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       # taz.de -- Corona-Politik: Long, long Covid
       
       > Die Infizierung mit dem Virus erhöht das Risiko weiterer schwerer
       > Erkrankungen. Für eine Entwarnung ist es deshalb noch viel zu früh.
       
   IMG Bild: Schützt du dich auch?
       
       Hand aufs hoffentlich nicht coronageschundene Herz: Es war zermürbend,
       immer neu zu hoffen, dass die Pandemie nun aber wirklich bald überstanden
       wäre – und immer wieder enttäuscht zu werden. Zumal es gratis dazu den
       düsteren Blick in stetig eskalierende „Querdenker“-Abgründe gab. Und dann
       kam ja erst 2022 mit seinem ganz eigenen Horrorlevel. Diese emotional
       äußerst fordernde Gesamtlage hat nun offenbar dazu geführt, dass Corona wie
       eine Art nervige Randerscheinung wahrgenommen wird.
       
       Da können sich besorgte Menschen die Finger wundtwittern, um alarmierende
       neue Studien unters Volk zu bringen – es findet nur noch individuellen
       Widerhall. Verständlich, aber nicht gut. Und dann sagte diese Woche
       ausgerechnet [1][Thomas Mertens], Chef der Ständigen Impfkommission, er
       gehe davon aus, dass sich sowieso alle mehrfach mit Corona anstecken
       würden. Und junge, gesunde Menschen müssten sich nicht noch ein viertes Mal
       impfen lassen.
       
       Mertens sprach nonchalant von einer durch bisherige Impfungen und
       Infektionen erreichten „Basisimmunität“ in der Bevölkerung. Wie passt das
       mit der aktuellen Impfkampagne des Gesundheitsministeriums zusammen, mit
       der Minister [2][Karl Lauterbach] zu Vorsicht und zu einer vierten Impfung
       aufruft? Es passt gar nicht, sondern es ist nur typisch für die vielen
       widersprüchlichen Informationen, mit denen die Menschen im Land
       zurechtkommen müssen.
       
       Die Hoffnung darauf, dass man irgendwann immun gegen Corona sein wird, hat
       sich doch längst erledigt. Reihenweise infizieren sich die Menschen zum
       zweiten und dritten Mal. Wie kann der Chef der Stiko öffentlich
       ignorieren, wie gefährlich es ist, sich mehrfach mit Corona anzustecken?
       Das Virus kann nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft schwere Schäden
       in mehreren Organen und in den Blutbahnen anrichten.
       
       ## Fast 30 Prozent mehr tödliche Herzinfarkte
       
       So hat ein Forschungsteam aus Los Angeles die Verbindung von Covid-19 und
       einem gestiegenem Herzinfarktrisiko untersucht. Seit Beginn der Pandemie
       ist der [3][Studie] zufolge die Zahl der tödlichen Herzinfarkte in den USA
       immer analog zur jeweiligen Infektionswelle angestiegen – und zwar am
       auffälligsten bei Menschen zwischen 25 und 44 Jahren. Im Vergleich zu dem,
       was man normalerweise in dieser Altersgruppe erwartet hätte, betrug hier
       der Anstieg fast 30 Prozent.
       
       Auch während der angeblich milderen Omikron-Wellen. Und gerade erst belegte
       eine Studie namens Epiloc aus Baden-Württemberg, dass mehr als 20 Prozent
       der 12.000 untersuchten Menschen noch sechs bis zwölf Monate nach ihrer
       Infektion an Einschränkungen litten. Chronische Müdigkeit, Erschöpfung,
       Konzentrationsschwierigkeiten oder Gedächtnisstörungen, Atembeschwerden und
       Kurzatmigkeit, veränderter Geruchssinn sowie Ängste und depressive Symptome
       gehören dazu. 20 Prozent!
       
       Viele von diesen Menschen können, wie es die Autorin [4][Margarete
       Stokowski] von sich berichtet, lange, lange nicht in ihr normales Leben
       zurück. Bei der aktuell hohen Zahl an Neuinfektionen ist das auch
       gesellschaftlich keine gute Aussicht. Karl Lauterbach hat mit seiner neuen
       Impfkampagne und Stokowskis Hilfe versucht, die Aufmerksamkeit noch einmal
       auf das Problem zu lenken. Die auffälligste Reaktion war, dass Stokowski
       hämisch angegangen wurde.
       
       Menschen mit dem Wunsch nach einer vierten Impfung berichten davon, dass
       sie unverrichteter Dinge von Praxen als nicht qualifiziert wieder
       weggeschickt werden. Wer oder was gerade irgendwo wegen Corona ausfällt,
       welche Krankenhäuser „Land unter“ melden: Diese Informationen bilden ein
       unangenehmes, aber offenbar folgenloses Hintergrundrauschen der aktuellen
       Wahrnehmung.
       
       Was ist zu tun? Vielleicht nur noch hoffen, dass die Warnungen wenigstens
       bei einzelnen Menschen ankommen, die sich dann besser schützen. Wie die
       Gesellschaft aber am Ende mit der zu erwartenden hohen Zahl an
       Long-Covid-Geschädigten umgehen wird – die Frage bleibt, egal wie sehr man
       jetzt an der Gefahr vorbeischielt. Das Gesundheitsministerium sollte darauf
       vorbereitet sein, sie zu beantworten.
       
       29 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Stiko-Chef-Mertens-zur-Nachimpfung/!5786645
   DIR [2] /Neue-Corona-Welle/!5885080
   DIR [3] https://www.nature.com/articles/s41591-022-01689-3
   DIR [4] /Umgang-mit-Krankheiten/!5887497
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anne Diekhoff
       
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