der neuen Situation und beruhigt
       damit oft genug den ängstlichen Jungen. Im Ausnahmezustand bilden sie
       gemeinsam ein verlässliches Team. Mit Zuversicht, Einfallsreichtum und
       Fürsorge meistern die Geschwister unwirtliche Nächte in der Wildnis,
       Infekte und Versorgungsengpässe.
       
       Bald sind sie nicht mehr ganz allein. Nach Sissi, der Katze, weicht auch
       Averell eines Tages nicht mehr von ihrer Seite. Unterstützt von dem
       streunenden Hund gelingt es den beiden Überlebenskünstlern, in einer
       dramatischen Rettungsaktion eine weitere Katastrophe zu verhindern.
       
       ## Der Krieg im Kinderzimmer
       
       Bereits 2015, ein Jahr nach der Annexion der Krim durch Russland, erschien
       in der Ukraine das Bilderbuch „Als der Krieg nach Rondo kam“. In ihrer
       grafisch gestalteten Geschichte für Kinder ab fünf erzählen die
       international ausgezeichneten Illustratoren Romana Romanyschyn und Andrij
       Lessiw von drei Freunden, die in der besonders liebenswerten Stadt Rondo
       leben.
       
       Deren größte Attraktion ist das singende Gewächshaus. Hier wachsen die
       schönsten Blumen und stimmen jeden Morgen die Hymne der Stadt an. Danko
       versorgt diese Pflanzen fürsorglich. Mit einem leuchtenden Herz in der
       Mitte ähnelt sein Körper einer Glühbirne.
       
       Fabian, ein pinkfarbener Luftballonhund, ist ein begnadeter Schatzsucher
       und Sirka eine reiselustige Papierfliegerin. Eines Tages jedoch schiebt
       sich der Krieg wie eine dunkle, unheilvolle Wolke über das idyllische
       Rondo.
       
       ## Die Lichtmaschine
       
       Schwarze Blumen vernichten alles Bunte und Blühende. Verzweifelt stellen
       sich die drei zerbrechlichen Wesen dem Krieg entgegen und werden verletzt.
       Durch einen glücklichen Zufall macht Danko jedoch eine überraschende
       Entdeckung. Unterstützt von den Freunden und Bewohnern der Stadt
       konstruieren sie eine faszinierende Lichtmaschine, um ihre Blumen vor der
       Dunkelheit zu retten. Und damit den Krieg zu besiegen.
       
       Mit fantasievollen Illustrationen und einem ausgefallenen Figurenensemble
       entfernt sich das ukrainische Künstlerpaar aus Lwiw bewusst von allzu
       realistischen Darstellung des Schreckens. Stattdessen entscheiden sie sich
       für eine zugängliche und verständliche Symbolik, um Krieg, Hoffnung und
       Widerstand im Kinderbuch zu thematisieren.
       
       Durch die verschlungenen Stadtpläne von Rondo und dem wiederkehrenden Motiv
       des Labyrinths fühlt man sich unweigerlich an [1][das berührende Werk des
       Kinderbuchautors Peter Sís] erinnert.
       
       Der Einmarsch Russlands in der Ukraine hat der Erzählung eine neuerlich
       erschreckende Aktualität verliehen. Nun haben Claudia Dathe und Oksana
       Semenets das ukrainische Bilderbuch ins Deutsche übersetzt.
       
       ## Kinder in der Stadt
       
       „Seit 2008 lebt mehr als die Hälfte der Menschheit in Städten.“ Und diese
       Entwicklung ist längst nicht abgeschlossen. So verbindet sich die Planung
       urbaner Räume heute zwangsläufig mit der Frage, wie wir leben wollen.
       
       Der Architekt Osamu Okamura ist Dekan der Fakultät der Kunst und
       Architektur an der tschechischen Universität in Liberec. Er beschäftigt
       sich mit der Lebensqualität von Städten. [2][Gemeinsam mit den Künstlern
       David Böhm] und Jiří Franta ist ihm ein außergewöhnlich kreatives
       Sachbilderbuch über Stadtentwicklung gelungen, das sich gleichermaßen an
       Kinder und junge Erwachsene richtet.
       
       Besonders die doppelseitigen Abbildungen der detailreich und
       unkonventionell gestalteten urbanen Landschaften von Böhm und Franta
       entfalten beim Betrachten eine regelrechte Sogwirkung. Gleichzeitig
       strukturieren diese virtuosen Modelllaufbauten das komplexe Thema auf sehr
       unterhaltsame und nachvollziehbare Weise.
       
       ## Wichtige Prozesse
       
       Begleitend dazu verhandelt Okamura in knappen, aber ausreichend
       ausführlichen Textpassagen wichtige historische Prozesse. Solche etwa wie
       die Entwicklung monofunktionaler Stadtviertel, die Suburbanisierung oder
       drängende Fragen nach bezahlbarem Wohnraum, öffentlichem Transport und
       Klimaschutz.
       
       Trotz berechtigter Einwände bleibt die Stadt für Okamura ein
       faszinierender Lebensraum und eine zivilisatorische Errungenschaft, die
       den Menschen Bildung, soziale Teilhabe und Glück verspricht. Durch
       Engagement und Bürgerbeteiligung, so ist sich der Autor sicher, kann es
       gelingen die Zukunft unserer Städte mitzugestalten. Das „Handbuch für
       angehende Stadtplanerinnen und Stadtplaner“ ermutigt dazu.
       
       Und es erinnert daran: „Das Wichtigste in der Stadt sind die Menschen,
       nicht die Häuser.“
       
       30 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Entdeckungen-fuer-junge-Leser/!5838350
   DIR [2] /Jugendliteraturpreis-fuer-Antarktisbuch/!5729570
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eva-Christina Meier
       
       ## TAGS
       
   DIR Kinder- und Jugendbücher
   DIR Kinderbuch
   DIR Jugendbuch
   DIR Bilderbuch
   DIR Literatur
   DIR Roman
   DIR Kindheit
   DIR wochentaz
   DIR Kinderbuch
   DIR Kinder- und Jugendbücher
   DIR The Beatles
   DIR Kinderbuch
   DIR Kinderbücher
   DIR Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2025
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kinderbücher über mutige Töchter: Die Macht der Verwandlung
       
       Neue Kinderbücher von Eleonora Martin, Nikolaus Heidelbach, Paul Maar und
       Kimberly Brubaker Bradley erzählen von mutigen Töchtern.
       
   DIR Kinderbücher im Frühjahr: Gegen die Deppen des Waldes
       
       Eva Lindström, Pija Lindenbaum und Enne Koens erzählen von Widerstand und
       Selbstbehauptung. Ihre neuen Werke ermutigen zum Nein.
       
   DIR Berliner Literaturfestival für Jugend: Das Buch hat Zukunft
       
       Das „Steglitzer Literaturfest“ bringt Kids in Berlin Literatur näher.
       Unsere Reporterinnen sind selbst Schülerinnen und waren vor Ort.
       
   DIR Graphic Novel über Schulphobie: Allein mit den Beatles
       
       In „Nowhere Girl“ erzählt Magali Le Huche von beginnender Pubertät und der
       magischen Kraft von Popmusik.
       
   DIR Kinder- und Jugendbücher für den Sommer: Das Geheimnis der Perlenkette
       
       Spannende Bücher erscheinen von Josephine Mark, Jakob Wegelius und Alina
       Bronsky. Sie erzählen von Abenteuern und aufrichtigen Gefühlen.
       
   DIR Kinder- und Jugendbuch im Frühjahr: Rebellion aus dem Abseits
       
       Neuerscheinungen von Lika Nüssli, Cornelia Franz und Xavier-Laurent Petit
       erzählen von glücklichen Momenten in schwierigen Zeiten.
       
   DIR Entdeckungen für junge Leser: Staunen, Wünschen und Hoffen
       
       Neue Kinder- und Jugendbücher von Peter Sís, Núria Tamarit und Antje Damm
       bieten Rüstzeug zur Welterkundung.