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       # taz.de -- Klimastreik an Universitäten: Profs for Future
       
       > An vielen Hochschulen finden in der kommenden Woche Vorlesungen zum Klima
       > statt – auch in den Studiengängen Jura, Sport und Informatik. Fünf
       > Dozierende erzählen.
       
   IMG Bild: Ihr Protest ist an den Hochschulen angekommen: Aktivist:innen von Fridays For Future in Karlsruhe
       
       Im November 2019 riefen „Students for Future“-Gruppen kurz vor der
       Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Madrid zum bundesweiten
       Klimastreik an Hochschulen auf. Statt Uni nach Kursplan sollte es über eine
       Woche hinweg Veranstaltungen rund um das Thema Klimakrise geben – für alle
       Bürger:innen öffentlich zugänglich. Die Public Climate School war
       geboren. [1][Rund 80 Hochschulen beteiligten sich] damals daran. 
       
       Vom 7. bis zum 11. November findet die mittlerweile 7. Public Climate
       School statt. Ab Montag halten wieder zahlreiche Dozierende aus den
       verschiedensten Fachbereichen Vorlesungen rund um die Themen Nachhaltigkeit
       und Klimakrise – und zwar nicht nur in den Naturwissenschaften. Ein Teil
       der Veranstaltungen wird live gestreamt oder als Video aufgezeichnet.
       Bislang haben mehr als 30 Hochschulen ihre Teilnahme zugesagt. Alle Infos
       unter [2][publicclimateschool.de]. 
       
       Was kann man aus Informatik, Linguistik, Sport, Politikwissenschaften oder
       Jura über die Klimakrise lernen? Wir haben nachgefragt: Fünf Dozierende
       haben der taz erzählt, warum sie dem Aufruf von Studierenden dazu gefolgt
       sind, was die Erderhitzung mit ihren Fachbereichen zu tun hat und weshalb
       sie deswegen gern vom regulären Kursplan abweichen. 
       
       ## „Der Mensch tritt in der Opferrolle auf“
       
       Der Klimawandel bleibt ein globales gesellschaftliches Problem, für das
       bislang keine adäquaten Lösungen gefunden wurden. Meine Kollegin Patricia
       de Crignis und ich haben deshalb begonnen, das Sprechen über den
       Klimawandel zu untersuchen. Unser Ziel war es, über die Sprache Denkmuster
       identifizieren zu können – und so eventuell zu erkennen, was fehlt, um
       handlungsfähig zu werden.
       
       Als Linguist:in befasst man sich zunächst mit sprachlichen Strukturen,
       also mit Grammatik und Wortschatz. Andere Bereiche wie die
       Diskurslinguistik beschäftigt sich unter anderem mit sogenannten Frames,
       die innerhalb eines Diskurses aktiviert werden. Damit ist gemeint, dass
       durch unterschiedliche Formulierungen ganz unterschiedliche Deutungsrahmen
       in unseren Gehirnen ausgelöst werden, auch wenn es um ein und denselben
       Sachverhalt geht.
       
       In der Studie, die wir in Kassel im Rahmen der Public Climate School
       thematisieren, haben wir Medienberichte zur Weltklimakonferenz 2021 und zu
       den Waldbränden 2021 in Spanien und Frankreich analysiert. So konnten wir
       vier Frames identifizieren, die in der Klimawandeldebatte häufig vertreten
       sind. Erstens wäre da die feindliche Begegnung. Der Mensch kämpft gegen den
       Klimawandel. Dann zweitens die Katastrophe, was in diesem Zusammenhang
       vielleicht nicht so überraschend ist. Weiter konnten wir Krankheit
       identifizieren. Da steht die Natur oder die Umwelt im Fokus, die unter dem
       Klimawandel leidet oder kollabiert. Und dann noch der religiöse Glaube, zum
       Beispiel wenn von Apokalypse, Schuld und Sünde die Rede ist.
       
       Der Mensch tritt überwiegend in der Opferrolle auf. Und wenn es um ein eher
       abstraktes Thema wie die Klimakonferenz geht, dann ist der Mensch gar nicht
       so sehr im Vordergrund. Da wird als Aggressor der Klimawandel selbst
       genannt. Diese Denkmuster zu erforschen ist der erste Schritt in die
       richtige Richtung.
       
       Teresa Gruber ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für
       Romanische Philologie der Universität München.
       
       ## „Klima wirkt sich auch auf Sport aus“
       
       Schon seit dem Sommersemester versuche ich, das Thema nachhaltige
       Entwicklung in die Lehre zu integrieren. Meine Veranstaltung für die Public
       Climate School ist Teil einer Vorlesung zur Didaktik im Sportunterricht,
       die ich auch so gehalten hätte. Aber ich konzipiere den Termin ganz neu,
       ich kann da nichts einfach aus der Schublade ziehen.
       
       Generell versuche ich bereits, das Thema weiter zu fassen: Was passiert
       eigentlich mit Sport, wenn er zum Unterricht wird? Da geht es mir um viele
       Aspekte nachhaltiger Entwicklung, auch um Inklusion und um den Umgang mit
       Heterogenität.
       
       Für die Public Climate School will ich mich aber auf ökologische Aspekte
       fokussieren. Sportflächen, Sportkleidung, Sporternährung – das hat ja alles
       auch Auswirkungen auf das Klima. Und der Klimawandel wirkt sich ja auch auf
       den Sport aus. Unsere Studierenden kriegen das direkt mit. Sie müssen
       Wintersport machen, Ski oder Eislauf. Das wird ja immer schwieriger, nur
       mit den natürlichen Ressourcen. Und unsere Außensportanlagen sind
       unglaublich exponiert. Wenn es da heiß wird, was ja immer häufiger der Fall
       ist, sollte man dort eigentlich keinen Sport machen.
       
       Gerade in unserem Fach zieht man sich oft sehr auf den besonderen Status
       zurück: Wir sind der Sport, wir sorgen für Bewegung – mit
       gesellschaftlichen Fragen müssen wir uns gar nicht befassen. Das sehe ich
       anders. Ich persönlich denke, dass es allen Fachdidaktiken guttut, auch
       mal über den Tellerrand zu gucken.
       
       Matthias Zimlich ist promovierter Sportwissenschaftler. Er forscht und
       lehrt an der Uni Würzburg.
       
       ## „Die Klimawoche ist ein guter Anlass“
       
       Bei der Public Climate School mache ich zum ersten Mal mit – und ich freue
       mich schon sehr darauf. In den Rechtswissenschaften sind nämlich nicht alle
       euphorisch, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht. Das aber muss sich
       dringend ändern. Denn warum sollten Unternehmen nicht stärker dafür haftbar
       gemacht werden können, ob sie umweltverträglich wirtschaften?
       
       Die Gesetze in Deutschland jedenfalls sind offen für solche
       Fragestellungen. Jetzt müssen wir Jurist:innen sie auch stärker an den
       Hochschulen diskutieren. Auch, weil Themen wie Nachhaltigkeit und
       Klimaschutz im Juristischen Staatsexamen bisher nicht geprüft werden – und
       entsprechende Vorlesungen von vielen Studierenden deshalb auch nicht belegt
       werden.
       
       Ich erlebe das jede Woche. In meine Vorlesung „Gesellschaftsrecht“ kommen
       aktuell 200 bis 300 Studierende, weil das prüfungsrelevanter Stoff ist. In
       meiner Vorlesung „Recht der Nachhaltigen Wirtschaft“ sind wir nur zu acht.
       Es muss sich unter Studierenden noch besser herumsprechen, dass wir als
       einer von wenigen Lehrstühlen bundesweit Wirtschaftsrecht auch mit dem
       Schwerpunkt Nachhaltigkeit anbieten. Die Klimawoche ist dafür ein guter
       Anlass.
       
       Meine Studierenden im Gesellschaftsrecht bekommen deshalb zu hören, was
       Unternehmen für eine nachhaltige Transformation tun können. In meiner
       dritten Vorlesung geht es um den Vergleich von Rechtsordnungen
       verschiedener Staaten. Für die Klimawoche vergleichen wir hier die
       verschiedenen Lieferkettengesetze in der EU.
       
       Diese Themen stoßen an meiner Fakultät auf viel Offenheit. Rund 20
       Veranstaltungen kommen allein von uns. Ich hoffe, an anderen Unis ist das
       Engagement genauso hoch.
       
       Anne-Christin Mittwoch ist Professorin für Bürgerliches Recht, Europäisches
       und Internationales Wirtschaftsrecht an der Uni Halle-Wittenberg.
       
       ## „Ich werde das jetzt öfter machen“
       
       Für die Klimawoche spreche ich über den Energieverbrauch von Software.
       Warum es relevant ist, sich gute Programmierkenntnisse anzueignen. Was es
       bedeutet, einen schlechten Algorithmus zu programmieren, und was das für
       den Energieverbrauch heißt.
       
       Ein Laptop hat vielleicht 30 Watt Maximalleistung, ein Desktop PC bis zu
       600 Watt. Wenn man den mit einem Programm voll ausnutzt, dann ruft er auch
       permanent diese Leistung ab.
       
       Da muss man als Informatiker gucken, was für Algorithmen es für die
       Problemstellung gibt, und einen möglichst effizienten wählen. Das lernen
       die Studierenden zwar, aber wir stellen dabei eher die Laufzeit des
       Algorithmus in den Vordergrund, nicht die Vorteile für den
       Energieverbrauch.
       
       Und es gibt auch noch weitere Wege, wie Programmierer Energie sparen
       können. Man kann zum Beispiel versuchen, die unterschiedlichen
       Hardware-Einheiten gut auszunutzen. Der Energieverbrauch hat aber auch
       damit zu tun, welche Programmiersprachen man einsetzt. Moderne
       Programmiersprachen haben häufig einen recht großen Energie-Overhead. Die
       bieten den Leuten, die programmieren, eine gewisse Einfachheit. Sie
       gewinnen also Produktivität, aber bezahlen das auch mit einer schlechteren
       Energiebilanz.
       
       Ich finde, die Public Climate School ist eine total gute Aktion. Bevor ich
       dafür angefragt wurde, hatte ich überhaupt noch nicht drüber nachgedacht,
       das Thema Energieverbrauch in meine Veranstaltungen einzubringen. Ich werde
       das jetzt öfter machen. Gute Programmierung ist ein schweres und manchmal
       trockenes Thema. Aber es ist wichtig: Es macht später im Berufsleben den
       Unterschied hinsichtlich vieler Kriterien aus, darunter der
       Energieverbrauch.
       
       Sven Karol ist Professor für Informatik/Programmierung an der Hochschule
       Merseburg.
       
       ## „Klimaschutz ist oft gender-blind“
       
       Frauen sind international überrepräsentiert in ärmeren Schichten, sie sind
       durch ihre sozialen Rollen oft abhängiger von natürlichen Ressourcen – und
       gehören so zu den verletzlichen Gruppen, die am meisten unter dem
       Klimawandel leiden. Trotzdem ist Klimaschutz oft „gender-blind“, wie wir es
       im Titel zu unserer Veranstaltung für die Public Climate School nennen.
       
       An der Oberfläche sieht es teilweise schon so aus, als hätte die Politik
       den Zusammenhang auf dem Schirm. Eines der Ziele für nachhaltige
       Entwicklung der Vereinten Nationen ist zum Beispiel die Gleichstellung der
       Geschlechter. Wir möchten kritisch hinterfragen, ob das nur Wording ist
       oder ob wirklich eine Strategie dahintersteht. Meine Kollegin Alba María
       Kugelmeier López, mit der ich die Vorlesung gemeinsam halte, und ich werden
       diskutieren, inwiefern die Europäische Union ihren Green Deal und ihre
       Strategie für Geschlechtergerechtigkeit miteinander verbindet. Schon mal
       ein bisschen vorweggenommen: Es gibt da noch große Baustellen, beides wird
       noch nicht genügend zusammengedacht.
       
       Aber es gibt schon grundsätzlich Hoffnung, dass sich das verändert. Auch in
       der Wissenschaft ist das so. Ich spreche vielleicht so ein bisschen aus
       einer Blase heraus, denn unser Lehrstuhl heißt direkt Politikwissenschaft
       mit dem Schwerpunkt Nachhaltige Entwicklung.
       
       Insgesamt habe ich aber auch den Eindruck, dass der Klimawandel als Thema
       in der Politikwissenschaft wichtiger geworden ist. Es setzt sich langsam
       das Verständnis durch, dass Nachhaltigkeit etwas Interdisziplinäres ist.
       Das kann man nicht nur geologisch oder physikalisch oder soziologisch oder
       politikwissenschaftlich betrachten. Wir brauchen interdisziplinäre Foren
       für die Klimaforschung.
       
       Juliana Hilf ist Politikwissenschaftlerin an der Universität Magdeburg.
       
       2 Nov 2022
       
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