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       # taz.de -- Kampagne „Fleischskandal bei Lidl“: Tod im Kot
       
       > Tierschützer*innen zeigen Missstände in einer Hühnermast im Emsland
       > an. Sie wollen Lidl dazu bringen, sich der Masthuhn-Initiative
       > anzuschließen.
       
   IMG Bild: Unterstützt die Europäische Masthuhn-Initiative (noch) nicht: der Discounter Lidl
       
       Osnabrück taz | Es sind harte Bilder: Hühner, die so auf Gewichtszunahme
       überzüchtet sind, dass ihre Beine sie nicht mehr tragen. Verweste Kadaver,
       die im Kot am Boden kleben. Tiere, eng an eng, denen großflächig die Federn
       fehlen. Riesige, karge Ställe.
       
       Die Videoaufnahmen sind im Sommer 2022 entstanden, sagt die Berliner
       Tierschutzorganisation „Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt“, in
       einer konventionellen Hühnermast im niedersächsischen Haselünne.
       Tierschützer haben sie gedreht, in Undercover-Einsätzen.
       
       Die Stiftung hat das Material öffentlich gemacht, im Namen ihrer spanischen
       Partnerorganisation Equalia, der es zugespielt wurde und die bei der
       Staatsanwaltschaft Osnabrück Strafanzeige gestellt hat, wegen des Verdachts
       auf einen Verstoß gegen Paragraf 17 Tierschutzgesetz. Das sieht eine
       Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe vor, wenn ein
       Wirbeltier „ohne vernünftigen Grund“ getötet wird, ihm „erhebliche
       Schmerzen oder Leiden“ zugefügt werden.
       
       Osnabrück war ein Fehler, Schwerpunktstaatsanwaltschaft für
       Landwirtschaftsstrafsachen ist für ganz Niedersachsen Oldenburg. Aber das
       ändert die Sache nicht, es verzögert sie nur. „Wenn die Anzeige in
       Osnabrück eingereicht worden ist“, sagt Staatsanwalt Thorsten Stein,
       Sprecher der Staatsanwaltschaft Oldenburg, der taz, „wird sie an uns
       weitergeleitet“. Bislang sei das noch nicht geschehen. Inzwischen hat
       Equalia die Anzeige auch in Oldenburg nochmals eingereicht.
       
       Auch für den Landkreis Emsland, dessen Veterinäramt für Haselünne zuständig
       ist, ist der Vorgang noch neu. Am 25. Oktober habe man Kenntnis von einer
       Strafanzeige „zu einer im Landkreis Emsland liegenden Masthuhnanlage“
       erhalten, sagt Landkreis-Sprecherin Anja Rohde der taz. „Die Vorwürfe
       gegenüber diesem Betrieb werden derzeit geprüft.“
       
       Die Albert Schweitzer Stiftung zielt nicht nur gegen den Mastbetrieb
       selbst. Sie betont, das Bildmaterial stamme aus dem Stall „eines großen
       Lidl-Lieferanten“, sieht Haselünne damit als Ausdruck eines deutschland-
       und europaweiten Problems. Mit ihrer [1][Kampagne „Fleischskandal bei
       Lidl“] hat sie binnen weniger Tage fast 65.000 Menschen aktiviert, den
       Appell zu unterschreiben, Lidl möge sich der Europäischen
       Masthuhn-Initiative anschließen.
       
       Die hat die Stiftung mit Dutzenden anderer Tierschutz- und
       Tierrechtsorganisationen ins Leben gerufen. Sie sieht ein Maximum von 20
       Tieren pro Quadratmeter vor. Bei der „Initiative Tierwohl“, nach deren
       Kriterien die Haselünner Mast produziert haben soll, für Haltungsform 2,
       sind es bis zu 23. Auch Tageslicht schreibt die Initiative vor,
       Sitzstangen, mehr Beschäftigungsmaterial.
       
       Es sind Forderungen, die „nur [2][das Minimum ein bisschen anheben]“, sagt
       Mahi Klosterhalfen, Präsident der Stiftung, ein Kompromiss, „schweren
       Herzens“, damit überhaupt etwas passiert. Man verzichte „sogar auf Dinge,
       die eigentlich mitgefordert werden müssten“, auf Auslauf zum Beispiel. Umso
       bedauerlicher sei es, dass sich Lidl dem in den Weg stelle. Viele
       [3][andere Supermarktketten unterstützen die Masthuhn-Initiative bereits],
       von Aldi bis Norma.
       
       Das Bindeglied des Haselünner Betriebs zu Lidl ist die Meppener
       Rothkötter-Gruppe, die auch Hühner schlachtet. Tierschützer haben ein
       Verpackungsetikett abgefilmt, das beweist, dass Rothkötter Lidl-Zulieferer
       ist, zudem an einem Hofgebäude einen Postkasten mit
       „Rothkötter“-Schriftzug.
       
       Rothkötter, von der taz um Kommentierung gebeten, weicht zwar mancher
       Detailfrage aus, teilt aber mit: „Wir kennen die Aufnahmen bisher nur aus
       der Öffentlichkeit, d. h. aus dem Internet. Tierschutzverletzungen sind für
       uns in keiner Form akzeptabel.“ Man nehme die Vorwürfe „sehr ernst“, sie
       befänden sich „aktuell in interner und externer Prüfung“.
       
       ## Vages Versprechen
       
       Auch Lidl weicht taz-Detailfragen aus. Man spreche sich „in aller
       Deutlichkeit gegen Tierquälerei aus“, teilt Unternehmenssprecherin Gloria
       Funke mit. „Wir nehmen jegliche Vorwürfe sehr ernst. Um diesen nachzugehen,
       stehen wir mit dem Lieferanten in Kontakt.“ Man habe „umgehend um eine
       Stellungnahme gebeten und eine unabhängige Prüfung durch externe
       Sachverständige veranlasst“.
       
       Lidl setze sich „seit Jahren für die Weiterentwicklung von
       Tierwohlstandards ein“. Das Frischgeflügelsortiment sei „mindestens auf
       [4][Haltungsform 2] umgestellt“. „Langfristig“ werde man es vollständig auf
       die besseren Haltungsstufen 3 und 4 umstellen. Man verfolge die Diskussion
       um die Europäische Masthuhn-Initiative „intensiv“. Leider seien die
       Gespräche mit ihr 2021 von Seiten der Initiative beendet worden.
       
       Mahi Klosterhalfen lässt das nicht gelten. Sich gegen Tierquälerei
       auszusprechen reiche nicht. „Handeln ist gefragt.“ Das Wort „langfristig“
       sei „sehr vage“, zudem müsse es nicht nur um Frischgeflügel gehen, auch um
       Tiefkühl- und verarbeitete Produkte.
       
       Den Abbruch der Gespräche mit Lidl bestätigt die Stiftung. Der
       Discounter-Konzern habe „von Meeting zu Meeting weniger angeboten“. Lidl
       habe „jetzt mehrere Jahre lang gezögert, sich Schritten verweigert“, sagt
       Klosterhalfen. Jetzt sei es Zeit, nachzuziehen.
       
       2 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/fleischskandal-lidl-pm
   DIR [2] /Vegane-Ernaehrung/!5887536
   DIR [3] /Oekonom-ueber-Vorstoss-von-Supermarktketten/!5784678
   DIR [4] /Plan-fuer-staatliches-Tierwohllabel/!5856710
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Harff-Peter Schönherr
       
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