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       # taz.de -- Kunsthistorikerin über Kriegsführung: „Kultur ist ein strategisches Gut“
       
       > Der Angriffskrieg Russlands zielt auch auf Kulturgüter. Kunsthistorikerin
       > Olena Balun über die Zerstörung von Kultur als Mittel der Kriegsführung.
       
   IMG Bild: Kultur als Kriegsziel: Das Zentrale Kulturhaus in Irpin nach einem russischen Angriff im Mai 2022
       
       taz: Frau Balun, das [1][Theater in Mariupol], das
       Gregorius-Skoworoda-Literaturmuseum bei Charkiv: Mehr als 450
       Kulturerbestätten in der Ukraine wurden seit Februar 2022 zerstört. Was ist
       dort gerade besonders bedroht? 
       
       Olena Balun: Sicher ist gar nichts mehr, aber besonders bedroht sind
       Kulturerbestätten in besetzten und umkämpften Gebieten.
       
       Beschießt Russland ukrainische Kulturgüter gezielt? 
       
       Raub, Fremdaneignung und auch gezielte Zerstörung der Kulturgüter, die auf
       ukrainische Zugehörigkeit und Eigenständigkeit verweisen, war schon lange
       Teil der russischen Kolonialpolitik gegenüber der Ukraine. Im russischen
       Imperium, in der Sowjetunion – und nun auch in diesem Krieg.
       
       Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann sieht darin den Versuch, die
       Identität der ukrainischen Nation in ihrer Vielsprachigkeit,
       Multireligiosität und Multikulturalität zu vernichten. Sie stammen selbst
       aus Kiew beziehungsweise Kyiw – wie deuten Sie dieses Vorgehen? 
       
       Ja, das ist ein erklärter Krieg gegen die ukrainische Kultur und Identität.
       Russische Politiker:nnen und regierungstreue Journalisten:nnen
       bekennen sich inzwischen ganz offen dazu. Es ist schauderhaft, wie dreist
       sich Russland dazu äußert – und erstaunlich, wie wenig das hier in
       Deutschland anscheinend bewusst ist.
       
       Im Krieg geht es für die Menschen um Leben und Tod, welchen Stellenwert
       haben da bedrohte Kulturgüter? 
       
       Kultur hat einen [2][enormen Stellenwert]. Sie macht uns als Menschen, als
       denkende Wesen aus. Und sie ist identitätsstiftend. Löscht man die aus,
       löscht man die Eigenständigkeit eines Landes und eines Volkes aus. Also ist
       sie in diesem Krieg definitiv ein strategisches Gut. Zerstörungen und Raub
       sind der tragische Beweis dafür.
       
       Sie koordinieren das [3][Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine]. Wie sieht Ihre
       Arbeit aus? 
       
       Vor dem Krieg habe ich an Ausstellungskonzeptionen gearbeitet. Jetzt
       bestehen meine Aufgaben zu einem großen Teil aus der Koordination der
       Kommunikation zwischen denen, die in der Ukraine Hilfe brauchen, und denen
       in Deutschland, Österreich und in der Schweiz, die helfen möchten.
       
       Was heißt das genau? 
       
       Es geht um Bedarfsermittlung und Hilfsangebote, Logistik in Deutschland und
       in der Ukraine und Verteilung der Güter, Verknüpfung von innerukrainischen
       Koordinationsstellen, Dolmetschen. Zum Glück arbeite ich in einem richtig
       guten Team.
       
       Mehrere Stiftungen unterstützen das Netzwerk, auch der Bund gibt Geld. Was
       brauchen Sie derzeit am dringendsten? 
       
       Notstromgeneratoren, Powerbanks, nach wie vor Transportboxen und
       Verpackungsmaterial. [4][Für Archive und Bibliotheken ist es
       Digitalisierungstechnik], um bewegliche Kulturgüter zu schützen. Bei
       Baudenkmäldern ist dies insgesamt schwieriger.
       
       Jüngst attackierten Klimaschützer:innen auch in Deutschland
       Kunstwerke. Wie wirkt dieser „Bildersturm“ auf Sie? 
       
       Wir sind damit beschäftigt, LKWs mit Hilfsgütern quer durch Europa in die
       Ukraine schicken, wo sie unter Lebensgefahr bis an die Front gebracht
       werden, um Museenbestände zu retten. Und hier beschädigt man mutwillig
       Kulturgüter von enormer Bedeutung und meint, das zum guten Zweck zu tun …
       Das ist absurd und bizarr und zielt auf maximale öffentliche
       Aufmerksamkeit. Ich halte das für großen Unfug einer Wohlstandsgesellschaft
       – auch wenn die Auswirkungen und Probleme der Klimaveränderung nicht von
       der Hand zu weisen sind.
       
       8 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Bis-zu-600-Tote-im-Theater-Mariupol/!5852827
   DIR [2] /Theaterleiter-ueber-sein-Haus-in-Mariupol/!5843112
   DIR [3] https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/netzwerk-kulturgutschutz-ukraine-ins-leben-gerufen-2018410
   DIR [4] /Digitale-Kulturgueter-in-der-Ukraine/!5844619
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frauke Hamann
       
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