URI: 
       # taz.de -- Bericht des Expertenrats für Klimafragen: Verriss der deutschen Klimapolitik
       
       > Die internationale Klimakonferenz COP 27 in Ägypten steht kurz bevor.
       > Fachleute stellen Deutschland ein miserables Zeugnis aus.
       
   IMG Bild: Es wird knapp: Der Verkehr muss sein Tempo beim Klimaschutz vervierzehnfachen
       
       Berlin taz | Eine Schulnote will Klimaforscherin Brigitte Knopf der
       deutschen Bundesregierung in Sachen Klimaschutz nicht geben. Das sei nicht
       ihre Aufgabe, sagte sie am Freitagvormittag bei der Vorstellung eines
       umfassenden [1][Gutachtens] zum Stand der deutschen Klimapolitik, an dem
       sie mitgewirkt hat. Das Papier liest sich auch so wie ein absolutes
       Armutszeugnis.
       
       Der Knackpunkt: Wenn es so weiter geht wie bisher, erreicht Deutschland
       sein Ziel für 2030 nicht, seine Treibhausgas-Emissionen im Vergleich zu
       1990 um 65 Prozent zu senken.
       
       Das aber ist Deutschlands Beitrag zum Pariser Weltklimaabkommen, mit dem
       alle Staaten der Welt die Erderhitzung bei „deutlich unter 2 Grad“ stoppen
       wollen, sodass die Klimakrise in ihrer Zerstörungskraft zumindest
       eingegrenzt wird. Mit jedem Zehntelgrad drohen mehr und stärkere
       Extremwetterereignisse, die Lebensraum und etwa auch die
       Ernährungssicherheit für zahlreiche Menschen gefährden.
       
       Das neue Gutachten zur deutschen Klimapolitik hat Knopf gemeinsam mit vier
       weiteren Sachverständigen erstellt, zusammen bilden sie den Expertenrat für
       Klimafragen. Das Gremium veröffentlicht gemäß dem deutschen
       Klimaschutzgesetz regelmäßige Prüfberichte zu den Klimaplänen der
       Bundesregierung.
       
       ## Tempo beim Klimaschutz muss sich mehr als verdoppeln
       
       „Generell reichen die bisherigen Emissions-Reduktionsraten bei Weitem nicht
       aus, um die Klimaschutzziele für das Jahr 2030 zu erreichen“, heißt es nun
       im Fazit. Das Urteil müssen sich vor allem die ehemaligen Regierungen unter
       Angela Merkel (CDU) als Kanzlerin gefallen lassen. Die
       Wissenschaftler:innen haben nämlich zunächst den Zeitraum von 2000 bis
       2019 betrachtet, in dem größtenteils Merkel mit SPD oder FDP regiert hat,
       anfangs jedoch auch Rot-Grün unter Gerhard Schröder (SPD).
       
       In den zwei Jahrzehnten sind die CO2-Emissionen zwar gesunken, nämlich um
       rund 27 Prozent. Gegenüber den vergangenen zehn Jahren müsse sich die
       durchschnittliche Minderungsmenge pro Jahr ab jetzt aber mehr als
       verdoppeln, damit Deutschland sein Klimaziel für 2030 erreicht. Und das ist
       nur der Durchschnitt.
       
       Das Problem ist: Fast die Hälfte der bisherigen Einsparungen kommt aus
       einem einzigen Wirtschaftssektor, nämlich der Energiegewinnung. In anderen
       Sektoren ist viel weniger passiert. Damit das Verkehrswesen seine
       Klimaziele schafft, muss es dem Gutachten nach seine jährliche
       CO2-Minderungsmenge sogar vervierzehnfachen.
       
       Oder wie der Energietechniker Hans-Martin Henning, der Mitglied des
       Expertenrats ist, es formuliert: Es gebe eine „erhebliche
       Erfüllungslücken“. Er zieht auf Basis des Gutachtens hart mit der deutschen
       Klimapolitik ins Gericht: „Bislang wurden praktisch keine Maßnahmen
       implementiert, die unmittelbar auf die Reduktion der Emissionen abzielen“,
       so der Experte.
       
       Es seien zwar erneuerbare Energien ausgebaut worden – aber man habe es
       verfehlt, gleichzeitig „den alten Kapitalstock“ abzubauen. Damit meint
       Henning die fossile Infrastruktur: Kohlekraftwerke, Öl- und Gasheizungen,
       Autos mit Verbrennermotor.
       
       Das ein sanftes Umsteuern beim bisherigen Kurs ausreiche, bezweifeln die
       Expert:innen. Sie stellen zur Debatte, „harte“ Emissionsgrenzen einzuführen
       statt nur Zielmarken im Klimaschutzgesetz festzuschreiben.
       
       Eine Option dafür sei ein Emissionshandel nach europäischem Vorbild für
       Deutschland. Dort gibt es nur eine gewisse und regelmäßig abnehmende Anzahl
       an Emissionsrechten, die verteilt und verkauft werden. Und die zur
       Teilnahme an dem Handel verpflichteten Wirtschaftszweige, nämlich die
       Energiewirtschaft und die Großindustrie, müssen für jede emittierte Tonne
       CO2 ein solches Emissionsrecht nachweisen.
       
       Anfang der Woche waren Eckpunkte der Ampelregierung zu einem
       Klimasofortprogramm bekannt geworden, mit dem sich die Lücke bis 2030
       angeblich schließen lasse – [2][allerdings nicht im Verkehrswesen].
       
       „[3][Bei der COP 27], die am Sonntag beginnt, wird Bundeskanzler Scholz den
       anderen Ländern erklären müssen, warum Deutschland nicht entschiedener
       gegen die Klimakrise vorgeht“, beklagte Christiane Averbeck, Chefin der
       Klima-Allianz, einem deutschen Dachverband von Klima-, Umweltverbänden und
       Sozialverbänden.
       
       4 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://expertenrat-klima.de/content/uploads/2022/11/ERK2022_Zweijahresgutachten.pdf
   DIR [2] /Nicht-genuegend-CO2-Minderung-bis-2030/!5888706
   DIR [3] /Weltweite-Klimaschutzbemuehungen/!5889123
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Schwarz
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Klimakonferenz in Dubai
   DIR CO2-Emissionen
   DIR Klimakonferenz in Dubai
   DIR IG
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Ägypten
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Europäischer Emissionshandel: Deutschlands Bewährungsprobe
       
       Der Beschluss des neuen Emissionshandels fordert auch die Bundesregierung
       heraus. Gerade im Verkehrs- und Bauwesen reißt Deutschland seine
       Klimaziele.
       
   DIR COP27 in Scharm al-Scheich: Weltrettung aufgeschoben
       
       In Ägypten beginnt der Weltklimagipfel. Droht ein Scheitern der Konferenz?
       Einiges spricht leider dafür.
       
   DIR Klimaforscher zur COP27: „Durchaus Gründe zur Hoffnung“
       
       Teile der Ampel hätten die Dringlichkeit des Klimaschutzes nicht
       verstanden, so Stefan Rahmstorf. Die Emissionen müssten auf null.
       Klimafreundliche Technik sei bereits vorhanden.
       
   DIR Debattenkonvent der SPD: Sozialdemokraten in gerechter Mission
       
       Die SPD schlägt Pflöcke für künftige Wahlen ein – mit Klimaneutralität und
       Umverteilung. Unklarheit herrscht beim Thema Rolf Mützenich und
       „Terrorliste“.
       
   DIR Weltweite Klimaschutzbemühungen: „Zu wenig“
       
       Drei Berichte zum Start der Weltklimakonferenz COP 27 haben eines
       gemeinsam: In ihrer Überschrift findet sich das Wort „Gap“ – englisch für
       „Lücke“.
       
   DIR COP27 in Ägypten: Die Schuldigen zur Kasse
       
       Bei der bevorstehenden COP27 in Ägypten geht es um Klimagerechtigkeit. Die
       größten Leidtragenden sind oft die kleinsten Verursacher der Erderwärmung.
       
   DIR Nicht genügend CO2-Minderung bis 2030: Regierung lässt Verkehr-Klimalücke
       
       Eckpunkte für ein Klima-Sofortprogramm der Bundesregierung zeigen: Bei der
       Mobilität reichen die Pläne der Ampel-Koalition nicht annähernd.