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       # taz.de -- Kampf gegen hohe Energiekosten: Energiegeld statt Energiepreisdeckel
       
       > Was tun gegen die hohen Strom- und Gaspreise? Ein Energiegeld pro Kopf
       > wäre eine Möglichkeit – eine mit mehreren Vorteilen.
       
   IMG Bild: Kerzenwärme? Es gibt durchaus effektivere Arten, die eigenen vier Wände zu heizen
       
       Die zwischen Bund und Ländern erzielte Einigung zur [1][Gas- und
       Strompreisbremse] geht in die falsche Richtung. Die Mehrkosten treffen
       Geringverdiener weitaus stärker als Besserverdienende, die Lenkungswirkung
       hoher Energiepreise wird deutlich geschwächt. Das makroökonomische Institut
       IMK der Böckler-Stiftung hatte für den Gaspreis [2][ein Alternativmodell]
       durchgerechnet, bei dem das Kontingent in Abhängigkeit von der Anzahl der
       Personen pro Haushalt festgelegt werden sollte. Die Kosten dafür wären nur
       halb so hoch wie bei dem von der Gaspreiskommission empfohlenen Modell, dem
       sich nun Bund und Länder angeschlossen haben.
       
       Allerdings fehlten für das Modell des IMK die Daten darüber, wie viele
       Personen in einem Haushalt mit Gasversorgung leben. Und natürlich gibt es
       auch Geringverdiener mit wenig Personen je Haushalt in schlecht gedämmten
       Wohnungen, die beim Pro-Kopf-Kontingent schlechter abschneiden könnten.
       
       Was für den Gaspreis allein schwierig erscheint, wird einfacher, wenn alle
       Energiearten betroffen sind. Die Bund-Länder-Einigung geht ja auch weit
       über den Gaspreis hinaus. Preise für Fernwärme sollen ebenso gedeckelt
       werden wie die Strompreise, Finanzhilfen für Öl und Holzpellets wurden
       zumindest angedeutet.
       
       Anstelle eines Preisdeckels wäre eine Reduzierung der durchschnittlichen
       Nettokosten weitaus zielführender. In der Schweiz wird seit 2008 eine
       CO2-Abgabe auf alle fossilen Brennstoffe erhoben. Zwei Drittel der
       Einnahmen werden je Kopf der Bevölkerung zurückgezahlt, pro Monat über die
       gesetzliche Krankenkasse. Das Modell hat es ermöglicht, dass die Schweizer
       inzwischen bei einer Abgabenhöhe von 120 Euro je Tonne CO2 angekommen sind.
       
       In Abwandlung des Schweizer Modells könnten die für Haushalte geplanten
       Subventionen zu 100 Prozent als Energiegeld je Kopf der Bevölkerung gezahlt
       werden. Anders als beim Pro-Kopf-Kontingent des IMK müssten keine
       zusätzlichen Daten erfasst werden. Der jeweilige Preis würde bestehen
       bleiben und damit die volle Lenkungswirkung.
       
       ## Energieverbrauch korreliert mit steigendem Wohlstand
       
       Die Vorteile wären ähnlich wie beim Alternativmodell des IMK: sozial
       gerechter, stärkere Lenkungswirkung, kostengünstiger. Das Energiegeld, als
       Ausgleich zu den gestiegenen Heizkosten, würde als monatlicher Betrag
       gezahlt werden – vom Finanzamt, von der Arbeitsagentur, von wem auch immer.
       
       Der hohe Gaspreis im kommenden Winter (geschätzt doppelt so hoch wie der
       auf 12 Cent pro kWh subventionierte Preis) würde dagegen seine volle
       Lenkungswirkung beibehalten. Wer im letzten Jahr deutlich mehr als der
       Durchschnitt verbraucht hat, bekäme auch nur das durchschnittliche
       Energiegeld.
       
       Gegen eine solche Regelung kommt vermutlich sofort das Beispiel vom armen
       Rentner in der schlecht gedämmten Altbauwohnung. Der Einwand ist
       prinzipiell berechtigt. Nur sollte man nicht immer den sogenannten kleinen
       Mann vorschieben, wenn vor allem Gut- und Besserverdienende Nutznießer der
       angeblich „bewährten Gießkannen-Subventionierungen sind.
       
       Die [3][Süddeutsche Zeitung] hat gerade über eine Studie zum Verhältnis von
       Einkommen und Energieverbrauch berichtet. Der Energieverbrauch steigt
       proportional mit wachsendem Einkommen. 60 Prozent der Haushalte liegen
       unter dem Durchschnittsverbrauch. Nur bei den reichsten 10 Prozent schießt
       die Kurve für den Energieverbrauch steil nach oben. Diese 10 Prozent
       verbrauchen genauso viel wie die ärmsten 40 Prozent der deutschen Haushalte
       zusammen.
       
       Damit sollte klar sein, wo das größte Einsparpotenzial liegt und wem eine
       Abschwächung des Preishebels vor allem zugutekommen würde. Geringverdiener
       in schlecht gedämmten Wohnungen könnten zielgerichtet und kostengünstiger
       über Instrumente wie Wohngeld oder Heizkostenzuschüsse unterstützt werden.
       
       ## Fehlanreize bei Strom und Wirtschaft
       
       Dass die Preisbremse nun auch auf den Strompreis erweitert werden soll,
       treibt die Fehlanreize auf die Spitze. Viele Haushalte, vermutlich nicht
       die ärmsten, haben sich für diesen Winter mit Elektroheizkörpern
       eingedeckt. Die Stadtwerke warnen schon vor möglichen Stromausfällen. Statt
       eines Strompreisdeckels sollten eher Maßnahmen gegen das Ausweichen auf
       Stromheizungen vorbereitet werden. Am einfachsten über die Erhöhung der
       Stromsteuer. Die Mehreinnahmen könnten einfach über das Energiegeld
       zurückgezahlt werden.
       
       Auch für Industrie und Dienstleistungsbranchen wäre es wichtig, von der
       Gießkanne wegzukommen. Die Subventionen sollten auch hier nicht beim Gas-
       oder Strompreis ansetzen, sondern als Direktzahlungen an die Unternehmen
       fließen, um die Lenkungswirkung der Preise voll wirksam werden zu lassen.
       
       Beim CO2-Steuer-Modell der Schweiz werden [4][zwei Drittel der
       CO2-Steuer-Einnahmen] an die Arbeitgeber zurückverteilt. Ähnlich könnten
       die jetzt geplante Subventionen an die Unternehmen verteilt werden.
       
       Wir würden quasi nebenbei ein Instrument einführen, welches wir nicht nur
       zur Lösung der aktuellen Energiekrise brauchen, sondern auch zur
       Bewältigung der drohenden Klimakatastrophe. Ein solches Modell sollte
       eigentlich für alle Ampelparteien attraktiv sein. Für die Grünen wäre es
       der Einstieg in eine aktive Klimapolitik, die FDP könnte auf die Stärkung
       der Marktkräfte und die Reduzierung der Schuldenlast verweisen, für die SPD
       wäre es eine starke Entscheidung gegen die sich zuspitzende soziale Krise.
       
       Die vielen aktuellen Krisen getrennt voneinander zu lösen, wird schon aus
       finanziellen Gründen nicht funktionieren. Nicht im reichen Deutschland,
       erst recht nicht in den ärmeren Ländern Süd- und Osteuropas. Nirgendwo.
       
       8 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Entlastungspaket-der-Bundesregierung/!5889018
   DIR [2] https://www.tagesspiegel.de/zwischen-15-und-37-milliarden-euro-sechs-varianten-fur-einen-gaspreisdeckel-8701486.html
   DIR [3] https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/wirtschaft/energie-energiekrise-strom-gas-oel-e670572/
   DIR [4] https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/klima/fachinformationen/verminderungsmassnahmen/co2-abgabe.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gerhard Hübener
       
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