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       # taz.de -- Ausstellung „Die Grüne Moderne“: Trockene Lektion des Gummibaums
       
       > Die Ausstellung „Die Grüne Moderne“ im Kölner Museum Ludwig zeigt eine
       > „Neue Sicht auf Pflanzen“. Sie präsentiert sich als grüne Schau mit
       > Gender-Bezug.
       
   IMG Bild: In seinem Film „Blumenwunder“ zeigte Max Reichmann 1920 das Wachsen von Pflanzen
       
       Noch kürzlich galt der Gummibaum als Inbegriff der Spießigkeit, als
       staubiges Überbleibsel des Schrankwand-Horrors bürgerlicher Wohnzimmer.
       Doch jetzt sieht man ihn wieder in trendigen Interieurs und schicken Läden.
       Alles schon mal da gewesen. Als der „kleine grüne Kaktus“ in den 1930er
       Jahren von den Comedian Harmonists besungen wurde, war der damalige
       Pflanzenkult der ersten grünen Moderne auf seinem Höhepunkt angekommen.
       
       Pflanzen oszillieren als Thema derzeit auch in der Kunstwelt. Allein im
       Rheinland sind zwei Ausstellungen zu sehen, die über unser sich stetig
       wandelndes Verhältnis zu Pflanzen und damit zur Natur nachdenken. In der
       Langen-Foundation bei Neuss zeigt der angesagte Julian Charrière in einer
       sinnlich-opulenten Schau unter anderem tiefgekühlte Orchideen und Kakteen
       und die gigantische Installation „Panachronic Garden“.
       
       In einem dunklen Spiegelkabinett wuchern darin Farne und Schachtelhalme,
       wispernde Sounds lassen Wachstum und Bewegungen hören. Die urtümlichen
       Pflanzen aus den Karbonzeitalter bildeten einst die Grundlage der heutigen
       Kohleflöze der Region.
       
       ## Das Museum ökologisch gestalten
       
       Ganz anders geht das Kölner Museum Ludwig vor. Seit 2015 leitet Yilmaz
       Dziewior das Haus am Dom, der sich aktuell gegen ihn in der FAZ erhobene
       Vorwürfe zur Wehr setzen muss. Er soll unter anderem erst selbst in der
       Findungskommission für den deutschen Pavillon [1][der diesjährigen Biennale
       di Venezia] gesessen haben, die schließlich ihn als Kurator einsetzte.
       
       Programmatisch segelt Dziewior mit seinem Haus hart am aktuellen
       Diskurswind, was auch die Schau „Grüne Moderne“ unterstreicht. Das Haus
       leistet sich seit einem Jahr die bislang erste Kuratorin für Ökologie in
       einem deutschen Museum: Miriam Szwast ist zugleich Foto-Kuratorin und
       präsentiert nun mit „Grüne Moderne“ eine klimafreundliche Ausstellung, wie
       sie überhaupt das ganze Museum zukünftig konsequent ökologisch gestalten
       will.
       
       In der aktuellen Schau schlägt sich das unter anderem nieder in
       handgemalten Wandtexten (um Plastik zu sparen), der Übernahme der
       Architektur von früheren Ausstellungen, der Entscheidung, keine Originale
       auszuleihen und den Katalog nicht zu drucken, sondern kostenlos zum
       Download im Netz anzubieten. ([2][www.gruene-moderne.de]).
       
       ## Ein phallischer Blumenstängel?
       
       Die eigentliche Ausstellung über jene Zeit der ersten grünen Moderne im
       frühen 20. Jahrhundert zeigt dann überwiegend Fotografien. Zu sehen sind
       Kakteen-Arrangements als Clou modernistischer Wohnungseinrichtungen, man
       sieht Aufnahmen von Werner Mantz und Anne Biermann oder Nahaufnahmen
       verschnörkelt wirkender Pflanzen, in denen Karl Blossfeldt die „Urformen
       der Kunst“ erblickte. Aber auch Modefotografien, Theaterfotos, die belegen
       sollen, dass sich im Pflanzenkult der Weimarer Republik spätkoloniale
       Nachwehen und Sehnsucht nach Exotik mit damals schon aktuellen
       Geschlechterfragen trafen.
       
       Es kommt vieles zusammen, was zusammengehören soll. Etwa Alfred
       Eisenstaedts berühmtes Foto von Marlene Dietrich im maskulinen Frack mit
       weißer Riesenblume im Knopfloch als einzige ironische Referenz an das
       hergebrachte Bild von Weiblichkeit und Hugo Erfurths Porträt von Otto Dix
       mit einem einsamen (phallischen?) Blumenstängel im Wasserglas.
       
       ## Pflanzen sind lebendig
       
       Eine Wiederentdeckung ist Max Reichmanns Kinofilm „Blumenwunder“ von 1926:
       Eine Mischung aus Ballett- und wissenschaftlichem Zeitraffer-Film mit
       tanzenden Mädchen und Frauen und der Schutzgöttin Flora. Sie bilden aber
       nur die Rahmenhandlung für die Aufnahmen eines Chemiefabrikanten, der in
       Zeitraffer den Pflanzen beim Wachsen zusah. Mit den durch süffige
       sinfonische Musik rhythmisch untermalten Rankbewegungen der Pflanzen –
       häufig überblendet mit den tanzenden Frauen – veranschaulichte Reichmann
       erstmals breitenwirksam, dass Pflanzen lebendige Wesen sind. Das traf den
       Geist der neusachlichen Weimarer Republik.
       
       Etwa 30 Minuten dauert der kuriose Film. Und er ist das einzige wirklich
       sinnliche Vergnügen dieser Schau. In deren zu luftiger
       Ausstellungsarchitektur wirken die Fotos verloren und die mittels grober
       Klebestreifen befestigten Fotokopien aller nicht entliehenen Originale
       rustikal improvisiert. Das ökologische und das ästhetische
       Ausstellungmachen finden hier zu keiner überzeugenden Versöhnung.
       
       ## Ärgerlich, weil modisch verkürzend
       
       Auch die Wandtexte machen nicht glücklich. Ärgerlich, weil modisch
       verkürzend etwa jener neben einem Porträt [3][des Tanz-Genies Vaslav
       Nijinsky im Ballett] „Le Spectre de la rose“ von 1911, der da lautet: „In
       seiner Rolle als Rose, mit einem Kostüm voller rosafarbener Seidenblüten
       bekleidet, befreite er das Ballett von überlieferten Geschlechterrollen.“
       Wie bitte? Wenn überhaupt beabsichtigt, hätte Nijinsky offene Türen
       eingerannt in dieser Zeit der Umbrüche, außerdem finden sich im Theater
       seit der Barockzeit fluide Geschlechteridentitäten.
       
       Insgesamt bleibt man trotz interessanter Detailinformationen seltsam
       unberührt von der Ausstellung, die beim Klicken durch den Onlinekatalog
       triftiger wirkt als in der physischen Begegnung. Warum dann überhaupt noch
       Ausstellungen?
       
       3 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Auftakt-der-Kunstbiennale-in-Venedig/!5846732
   DIR [2] https://www.gruene-moderne.de/
   DIR [3] /Le-Sacre-du-Printemps/!5055310
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Regine Müller
       
       ## TAGS
       
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