# taz.de -- Waffenstillstand in Äthiopien: Hoffnung auf Frieden in Tigray
> Nach zwei Jahren Krieg haben Äthiopiens Regierung und Tigray-Rebellen
> eine Friedenserklärung unterzeichnet. Das Ergebnis übertrifft viele
> Erwartungen.
IMG Bild: Unterwegs zur Essensausgabe im ländlichen Tigray: nach zwei Jahren Krieg ist die Provinz entvölkert
Berlin taz | Es war zuletzt der mörderischste Krieg der Welt. Nun hat
Äthiopiens Regierung mit den Rebellen der TPLF
(Tigray-Volksbefreiungsfront) Frieden geschlossen. Fast genau zwei Jahre
nach Kriegsausbruch in Tigray unterzeichneten Äthiopiens nationaler
Sicherheitsberater Redwan Hussien und TPLF-Sprecher Getachew Reda am
Mittwochabend in Südafrikas Außenministerium eine Erklärung über ein
„endgültiges Schweigen der Waffen“ als Teil eines „Abkommens für
dauerhaften Frieden und eine endgültige Einstellung der Feindseligkeiten“.
[1][Über eine Woche lang hatten äthiopische Diplomaten und
TPLF-Führungsmitglieder in Südafrikas Hauptstadt Pretoria hinter
verschlossenen Türen verhandelt], unter der Ägide zweier geachteter
ehemaliger afrikanischer Staatschefs: Olusegun Obasanjo aus Nigeria und
Uhuru Kenyatta aus Kenia, im Auftrag der Afrikanischen Union (AU). Die
ersten Direktgespräche in zwei Jahren Krieg hatten am 25. Oktober unter
düsteren Vorzeichen begonnen.
Die Kämpfe in Tigray hatten nach ihrem [2][Wiederaufflammen Ende August]
eine [3][mörderische Intensität] erreicht. Die Verluste auf beiden Seiten
bei rücksichtslosem Artillerie- und Drohnenbeschuss gingen in die
Zehntausende, dazu kam eine unbekannte Zahl ziviler Opfer der
Hungerblockade des TPLF-Gebietes durch Äthiopiens Regierung. Äthiopiens
Armee, unterstützt vom Nachbarland Eritrea, gelang Mitte Oktober der
Durchbruch ins TPLF-kontrollierte Hochland, aber ein Sieg war nicht in
Sicht.
Der TPLF [4][starb die Bevölkerung weg], während Äthiopiens Regierung vor
dem Staatsbankrott stand: In der globalen Krise infolge des Krieges in der
Ukraine, der [5][Verteuerung von Lebensmitteln und einer schweren Dürre]
war der Krieg im eigenen Land nicht mehr finanzierbar. Beide Seiten hatten
Interesse an einer Einigung, und die internationalen Vermittler in Pretoria
machten klar: Ihr geht hier nicht ohne ein Ergebnis weg.
## Das Ergebnis übertrifft viele Erwartungen
„Aufregend“ nannte das TPLF-Chefunterhändler Getachew bei der
Unterzeichnungszeremonie in Pretoria. Ein UN-Vertreter sagte:
„Offensichtlich war der Weg zu einer Einigung nicht leicht zu beschreiten.“
Äthiopiens Chefunterhändler machte klar, worin das Hauptinteresse seiner
Regierung besteht: „Nun ist die Zeit gekommen, unsere Beziehungen zu
unseren Partnern wieder aufzunehmen“ – also zu den Geldgebern, die sich
wegen des Krieges von Äthiopien abgewandt hatten.
Vordergründig übertrifft das Ergebnis nun alle Erwartungen: das Ende der
Kämpfe und der Anfang vom Ende der Tigray-Rebellion. „Die Parteien erklären
und verpflichten sich zu einer sofortigen und dauerhaften Einstellung der
Feindseligkeiten“, steht im Abkommen. Dies beinhalte „Minenlegen, Sabotage,
Luftangriffe, direkte oder indirekte Gewaltakte, Subversion oder
Destabilisierung der anderen Partei über Verbündete, Kumpanei mit jeder
äußeren Kraft, die gegenüber einer Partei feindlich eingestellt ist“ sowie
„alle Formen feindseliger Propaganda, Rhetorik und Hassrede“.
Bisher bezeichnet Äthiopiens Regierung die TPLF als Terrorgruppe, die samt
ihrer Unterstützer ausgelöscht gehöre, was ihr seitens der TPLF den Vorwurf
des Völkermordes eingebracht hat. Jetzt nannten die Chefunterhändler beider
Seiten die Gegenseite jeweils „Brüder“.
Innerhalb von 24 Stunden sollen die Militärkommandanten beider Seiten in
Kommunikation treten und dann den „umgehenden, reibungslosen, friedlichen
und koordinierten“ Einmarsch der äthiopischen Armee in Tigrays Hauptstadt
Mekelle ermöglichen. Binnen fünf Tagen sollen sie dann die Modalitäten
einer Entwaffnung der TPLF klären, die nach spätestens 30 Tagen
abgeschlossen wird. Humanitäre Hilfe soll fließen, ein politischer Dialog
soll starten. Überwacht wird das durch ein „Gemeinsames Komitee“ der AU mit
Militärexperten.
## Auch Eritrea muss in den Frieden eingebunden werden
„Wir haben Zugeständnisse gemacht“, bekannte TPLF-Chefunterhändler Getachew
in Pretoria und lenkte damit zugleich die Aufmerksamkeit auf Äthiopiens
Ministerpräsident Abiy Ahmed, an dem es nun liegt, ob der Frieden Realität
wird. Das Abkommen verpflichtet ihn, auch Eritrea und die
tigray-feindlichen Scharfmacher der Nachbarregion Amhara, die mit eigenen
Milizen den Westteil Tigrays kontrollieren, in den Frieden einzubinden.
Je weiter er ihnen entgegenkommt, desto mehr Vorbehalte dürften auf
TPLF-Seite wachsen und umgekehrt. „Die TPLF wird nur den Raum bekommen, den
Abiy ihr gewährt, und wenn er so agiert wie in der Vergangenheit, wird
dieser Raum schnell winzig oder nichtexistent werden“, warnt der
Äthiopien-Experte René Lefort und fürchtet den „gewaltsamen Vormarsch einer
Zentralmacht“.
„Die Augen der Welt richten sich nun von den Gesprächen auf die Umsetzung“,
sagte in Pretoria AU-Vermittler Obasanjo. „Die nächsten Tage werden sehr
kritisch“, meint Alan Boswell vom Konflikt-Thinktank Crisis Group, und
listet auf, womit das Friedensabkommen steht oder fällt: „Stellen die
Parteien wie vereinbart die Kämpfe ein? Versucht Eritrea, zu stören? Kommen
aus Addis Abeba oder Mekelle Signale von Dissens, Spaltung oder
Zweideutigkeit? Deuten die Parteien den Abkommenstext unterschiedlich?“
3 Nov 2022
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## AUTOREN
DIR Dominic Johnson
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