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       # taz.de -- Zwei Jahre Bürgerkrieg in Tigray: „Wir vernichten euch“
       
       > Ein Abkommen weckt die Hoffnung auf Frieden im blutigen Konflikt um
       > Äthiopiens Region Tigray. Hunderttausende Menschen sind bereits getötet
       > worden.
       
   IMG Bild: Ein TPLF-Kämpfer in der Region Tigray, 2021: Gräueltaten und Vernichtungsfantasien auf allen Seiten
       
       Berlin taz | „Morgens kamen sie, einer nach dem anderen“, erzählte die
       junge Mutter aus Tigray über ihre vier Tage in der Gewalt äthiopischer und
       eritreischer Soldaten, als sie täglich vergewaltigt wurde. „Dann kamen sie
       abends wieder. Sie verbrannten mir die Brustwarzen mit einer Flamme. Bevor
       ich gehen durfte, schoben sie mir Steine, Plastik und Stoff in meine
       Scheide.“ Eine Schwangere erinnerte sich an [1][die eritreischen Soldaten]:
       „Sie sagten: Wir werden dein Blut säubern, wir werden dein Kind zerstören
       und du wirst keine Kinder mehr kriegen.“ Eine dritte erzählte, was
       Amhara-Milizionäre gesagt hätten: „Wir werden euch jagen. Hier wird es
       keine Tigrayer mehr geben. Wir vernichten euch.“
       
       Solche Aussagen füllen den im September veröffentlichten „vorläufigen“
       Untersuchungsbericht der Äthiopien-Expertenkommission des
       UN-Menschenrechtsrates. Der Bericht benennt die „besondere Gewalt und
       Brutalität“ gegen tigrayische Frauen und Mädchen und auch eine Politik der
       äthiopischen Regierung, „die Bevölkerung Tigrays systematisch Zugang zu
       überlebensnotwendigen Dingen und Diensten zu versagen, darunter
       Gesundheitsversorgung, Obdach, Wasser, sanitäre Einrichtungen, Bildung und
       Nahrung“.
       
       Manche Beobachter werten dies als Völkermord. Die US-Regierung schätzt
       [2][die Zahl der Toten] in zwei Jahren Tigray-Krieg auf 500.000.
       Unabhängigen Zugang zu den Kriegsgebieten gibt es nicht. Auch den
       Tigray-Kämpfern werfen die UN-Experten Gräueltaten vor. Der Krieg ist ein
       Kreislauf aus Gewalt und Rache.
       
       Besonders zynisch ist, dass die Kriegsführer jahrzehntelang gemeinsam in
       Äthiopiens Regierung saßen. Die TPLF (Tigray-Volksbefreiungsfront) ergriff
       1991 als Guerilla die Macht in Äthiopien und führte an der Spitze der
       multiethnischen Regierungskoalition EPRDF (Revolutionäre Demokratische
       Front der Äthiopischen Völker) ein autoritäres Regime.
       
       Angesichts zunehmender Proteste machte die EPRDF 2018 den Politiker Abiy
       Ahmed aus der größten äthiopischen Volksgruppe der Oromo zum
       Ministerpräsidenten. Abiy schloss Frieden mit Eritrea, gegen das die
       TPLF-Regierung Krieg geführt hatte, und startete eine politische Öffnung –
       aber zugleich setzte er ein auf seine Person zugeschnittenes Machtsystem an
       die Stelle der föderalen EPRDF, die er auflöste und durch seine eigene
       Wohlstandspartei ersetzte. Die TPLF machte dabei nicht mit. Sie behielt in
       Tigray die Macht, und als ihre Armee Anfang November 2020 auch Tigrays
       Militärinfrastruktur übernahm, kam es zum Krieg.
       
       ## Die Rebellen rückten fast bis nach Addis Abeba vor
       
       Erst eroberte Äthiopiens Armee Tigray, unterstützt von Eritrea sowie
       Amhara-Milizen. Dann verjagte die TPLF im Mai 2021 Äthiopiens Armee und
       rückte im Bündnis mit anderen Rebellen bis November 2021 fast bis nach
       Addis Abeba vor. Dann wendete sich das Blatt, die TPLF zog sich nach Tigray
       zurück und im März 2022 begann eine „humanitäre Feuerpause“. Genau [3][fünf
       Monate später, im August 2022, gingen die Kämpfe wieder los], brutaler als
       zuvor. Auch während der Friedensgespräche in Südafrika gab es keine
       Feuerpause.
       
       „Seit dem 9. Oktober fallen jeden Tag Granaten um Adigrat“, berichtete vor
       wenigen Tagen eine lokale Quelle aus dem humanitären Bereich in der Stadt.
       „Viele Menschen sind getötet worden, auch Kinder und Mütter. Wir haben
       alles geschlossen und den Mitarbeitern gesagt, sie sollen hingehen, wohin
       sie wollen, um ihr Leben zu retten.“
       
       ## Tötet der Krieg nicht, tut es der Hunger
       
       Der Bericht fährt fort: „Im Westen Tigrays wurden viele Städte – Adi Daero,
       Adi Hageray, Adinebried, Sheraro – zu Asche gemacht. Es gibt Schätzungen
       von bis zu 11.200 getöteten Zivilisten dort. Größere Städte wie Shire, Axum
       und Adwa sind unter eritreischer und äthiopischer Kontrolle und viele junge
       Leute wurden erschossen. In Shire wurden über 300 junge Menschen
       erschossen, in Adwa vergangene Woche 47. Die meisten jungen Leute schließen
       sich dem Krieg an, aus Angst, getötet zu werden.“
       
       Tötet der Krieg nicht, tut es der Hunger. Vor Kriegsbeginn waren zehn
       Prozent der sechs Millionen Einwohner Tigrays auf humanitäre Hilfe zum
       Überleben angewiesen. Heute sind es 90 Prozent. Seit Beginn der jüngsten
       Kriegsrunde am 24. August haben gar keine Hilfsgüter mehr Tigray erreicht.
       Im jüngsten UN-Lagebericht vom 1. November ist die Rede von 25.000 schwer
       unterernährten Kindern in Tigray, für die es keine Versorgung mehr gebe.
       
       3 Nov 2022
       
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