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       # taz.de -- Midterm-Wahlen in den USA: Brennglas Pennsylvania
       
       > In den USA sind Zwischenwahlen. Welche Partei holt die Mehrheit im
       > Kongress? Das könnte sich in dem nordöstlichen Swing State entscheiden.
       
   IMG Bild: Volle Zustimmung bei einer Kundgebung des republikanischen Gouverneurskandidaten Doug Mastriano
       
       Lancaster taz | Ein Klopfen hallt über das Stoppelfeld. Zwei Dutzend
       Männer, alle mit dem gleichen Topfhaarschnitt, Vollbart und Strohhut,
       sitzen rittlings auf den Balken eines Dachgiebels und hämmern Holzteile
       fest, die ein Kran zu ihnen hochhievt. In kurzen Abständen rutschen sie auf
       den Hosenböden ein paar Fuß weiter an die Stelle für die nächste
       Querstrebe. Vom Vorplatz aus beobachten Frauen mit weißen Kopfhäubchen und
       Schürzen über wadenlangen Kleidern das Geschehen. Sie sind umgeben von
       spielenden Jungen und Mädchen, die wie Miniaturversionen der Erwachsenen
       gekleidet sind.
       
       Amische aus den umliegenden Bauernhöfen sind zusammengekommen, um eine
       Scheune wieder aufzubauen. Nachdem die Scheune der Verdant View Farm Mitte
       September ausbrannte, haben die Nachbarn Trost gespendet und Geld
       gesammelt, jetzt packen sie tatkräftig zu. Der Wiederaufbau ist zugleich
       ein Fest, bei dem die Nachbarn füreinander da sind. Nach einem gemeinsamem
       Arbeitstag im Oktober ist der Dachstuhl im Rohbau fertig.
       
       In Rufweite dieses Idylls, am anderen Ende des Stoppelfeldes, steht ein
       großes Schild, das ein Obstbauer am Straßenrand von Paradise Lane
       aufgestellt hat. „Wählt die anti-amerikanischen Sozialisten ab“, ist darauf
       zu lesen. Sowie eine Klageliste über: „offene Grenzen“, „40 Jahre
       Inflation“, „5 Dollar pro Gallone Benzin“ und Schulen, die über Rassismus
       im Unterricht sprechen. Das Schild soll Doug Mastriano, der als
       Govaneurs-Kandidat für Pennsylvania antritt, unterstützen.
       
       Neben dem Gouverneurs-Kandidaten Mastriano nimmt sich selbst Ex-Präsident
       Donald Trump wie ein Softie aus. Mastriano will den Kohlebergbau und das
       Gasfracking in Pennsylvania stärken und alles verbieten, das nicht in ein
       konservatives evangelikales Weltbild passt: Ehen und Adoptionen von
       gleichgeschlechtlichen Paaren, Aufklärungsbücher, Abtreibungen,
       Geschlechtsumwandlungen. Er hat auch Wahlmaschinen und die Briefwahl im
       Visier. Die Liste ließe sich fortsetzen.
       
       ## Wahlkampf mit zwielichtigen Mitteln
       
       Am 6. Januar 2021 stand auch Mastriano vor dem Kapitol in Washington. In
       unmittelbarer Nähe rannten vor ihm andere gegen die Barrieren der
       Kapitol-Polizei. Nachdem er beteuerte, er habe den Schauplatz verlassen,
       bevor die Gewalt begann, kamen Videos an die Öffentlichkeit, die das
       Gegenteil zeigten. Auch die Frau, die Mastriano als Staatssekretärin für
       Pennsylvania erwägt, war an diesem Tag in Washington. Toni Shuppe betreibt
       eine NGO, die sich mit Wahlfälschungen beschäftigt und weiterhin darauf
       pocht, dass Trump die Wahlen 2020 gewonnen hat. Als zukünftige
       Staatssekretärin wäre sie für die ordentliche Abwicklung von Wahlen in
       Pennsylvania zuständig.
       
       Seinen Wahlkampf hat Mastriano auf der Plattform „Gab“ bestritten, wo sich
       [1][alle möglichen Rechtsradikalen] tummeln. Bei Veranstaltungen verteilt
       er Fotos von unliebsamen Reportern (darunter Kollegen von CNN und
       Philadelphia Inquirer) an die Ordner, die sie abwimmeln sollen. Und dem
       demokratischen Bewerber für das Gouverneursamt, dem bisherigen
       Justizminister von Pennsylvania, Josh Shapiro, wirft Mastriano „Elitismus“
       vor. Unter anderem, weil er seine Kinder auf eine jüdische Schule schickt.
       Als ein israelischer Journalist fragt, ob er antisemitisch sei, lässt
       Mastriano seine Frau Rebecca antworten. „Wir lieben Israel vermutlich mehr
       als die meisten Juden“.
       
       In Pennsylvania, einem der Bundesstaaten, die zwischen Demokraten und
       Republikanern hin und her schaukeln, können die Wähler am 8. November 2022
       möglicherweise [2][über die Mehrheit im künftigen US-Kongress entscheiden].
       Sollten sie trotz aller Bedenken den Demokraten John Fetterman in den
       US-Senat wählen, könnte Joe Biden möglicherweise eine Mehrheit behalten. In
       Pennsylvania zeigt sich aber auch, wie dicht das Netzwerk von
       Trump-Unterstützern und konservativen Evangelikalen geworden ist. Wie viele
       Zweifel an Wahlen, an wissenschaftlichen Erkenntnissen und an historischen
       Fakten sich in den Köpfen breit gemacht haben. Und wie porös das Vertrauen
       in die Demokratie geworden ist.
       
       Im Wahlkreis 11, der sich zu großen Teilen mit Lancaster County deckt,
       werden voraussichtlich auch dieses Mal wieder die Republikaner siegen. In
       Lancaster sind zwei Dinge für politische Karrieren wichtig: Religion und
       eine Mitgliedschaft in der republikanischen Partei. Doch ist die
       Republikanische Partei dieser Midtermwahlen nicht mehr dieselbe wie vor
       2016. Die Präsidentschaft von Donald Trump hat tiefe Keile in sie
       getrieben. Radikale haben die Oberhand gewonnen. Von den alten
       Republikanern haben manche die Partei verlassen. Andere sind auf
       Tauchstation gegangen.
       
       ## Vom Republikaner zum Demokraten
       
       Für Bob Hollister war die Republikanische Partei jahrzehntelang das
       politische Zuhause. Das endete schlagartig am 7. Januar 2021. Es war der
       Tag, nachdem die Kapitolstürmer, die dem Aufruf von Trump nach Washington
       gefolgt waren, versucht hatten, die Bestätigung der Wahl von Präsident Joe
       Biden durch die beiden Kammern des US-Kongresses gewaltsam zu verhindern.
       
       Wegen der Zerstörungen und der Gewalt im Kapitol, die fünf Menschenleben
       kostete, musste die Bestätigung der Präsidentenwahl auf den nächsten Tag
       verschoben werden. Als die beiden Kammern schließlich zusammenkamen,
       machten sich 147 Republikaner die Behauptung Trumps über die „gestohlenen
       Wahlen“ zu Eigen. Acht der damals 51 republikanischen Senatoren und 139 der
       221 republikanischen Abgeordneten im US-Repräsentantenhaus stimmten gegen
       die Bestätigung von Joe Biden. Sie weigerten sich das Ergebnis von
       demokratischen Wahlen in den USA anzuerkennen. Und zwar, obwohl Wahlbeamte
       (sowohl Demokraten als auch Republikaner), obwohl Richter (darunter solche,
       die Trump ernannt hatte), und obwohl nationale und internationale
       Beobachter die Wahlen für legitim und korrekt erklärt hatten.
       
       Für Hollister war dieser Tag der „Wendepunkt“ in seinem politischen Leben.
       „Mein eigener Kongressabgeordneter“, sagt er, „hat gegen die Zertifizierung
       der meist überprüften Wahlen in der Geschichte des Landes gestimmt.“
       Hollister verließ die Republikanische Partei. Eineinhalb Jahre später ist
       der 55-Jährige der offizielle Kandidat der Demokraten in Lancaster County.
       
       An einem Abend zwei Wochen vor den Wahlen steht Hollister in der
       evangelischen St. Matthews-Gemeinde in Grandview Heights vor 20 Wählern.
       Seine Umfragewerte sind nicht gut. Sein Wahlkampfetat ist vergleichsweise
       winzig. Kurz vor Ende der Kampagne hat er laut der gemeinnützigen
       Organisation „Open Secrets“ nicht einmal mehr 100.000 Dollar übrig. Sein
       republikanischer Konkurrent, der gegenwärtige republikanische Abgeordnete
       Lloyd Smucker, hingegen hat noch eine knappe Million in der Kasse. Doch
       Hollister glaubt, dass er auch andere enttäuschte Republikaner abholen
       kann. „Nutzt diese letzten Tage“, fordert er sein Publikum auf:
       „telefoniert Euer A-dressbuch durch, klopft an Haustüren, bringt Eure
       Nachbarn und Freunde mit zur Wahl“. Dann rät er ihnen: „Lasst Euch nicht
       einschüchtern.“
       
       ## Amische mit erhobenem Daumen
       
       Bis zum letzten Jahr war Hollister Superintendent, der oberste Boss in
       einem Schulbezirk. Er ist ein Macher und Problemlöser. Ein Zentrist. Erst
       kürzlich hat er eine positivere Haltung zu Gewerkschaften entwickelt. Er
       selbst beschreibt sich als „moderat“ und „kapitalistisch“. Seine früheren
       Parteifreunde nennen ihn einen „radikalen Linken“. Mit diesem Etikett und
       den Worten: „zu ex-trem“ versuchen Republikaner quer durch die USA
       Demokraten zu disqualifizieren.
       
       Republikaner Smucker kam in einer amischen Familie zur Welt. Doch als er
       fünf Jahre alt war – lange vor dem Alter, in dem Amische getauft werden –
       verließen seine Eltern die Gemeinschaft. Jahre später knüpfte Smucker im
       Rahmen seiner politischen Karriere – zunächst im Senat von Pennsylvania,
       seit 2017 im US-Repräsentantenhaus – wieder bei den Amischen an. 2020
       zahlte sich das auch für Trump aus. Bei einem Meeting in Lancaster konnte
       er grinsend auf ein paar Männer in traditioneller Kleidung verweisen, die
       mit erhobenem Daumen hinter ihm standen. Außer Trump waren sie die einzigen
       Personen ohne Masken im Bild. Auf manchen der von Pferden gezogenen
       schwarzen Buggies, die auf den Seitenstreifen der Landstraßen in Lancaster
       County unterwegs waren, tauchten damals Trump-Poster auf. Es war ein
       Triumph. Die Amische genießen Steuerbefreiungen und Gesetze, die ihren
       isolierten Lebensstil möglich machen. Seit Generationen hatten sie sich an
       ihre ungeschriebene Regel gehalten: „Wir wählen nicht. Aber wir beten
       republikanisch“. Nur wenn es um Landwirtschafts-Themen ging, ließen sie
       sich gelegentlich in Wahllokalen sehen.
       
       Vor den aktuellen Midterms macht Smucker einen versteckten Wahlkampf. Er
       geht in Privathäuser. Er lädt sich selbst in Betriebe ein, wo er mit der
       Belegschaft sprechen kann. Öffentliche Meetings aber meidet er. Auch für
       Interviews steht er nicht zur Verfügung. „Eine Wahlkampfveranstaltung?“
       Zwei Wochen vor den Midterm-Wahlen reagieren die jungen Männer am Eingang
       des Büros der republikanischen Kandidaten am Ortsrand von Lancaster City
       irritiert, so als wäre die Frage abwegig. Heute machen sie „Phonebanking“
       für ihre Kandidaten. Erinnern Wähler telefonisch daran, „dass Wahlen
       kommen“. Und händigen Schilder mit den Namen ihrer Kandidaten aus, die man
       dann in den Rasen der Vorgärten stechen kann. Von öffentlichen Meetings im
       County aber wissen sie nichts. Auf telefonische Anfragen reagieren sie
       nicht, wimmeln die Reporterin an der Haustürschwelle ab. Einer überreicht
       eine handgeschriebene Email-Adresse ohne Namen. Auch von dort gibt es keine
       Rückmeldung.
       
       Verschlossen bleibt auch die LifeGate-Kirche in Elizabethtown. Sie ist
       einer der Orte in Lancaster County, wo evangelikale Dogmen und Trumps
       Politik zusammenkommen. Auch Leute aus dem Team von Gouverneurskandidat
       Mastriano beten und diskutieren dort. 2016 waren die konservativen
       Evangelikalen in den USA der größte Wählerblock für Trump. 2020 hielten sie
       ihm die Treue.
       
       ## Die Trump-Unterstützer von Elizabethtown
       
       Am 6. Januar 2021 organisierte eine Sekretärin der LifeGate-Gemeinde in der
       Kleinstadt Elizabethtown vier Busse voller Trump-Unterstützer, die Trumps
       Aufruf nach Washington folgten, um dort gegen den angeblichen „Diebstahl
       der Wahlen“ zu protestieren. Pastor Don Lamb sieht die Kirchen, die Welt
       und die Medien in einer schweren Krise. Aber ein Interview will er nicht
       geben. „Ihr Narrativ steht eh fest“, schreibt er, „und es ist eng und nicht
       informativ“.
       
       Für Danielle Lindemuth, die Sekretärin, die im Januar 2021 in der Gemeinde
       arbeitete und die vier Busse nach Washington organisierte, und ihren Mann
       Stephen, der ebenfalls nach Washington fuhr, hat seither eine politische
       Karriere begonnen. Ende 2021 kandidierten die Eheleute für den
       Schulausschuss in Elizabethtown. In ihrem Wahlkampf sprachen sie sich gegen
       Jugendromane über Polizeigewalt und gegen Black-Lives-Matter-Diskussionen
       im Unterricht aus. Sie waren auch gegen den Maskenzwang für Schüler.
       
       Die Lindemuths finanzierten 1.000 Dollar ihres Wahlkampfes aus eigener
       Tasche, die Republikanische Partei steuerte etwa weitere 20.000 Dollar bei.
       Beide wurden gewählt. Nur Wochen später protestierten Eltern in
       Elizabethtown gegen Einsparungen beim Kunst- und Sportunterricht, die von
       den beiden neuen Schulausschussmitgliedern unterstützt wurden.
       
       Über den 6. Januar 2021 wollen die Eheleute nicht mehr reden. „Das war ein
       Tag“, sagt Danielle Lindemuth. Der sei „schon lange her“. Und der habe
       keinen Einfluss auf ihr heutiges Tun. Um das Thema abzuschließen, trägt sie
       eine – so scheint es – auswendig gelernte Erklärung vor: „Wir haben an
       einer Kundgebung teilgenommen und wir haben unser Grundrecht auf
       Meinungsfreiheit ausgeübt. Wir dulden keine Gewalt und waren nicht an
       solcher beteiligt“. Jede weitere Frage über den 6. Januar, droht sie, würde
       zum sofortigen Ende des Gesprächs führen.
       
       ## Wertekompass sind die Bibel und die US-Verfassung
       
       Im aktuellen Midterm-Wahlkampf unterstützt Danielle Lindemuth den
       Gouverneurskandidaten Mastriano. Sie trägt seinen Namen als schillernde
       Brosche am Revers. Sie teilt seine Anliegen. Darunter das totale
       Abtreibungsverbot „ab der Empfängnis“ und seine Idee von der öffentlichen
       Schule, in der „Schöpfung und Evolution gleichberechtigt unterrichtet
       werden müssen. Weil beides Theorien sind“. Dass er wie sie Busse nach
       Washington organisiert hat, gehört nicht zu den Gemeinsamkeiten, die sie
       aufzählt.
       
       Stephen Lindemuth ist Aushilfslehrer an Schulen. Er predigt gelegentlich in
       der LifeGate-Kirche. Selbst bezeichnet er sich als
       „verfassungskonservativ“. Für ihn zählt ein „starkes Militär, eine starke
       Polizei, eine kleine Regierung und wenig Steuern“. Wenn ihn jemand einen
       „christlichen Nationalisten“ nennt, korrigiert er die Formulierung zu:
       „christlicher Patriot“. Damit kann er gut leben. Er ist froh über Trumps
       erste drei Amtsjahre, in denen er mehr erreicht habe „als andere
       Präsidenten in zwei kompletten Amtszeiten“. Und er würde ihn wieder wählen,
       falls er 2024 erneut kandidiere. Doch Stephen Lindemuth hält Trump für
       ersetzbar. „Er hat“, so sagt er, „viel Ballast, das schreckt Leute ab“.
       Andere Politiker, darunter der Gouverneur von Florida Rom DeSantis, könnten
       an seine Stelle treten.
       
       Die Bücher, auf die sich die Lindemuths beim Gespräch beziehen, sind die
       Bibel und die US-Verfassung. Beide Texte interpretieren sie so, wie sie
       glauben, dass sie zum Zeitpunkt ihres Entstehens gemeint waren. Wo
       Präsident Joe Biden Gefahren für die Demokratie in den USA sieht, sagt
       Danielle Lindemuth, dass davon in der Verfassung keine Rede ist: „Dies ist
       eine repräsentative Republik. Die Demokratie ist darin enthalten“.
       
       Bei einem Zwischenhalt der evangelikal-konservativen Roadshow „Reawaken
       America“ wenige Wochen vor den Wahlen zeigt sich die zahlenmäßige Stärke
       der Evangelikalen in Lancaster. Tausende Menschen sind für zwei Tage in das
       Sportzentrum am Rand von Lancaster City gekommen. Mindestens einhundert von
       ihnen steigen in eine schwarze Plastikwanne, um sich an Ort und Stelle
       taufen zu lassen. Trumps Sohn Eric telefoniert vom Podium aus mit seinem
       Vater. Religiöse Prediger am Mikrofon identifizieren Demokraten als
       „dämonisch“ und fragen das Publikum, ob es bereit sei, für Gott zu kämpfen.
       Auch Gouverneurskandidat Mastriano stand auf dem Programm. Doch bleibt er
       der Veranstaltung fern.
       
       ## Wahrheit, Nächstenliebe und Gott den Verlorenen
       
       „Kommt nach Hause zurück“, singt Daniel Deitrich ein paar Tage später in
       Lancaster City. Seine „[3][Hymne für die 81 Prozent]“ ist das Klagelied von
       einem, der seine spirituelle Heimat verloren hat. Er richtet sich an die
       Evangelikalen, die für Trump gestimmt haben. Er singt von Kindern in
       Käfigen, von Religion als Waffe und von Hass. Und er fleht seine
       evangelikalen Glaubensschwestern und – brüder an, sich auf ihre Werte zu
       besinnen: Wahrheit, Nächstenliebe, Gott.
       
       Als Deitrich seinen Song veröffentlichte, feuerte ihn seine damalige
       Arbeitgeberin, die South Bend-City-Kirche in Indiana. Doch ein
       evangelikaler Pastor aus Minnesota horchte auf. Doug Pagitt gehört zu dem
       kleinen liberalen Flügel der evangelikalen Gruppen. Er bot dem Sänger einen
       neuen Job an. Seit April 2021 tingeln die beiden nun zusammen mit weiteren
       Pastoren und Musikern durch den Mittleren Westen und entlang der Ostküste.
       Sie wollen die Gräben überwinden, die durch ihre Kirchen gehen. Wollen den
       Liberalen Mut zusprechen und die verlorenen Schäfchen zurückholen. Auf
       ihren orangefarbenen Bus haben sie das Motto ihrer Tour: „Glaube, Hoffnung,
       Liebe“ geschrieben.
       
       „Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages mein Land bereisen würde, um
       es gegen aufständische und christliche Nationalisten zu verteidigen“, sagt
       Pastor Doug Pagitt bei dem Halt in Lancaster. Ein paar Dutzend Wähler sind
       in das Groff-Zentrum gekommen. Die meisten sind „in der Kirche
       aufgewachsen“. Viele haben jahrzehntelang die Republikaner gewählt. Alle
       können nachvollziehen, was die Redner und Sänger mit dem „Schock von 2016“
       meinen.
       
       Auch die Brethren-Gemeinde in der Kleinstadt Elizabethtown sorgt sich über
       den wachsenden politischen Einfluss und die Intoleranz der konservativen
       Evangelikalen. „Jesus hat keine Lieblingsnation“, schreiben sie drei Wochen
       vor den Midterms [4][in einer ganzseitigen Anzeige in einem Lokalblatt].
       Der Text warnt vor „christlichem Nationalismus“ und dem Glauben, dass eine
       bestimmte Art von Christentum „anderen Religionen überlegen wäre“. Die
       Gruppe „Lancaster Stands Up“ versucht ebenfalls, linke Positionen im
       konservativen County hoch zu halten. Einer der drei Festangestellten ist
       Duncan Hopkins. [5][Mangels Alternativen wird er den moderaten Demokraten
       Bob Hollister am 8. November wählen].
       
       ## Demokrat mit langem Atem
       
       Duncan Hopkins ist 25 Jahre alt. Er nennt es „hart, ein junger Amerikaner
       zu sein“ und beschreibt seine wirtschaftliche Perspektive so: „Meine
       Generation kann nicht mehr von einem Eigenheim mit weißem Zaun träumen. Die
       meisten von uns verdienen gerade mal genug, um die Miete zu zahlen, haben
       Studienschulden und oft nicht einmal eine Krankenversicherung.“
       
       Trotzdem ist Duncan Hopkins optimistisch, dass eine Veränderung der
       Demokratischen Partei möglich ist. In seiner Freizeit läuft Duncan Hopkins
       bis zu 60 Meilen Cross Country. Er hat zwei Präsidentschaftswahlkämpfe für
       Bernie Sanders begleitet und zwei Niederlagen eingesteckt. Hopkins beweist
       einen langen Atem: „Wenn wir nichts tun, dann ist die Demokratie vorbei“.
       
       4 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Prominente-US-Demokratin-als-Angriffsziel/!5891377
   DIR [2] /Vor-den-US-Zwischenwahlen/!5889703
   DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=3GT-LfLpzzo
   DIR [4] https://www.brethren.org/news/2022/elizabethtown-church-places-ad/
   DIR [5] /Midterms-in-den-USA/!5888505
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
       ## TAGS
       
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