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       # taz.de -- Iranische Kamikazedrohnen: Steuerbare Sprengsätze
       
       > In Kiew haben Kamikazedrohnen für Chaos gesorgt. Relativ billig und
       > effektiv werden solche in Iran produziert. Die USA drohen darum mit
       > Sanktionen.
       
   IMG Bild: Mit etwa 2,5 Meter Flügelspannweite und bis zu 40 Kilo Sprengstoff an Bord: eine Shahed-136-Drohne
       
       Kairo taz | Sie sind im Anflug unglaublich laut, sie sind langsam, aber
       weil sie im Schwarm losgeschickt werden, kommen immer ein paar durch.
       Kamikazedrohnen stellen die neuste Art von Waffen dar, die Russland im
       Ukraine-Krieg einsetzt.
       
       Mit ihnen wurden in den vergangenen Wochen immer wieder Stadtzentren und
       Infrastruktur, darunter auch Kraftwerke, in der Ukraine attackiert –
       teilweise viele hundert Kilometer von der Front entfernt. Erst am Montag
       kam es zu russischen Schwarm-Angriffen mit Kamikazedrohnen in mindestens
       drei Regionen, darunter auch in der Hauptstadt Kiew.
       
       Russland hat dem Drohnensystem den Namen Geran-2 gegeben, aber die
       unbemannten Flugkörper sind baugleich mit den iranischen Kamikazedrohnen
       vom Typ Shahed-136. Losgeschickt werden sie von Abschussrampen, die auf
       Lkws montiert sind. Jeweils fünf können so pro Lkw in unmittelbarer Folge
       starten. Haben sie ihr Ziel erreicht, stürzen sie wie ein Kamikaze-Flugzeug
       herab. Der Sprengkopf explodiert, die Drohne zerstört sich dabei selbst.
       
       Mitte September wurden die ersten Kamikazedrohnenangriffe an den Fronten in
       der Ukraine dokumentiert, meist im Süden. Wahrscheinlich da, weil die
       mobilen Abschussrampen auf der Halbinsel Krim stationiert sind. Mit einer
       geschätzten Reichweite von tausend Kilometern können sie praktisch fast
       jedes Ziel in der Ukraine erreichen.
       
       ## Iran streitet Verkauf ab
       
       Die Shahed-136-Kamikazedrohnen produziert der iranische Hersteller Hesa. Im
       vergangenen Dezember demonstrierte die iranische Armee erstmals den Einsatz
       der Drohnen auf einem Video.
       
       Schon seit Jahren arbeiten [1][die Iraner an ihrem
       Angriffsdrohnen-Programm] und lassen diese immer wieder von ihren
       Verbündeten in der Region wie den Huthi-Rebellen im Jemen testen.
       Schlagzeilen machte im [2][September 2019 ein Angriff auf die saudische
       Ölanlage] Abaik, bei dem auch Drohnen aus dem Jemen zum Einsatz kamen.
       
       Der damalige Schaden an den Ölanlagen führte dazu, dass Saudi-Arabien seine
       Ölproduktion um 5,7 Millionen Barrel täglich reduzieren musste, die Hälfte
       der saudischen Ölproduktion. Weil Saudi-Arabien 10 Prozent des weltweit
       vermarkteten Öls produziert, bedeutete das, dass der globale Ölmarkt mit
       diesem Angriff 5 Prozent der Versorgung verlor. Die iranischen Drohnen
       hatten einen der neuralgischen Punkte der Weltwirtschaft getroffen.
       
       Laut unbestätigten Berichten soll eine russische Militärdelegation im Juli
       dieses Jahres im Iran einen Kaufvertrag über hunderte der neusten
       iranischen Drohnengeneration, den Shahed 136, unterschrieben haben, die in
       Folge geliefert wurden. Offiziell streitet die iranische Regierung das ab.
       
       Aber General Hussein Salami, der Chef der Iranischen Revolutionsgarden,
       konnte wohl nicht an sich halten und verkündete bei einer Rede vor
       Universitätsprofessoren in der Stadt Mashhad im vergangenen Monat, dass
       eine der großen Weltmächte jetzt iranische Waffen einsetze. Der Iran habe
       so viel Fortschritte gemacht, dass die Produktion fortgeschrittener
       Militärtechnologie inzwischen so einfach sei „wie die Herstellung von
       Fahrrädern“, erklärte er stolz.
       
       ## USA drohen mit Sanktionen
       
       In den USA ist man schon seit Längerem alarmiert über die iranischen
       Drohnen in der Ukraine. „Wir wussten, dass diese Drohnen in diesem Krieg
       eingesetzt werden. Und wir sind an die Öffentlichkeit gegangen und haben
       gesagt, dass die Russen nach Teheran gekommen sind, um sie zu kaufen. Wir
       müssen jetzt sehen, wie groß der Faktor ihres Einsatzes ist. Aber sie sind
       ohne Zweifel tödlich“, merkte John Kirby, der Sprecher des amerikanischen
       Nationalen Sicherheitsrats, bereits vergangene Woche im Radiosender Voice
       Of America dazu an.
       
       Nun versucht man in den USA und in Europa weitere Lieferungen zu
       unterbinden. Die [3][USA drohen mit Sanktionen gegen Unternehmen] und
       Länder, die in das iranische Drohnenprogramm involviert sind. „Jeder, der
       mit dem Iran Geschäfte macht, die eine Verbindung zu unbemannten
       Flugkörpern oder der Entwicklung ballistischer Raketen haben, sollte sehr
       vorsichtig sein“, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Vedant Patel
       am Montag.
       
       Die Shahed-Drohnen haben ein paar Nachteile und trotzdem können sie
       effektiv sein. Zunächst: Sie sind unglaublich laut und können Kilometer
       weit gehört werden. Und sie sind langsam. Ein Grund, warum ihnen die
       Ukrainer den Spitznamen „Moped“ gegeben haben.
       
       ## Drohnen sind relativ billig
       
       Weil sie so langsam sind, fielen die meisten Drohnen bei den russischen
       Angriffen am Montag der Luftverteidigung zum Opfer. „Wir bestätigen, dass
       wir 37 Kamikazedrohnen abgeschossen haben. Sie kamen alle aus dem Süden.
       Nach unseren ersten Schätzungen wurden 85 bis 96 Prozent der Drohnen von
       unserer Luftverteidigung zerstört“, verkündete der Sprecher der
       ukrainischen Luftwaffe Yuriy Ihnat.
       
       Doch weil sie in großen Schwärmen starten, ist es schwer für ein
       Luftverteidigungssystem, sie alle abzuschießen. Dazu kommt auch ein
       ökonomischer Faktor. Eine iranische Drohne ist mit einem geschätzten
       Stückpreis von 20.000 Dollar relativ billig. Die Systeme, die sie
       abschießen, sind oft vielfach teurer. Wie [4][die letzten Drohnenangriffe]
       bewiesen haben, können auch wenige durchkommende Drohnen Chaos und
       Verwüstung anrichten.
       
       Zumindest eines haben die iranischen Drohnen auf den Kopf gestellt.
       Normalerweise werden europäische Waffen in Kriegen im Nahen Osten in der
       Praxis getestet. Jetzt ist es einmal andersherum: Iranische Drohnen kommen
       in Europa zum Einsatz. Man darf sicher sein, dass sowohl die arabischen
       Nachbarn des Iran als auch die USA mit ihrer verbliebenen Präsenz im Irak
       und auch Israel sich diesen Praxistest in Europa ganz genau anschauen
       werden.
       
       18 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Karim El-Gawhary
       
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