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       # taz.de -- Die Wahrheit: Kommt nun der Waschzwang?
       
       > Die Bundesregierung bietet jetzt Kurse zur energieeffizienten
       > Körperpflege an. Zur Zeitenwende gehört auch ein Waschwechsel.
       
   IMG Bild: Habeck versichert: Die nachhaltige Nutzung der Bundeslappen ist möglich und intendiert
       
       „Was ist das?“ Jonas schaut ratlos auf das blaue Stück Frotteestoff in
       seiner Hand. „Das“, erklärt Sybille Stechlin mit ruhiger Stimme, „ist ein
       Waschlappen.“ –„Und wie soll ich mich damit duschen?“ Jonas ist
       fassungslos. Der 19-Jährige ist einer von etwa zwanzig Teilnehmenden am
       Basisseminar „Waschen für Anfänger*innen“. Sie alle drängeln sich mit mehr
       oder minder freiem Oberkörper im Waschraum einer Berliner Gesamtschule. Es
       riecht wie in einer Umkleide nach dem Sportunterricht, was daran liegen
       kann, dass die gleich nebenan liegt.
       
       An der Stirnseite des Raums steht ein modernes Role-up mit einer
       schematischen, genderneutralen Körperdarstellung eines unbekleideten
       Menschen. „Die roten Kreise da“, erklärt uns die Kursleiterin und deutet
       auf das Brustbein der Figur, „markieren die potenziellen Ziele für ein
       effizientes soap targeting.“
       
       Die Aquakulturanthropologin Stechlin ist pädagogische Leiterin dieses
       Pilotprojekts des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz.
       Aufgelegt wurde es, nachdem die im Sommer unter anderem vom
       baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann
       angestoßene Debatte um den vermehrten Einsatz von Waschlappen anstelle
       ausgiebigen, täglichen Duschens bislang zu keinem merklichen
       Minderverbrauch an Warmwasser geführt hat. Nun naht der Winter, es drohen
       Blackouts, die Lage ist ernst. Die Regierung reagiert.
       
       „Es ist wie bei der Coronaimpfung. „Appelle allein helfen nicht“, seufzt
       Robert Habeck, der als Minister oberster Dienstherr des bundeseigenen
       Waschbataillons ist: „Man muss die Menschen aufklären, sie an die Hand
       nehmen und mit ans Waschbecken.“ Deshalb fangen die Seminare auch bei den
       Grundlagen an, führt die Projektleiterin aus: „Was ist Wasser? Wie
       funktioniert Seife? Wie bringe ich beides zusammen?“
       
       ## Eingestickter Adler
       
       Die tägliche Dusche habe den Waschlappen während des letzten Jahrhunderts
       völlig verdrängt. „Das Waschen per Hand ist eine Kulturtechnik, die
       hierzulande fast in Vergessenheit geraten ist. Nur noch alte Sä …, äh,
       Männer wie Kretschmann kennen sie. Viele Deutsche haben ihr Auto häufiger
       gewaschen als sich selbst“, schmunzelt Sybille Stechlin. „Das ist wie mit
       anderen Techniken. Man weiß noch, dass es sie gibt, hat aber keine genaue
       Vorstellung mehr davon. Man könnte sagen: Der Waschlappen ist das Fax der
       Körperpflege.“
       
       Tatsächlich steht Jonas mit seinem Waschlappen, verziert mit einem
       eingestickten Bundesadler, in der Hand ähnlich ratlos da, als habe er
       gerade den Auftrag erhalten, diesen Lappen ans Wirtschaftsministerium zu
       faxen. Zögerlich hält er die Frottierware unter den Wasserhahn. „Gut machst
       du das, Jonas“, lobt ihn Sybille Stechlin, „und dann noch Seife drauf und
       rein damit in die Achselhöhle und bewegen, als würdest du eine Katze
       streicheln oder deine Freundin. Aber mach den Wasserhahn dabei aus!“
       
       Anfangs habe man noch mit Rollenspielen gearbeitet, verrät die
       Kursleiterin. „‚Riechen Sie mal an der Achsel Ihres Nachbarn‘ und so.“ Aber
       das hat die Probanden regelmäßig kollabieren lassen. Einige fielen ins
       Waschkoma. Daher nun das schematische Role-up mit den olfaktorischen
       Schwitzpunkten.
       
       „Wir mussten uns ja auch erst mal ein Bild über die Unwissenheit der
       Bevölkerung machen.“ Die sei größer als gedacht. „Zum Kursmodul,Intimpflege
       mit Hygieneschwämmen' kamen die Menschen tatsächlich mit Putzschwämmen und
       Ako-Pads an!“
       
       Für Menschen, die aus persönlichen, gesundheitlichen oder religiösen
       Gründen die Benutzung von Waschlappen ablehnen, bietet man auch Aufbaukurse
       im energiesparenden Duschen an. Die Seminare dieser „Brauseakademie“ sind
       wochenlang im Voraus ausgebucht.
       
       „Oberste Regel: Niemals so heiß oder lange duschen, dass die Haut sich
       rötet!“, schärft Sybille Stechlin ihren Brauselehrlingen ein. „Ganz
       einfache Eselsbrücke: Rote Haut gefällt nur dem Russen!“
       
       ## Bundeswaschstraße
       
       Zielgruppenorientierte Broschüren runden das Angebot der Bundeswäscherei
       ab. Sie tragen Titel wie „Männer*waschanleitung“, „Frauen*waschanleitung“
       oder „Mischwäsche“. Daneben entdecken wir aber auch ein hübsch
       illustriertes Kinderbuch: „Erforsche Deine Achselhöhle!“
       
       Die Ergebnisse der Waschseminare sind durchweg positiv, fassen
       Projektleiterin und Minister die Pilotphase zusammen. Selbst Jonas kommt
       uns frisch gewaschen entgegen, nur seine Haare sehen noch etwas fettig aus.
       Er wirkt glücklich. „Ich hatte nur gehört, hier geht’s irgendwie um Klima.
       Da hab ich gedacht, man lernt hier, wie ich Gemüsesuppe auf Gemälde werfe.
       Aber so ’n Waschlappen ist viel cooler!“
       
       Stolz tätschelt Robert Habeck dem 19-Jährigen den Kopf und wischt sich
       hinterher unauffällig die Hand an der Anzughose ab, während er die nächsten
       Schritte der Kampagne erläutert.
       
       „Zur Zeitenwende gehört auch ein Waschwechsel“, erklärt Habeck. „Wir
       planen, die vielerorts stillliegende Infrastruktur der Impfzentren in
       öffentliche Waschhäuser umzuwidmen, in denen sich die Bevölkerung unter
       geschulter Fachanleitung energieeffizient waschen kann.“
       
       „Aber keine Sorge“, fügt er hinzu. „Wir setzen da auf die
       Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Es wird keinen staatlichen
       Waschzwang geben!“ 60 Millionen Waschlappen mit Bundesadler hat das von ihm
       geführte Ministerium bereits geordert. „In China, aber aus Biofrottee.“
       Aber: Droht damit nach Jens Spahns Maskendeal nicht schon das nächste
       Beschaffungsdebakel?
       
       „Nein“, versichert Robert Habeck. „Eine nachhaltige Nachnutzung der
       Bundeslappen ist jederzeit möglich und intendiert. Etwa bei der Bundeswehr,
       in Flüchtlingsunterkünften oder fürs Aufwischen bei Lecks im Atomkraftwerk
       Isar 2.“
       
       Derzeit befänden sich in allen größeren Städten staatliche Waschzentren im
       Aufbau. Dafür wird händeringend nach Personal gesucht. „Staatlich
       zertifizierte*r Frottist*in“ nennt sich die Weiterbildung zur
       Lappenassistenz, die allen Fachkräften aus den Bereichen Hygiene,
       Aquaristik und Wasserbau offensteht. „Also im Grunde allen. Wer nicht
       gerade stinkt wie ’n Iltis, ist qualifiziert“, fasst Robert Habeck
       zusammen.
       
       18.30 Uhr. Im Waschraum der Gesamtschule macht Sybille Stechlin Feierabend.
       Sechs Kurse hat sie heute gegeben, acht weitere beaufsichtigt. „Verraten
       Sie es bitte keinem“, raunt sie uns zu. „Aber nach so einem Arbeitstag
       brauche ich als erstes eine heiße Dusche.“
       
       5 Nov 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Volker Surmann
       
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