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       # taz.de -- COP27 in Scharm al-Scheich: Weltrettung aufgeschoben
       
       > In Ägypten beginnt der Weltklimagipfel. Droht ein Scheitern der
       > Konferenz? Einiges spricht leider dafür.
       
   IMG Bild: Teilnehmer:innen der Weltklimakonferenz treffen am ersten Tag des Gipfels im Plenarsaal aufeinander
       
       Berlin taz | Es war ein Start mit Hindernissen. Zehn Tage vor der
       Klimakonferenz von Scharm al-Scheich präsentierte Simon Stiell, seit August
       neuer Exekutivdirektor des UN-Klimasekretariats UNFCCC, eine
       Zusammenfassung der Klimapläne aus 193 Ländern. Allerdings klappte bei der
       Videokonferenz erst einmal gar nichts: Sie begann verspätet, Stiell war
       nicht zu hören, der Bildschirm fiel aus. Die ganze Schaltung musste neu
       gestartet werden.
       
       Es fällt schwer, darin kein böses Omen zu sehen. Denn im globalen
       Klimaschutz klappt derzeit nicht allzu viel. Stiell verkündete dann auch
       ernüchternde Zahlen: [1][Nur 24 von 193 Ländern haben wie versprochen neue
       Klimapläne (NDC = Nationally Determined Contributions) vorgelegt.] Im
       besten Fall führen diese Planungen zu einer Erderhitzung von 2,5 Grad bis
       2100. Die Welt sei „nicht einmal in der Nähe dessen, was nötig ist“, um die
       Versprechen des 1,5-Grad-Ziels einzuhalten, so Stiell.
       
       Er hatte auch gute Nachrichten. Aber wie die aussehen, sagt vielleicht noch
       mehr darüber aus, wie schlecht es um den Klimaschutz steht. Denn
       tatsächlich versprechen die neuen NDCs weniger Emissionen bis 2030 – aber
       nicht absolut, sondern nur einen geringeren Zuwachs: Statt bei 13 Prozent
       sollen sie 2030 nur noch 10 Prozent über dem Niveau von heute liegen. Für
       die Pariser Ziele müssten sie bis 2030 aber um ganze 43 Prozent sinken.
       
       An solche „guten Nachrichten“ klammern sich weltweit die
       KlimaschützerInnen, die noch auf den UN-Prozess setzen: Einige Trends
       deuten vorsichtig in die richtige Richtung, während die allgemeine
       Entwicklung Richtung Katastrophe zeigt. Für einen Autofahrer hieße das: Wir
       nehmen den Fuß leicht vom Gas. Und rasen nur noch mit 150 statt mit 160
       Kilometern pro Stunde auf die Wand zu.
       
       ## Viele Regierungen haben andere Prioritäten
       
       Die weltweite Lage hat sich rund um das Klimathema im letzten Jahr so
       zugespitzt wie seit Jahrzehnten nicht mehr: Die Klimakrise eskaliert; der
       ohnehin wackelige Zusammenhalt unter den UN-Staaten in globalen Fragen
       zerbröckelt; das regelbasierte System der Vereinten Nationen erweist sich
       als hilflos gegenüber blanker Aggression und Gleichgültigkeit gegenüber
       Zukunftsfragen; das globale Finanzsystem verschärft die Krise, statt einen
       Ausweg zu zeigen. [2][Viele Regierungen haben andere kurzfristige
       Prioritäten als die Klimakrise]. Und sehr viele Menschen sind bereits
       jetzt mit den Folgen von Krieg, Hunger, Migration und schlechter
       Regierungsführung zu beschäftigt, um eine ordentliche Zukunftspolitik
       einzufordern.
       
       Vor einem Jahr sah das noch anders aus. Mit großer Erleichterung
       applaudierten die Delegierten am 13. Dezember in Glasgow, als der britische
       Konferenzpräsident der 26. Weltklimakonferenz, Alok Sharma, den Hammer
       fallen ließ: Endlich war das „Regelbuch“ des Pariser Abkommens fertig
       verhandelt, endlich gab es Versprechen, die Kohlenutzung herunterzufahren,
       lange versprochene Finanzhilfen zu leisten, keine dreckigen Kraftwerke im
       Ausland mehr zu finanzieren, die Wälder zu schützen, die Klimapläne zu
       verbessern und vieles mehr. „Ab jetzt geht es nicht mehr darum, Regeln
       aufzustellen, sondern sie umzusetzen“, hieß es nach Glasgow. Die
       Weltklimakonferenz in Ägypten (COP27) nennt sich deshalb auch „die
       Umsetzungs-Konferenz“.
       
       So kann man sich täuschen. Und andere auch.
       
       Das Problem: Wenn Klimakonferenzen erfolgreich sein sollen, müssen
       mindestens drei Dinge zusammenkommen: Solidarität, Hoffnung und Realismus.
       
       ## Solidarität und Hoffnung sind vor der COP27 dünn gesät
       
       Vor allem aber müssen die entscheidenden Personen in den wichtigsten
       Ländern – vor allem den G20, die für 75 Prozent der Treibhausgase
       verantwortlich sind – einen Grund haben, an das große Ganze und nicht an
       ihre nationale Machtpolitik zu denken. Sie müssen darauf vertrauen, dass
       innovative Technik, die Unterstützung ihrer Bevölkerung und viel Geld von
       privaten Investoren ihnen helfen, den grünen Umbau der
       Kohlenstoff-Wirtschaft voranzutreiben. Und sie müssen aus ihren
       abgeschotteten Kommandozentralen einen realistischen Blick auf die
       Zerstörungen richten, unter denen ihre Länder wegen der Klimakrise schon
       leiden.
       
       Kurz: Die Sterne müssen richtig stehen, wenn eine COP erfolgreich sein
       soll. Vor Scharm al-Scheich aber könnte ihre Position kaum schlechter sein.
       
       Solidarität und Hoffnung sind vor der COP27 dünn gesät.
       
       An Realismus dagegen herrscht ein Überangebot. In einem Wirbelsturm von
       Berichten, Analysen und Studien haben Fachleute kurz vor der COP im
       Tagestakt die niederschmetternden Fakten zur Klimakrise noch einmal auf den
       Tisch geknallt.
       
       Mit der Solidarität sieht es 2022 dagegen schlecht aus. Dabei wäre sie auch
       realpolitisch und aus Eigeninteresse aller Staaten höchst geboten. Der
       brutale Überfall Russlands auf die Ukraine rüttelt an den Grundfesten des
       gesamten regelbasierten UN-Gebäudes.
       
       ## Und wo ist die Hoffnung?
       
       Die Solidarität leidet auch unter globaler Ungerechtigkeit und dem Erbe des
       Kolonialismus. Die Länder des Globalen Südens haben nicht vergessen, wie
       sie in der Coronapandemie von den Industriestaaten bei der Lieferung von
       Impfstoff benachteiligt wurden. Die Zinserhöhungen in den USA und der EU
       saugen das Kapital aus [3][dem Globalen Süden] ab und verschärfen die im
       Norden bisher ignorierte Schuldenkrise in den armen Ländern.
       
       Der Krieg in der Ukraine führt wegen fehlender Getreidelieferungen zu
       Hunger in vielen armen Ländern. Und weil viele Industrieländer lange Zeit
       mörderische Konflikte wie im Jemen oder im Kongo ignoriert haben,
       verweigern viele Entwicklungsländer nun ihre Solidarität bei der Eindämmung
       des russischen Imperialismus in der Ukraine. All das schwingt mit, wenn auf
       der COP27 das zentrale heiße Eisen „Loss and Damage“ angefasst wird:
       Massive Finanzhilfen für arme Staaten für Klimaschäden, um die sich die
       Industriestaaten seit Jahren herumdrücken. Solidarität sieht anders aus.
       
       Und wo ist die Hoffnung? Versteckt in manchen der Berichte von Agenturen
       und ForscherInnen, die in ihrer Gesamtschau häufig niederschmetternd sind.
       Aber trotzdem: Zum ersten Mal ist vorstellbar, dass der Verbrauch von Öl,
       Kohle und Gas in den nächsten Jahren stagniert und dann sinkt; die
       Klimapläne der Länder listen immerhin Ideen auf, wie Wohlstand und
       Armutsbekämpfung auch mit weniger CO2 möglich sind; der Preis für Solar-
       und Windkraft wie für Batterien fällt immer weiter; immer mehr globale
       Konzerne versuchen ernsthaft, ihre Profite mit grüner Transformation statt
       mit der dreckigen Vergangenheit zu machen; Länder wie Indonesien machen
       Fortschritte beim Schutz der Regenwälder. Technische und soziale
       Innovationen und Techniken wie grüner Wasserstoff, eine naturgemäße
       Landwirtschaft oder ein Umdenken bei Ernährung und Verkehr sind nicht nur
       möglich, sondern bezahlbar und manchmal schon mehrheitsfähig.
       
       Erfolg oder Scheitern der COP27 ist kein Schicksal. Es hängt von
       politischer Führung der wichtigsten Staaten ab. Entscheidend wird sein,
       
       – ob die Diskussionen unabhängig vom Ukrainekrieg geführt werden können.
       Die UNO hat bei der Bonner Zwischenkonferenz im Mai bereits durchgesetzt,
       dass das Thema im Plenum kaum zu Wort kommen durfte.
       
       – ob China und die USA wieder trotz aller Spannungen miteinander verhandeln
       – so wie es die Unterhändler in Glasgow vor der Weltöffentlichkeit
       geschworen haben. Inzwischen sind die Gespräche eingefroren.
       
       – ob die Industrieländer irgendwie deutlich machen können, dass sie ihre
       finanziellen Versprechen von 100 Milliarden Hilfen pro Jahr einhalten
       werden.
       
       – ob die reichen Länder erkennen lassen, dass sie sich um „Loss and Damage“
       und die Überschuldung der Armen kümmern werden.
       
       – ob die Biden-Regierung glaubhaft machen kann, dass sie auch nach Erfolgen
       der Republikaner bei den Midterm-Wahlen am 8. November 2022 auf ihrem
       Klimakurs bleibt.
       
       – ob die EU und vor allem Deutschland die Welt davon überzeugen kann, dass
       die momentane Gier nach Öl und vor allem Gas keine Abkehr von den
       Glasgow-Versprechen ist, aus den Fossilen auszusteigen, sondern eine kurze
       Episode bleibt.
       
       ## Zur Rettung des Klimas gibt es nur ein Rezept
       
       Die COP in Scharm al-Scheich droht an einer Konstellation zu scheitern, die
       schon andere Konferenzen wie etwa 2009 in Kopenhagen zertrümmert hat: Eine
       massive kurzfristige Ablenkung vom Langzeitziel. 2009 war es die beginnende
       globale Finanzkrise, jetzt sind es Krieg, Pandemie, Schuldenkrise, der
       Erfolg von Autokraten und nationalen Egoismen.
       
       Dagegen gibt es nur ein Rezept: Ernsthafte politische Führung eines
       „Klima-Clubs“ von Staaten, die ein großes Interesse an Stabilität haben: In
       ihrer Versorgung mit Lebensmitteln und Energie, im Finanzsystem, im
       politischen Alltag, in den Lieferketten. Dieser Club ist bisher nur ein
       frommer Wunsch, unter anderem des deutschen Kanzlers. Das muss er aber
       nicht bleiben. Oder, wie schon Al Gore in seinem berühmten Vorträge zur
       „unbequemen Wahrheit“ sagte: „Der Wille zum Handeln ist eine erneuerbare
       Energie.“
       
       6 Nov 2022
       
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