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       # taz.de -- Beerdigungen in Benin: Schöner sterben
       
       > Der wichtigste Tag im Leben ist der Todestag – spottet man in Benin. Die
       > Party ist pompös. Denn mit den Toten darf man es sich nicht verscherzen.
       
   IMG Bild: .Geister des Todes: Schnell drehen sich die Revenants um sich selbst
       
       Gbeffa, Grand Popo und Adiarra taz | Eigentlich ist Gbeffa ein kleiner
       verschlafener Fischerort im Südwesten Benins. Von Grand Popo, der nächst
       größeren Stadt, führt eine sandige Piste in das Dorf. Am Strand gibt es
       eine Bar und hier und da kleine, aus Holz gezimmerte Verkaufsstände, auf
       denen Tomaten, Seifenstücke und Kochöl liegen. Ein paar verfallene Häuser
       erinnern noch an [1][die französische Kolonialzeit].
       
       Doch an diesem Samstagvormittag ist Gbeffa mit Autos und Minibussen
       zugeparkt. Durch die engen Gassen gibt es kein Durchkommen mehr. Hunderte
       Menschen sind aus ganz Benin angereist, um den Übergang von Anoumou
       Telesphore Akpla aus dem Diesseits ins Jenseits zu erleben.
       
       Beerdigungen sind wichtige gesellschaftliche Ereignisse. Damit möglichst
       viele teilnehmen können, findet die eigentliche Beisetzung am Samstag
       statt. Doch schon in der Woche zuvor hat es Gottesdienste, Gebetszirkel und
       eine Totenwache gegeben. Ist ein Nachbar oder die Mutter einer
       Arbeitskollegin gestorben, gelten persönliche Beileidsbekundungen als
       selbstverständlich und im Gegenzug auch die Einladung zur Trauerfeier. Die
       von Akplan wird riesig.
       
       Den Großteil seines Lebens hat der Geschäftsmann Akpla zwar in [2][Gabun]
       verbracht. In den zentralafrikanischen Ölstaat wandern zahlreiche
       Westafrikaner*innen aus, um als Fahrer und Putzfrauen zu arbeiten oder
       tatsächlich das große Geld zu machen. Die letzte Ruhe gibt es aber nur in
       der Heimat. Gerade war der 72-Jährige zu Besuch in Benins
       Wirtschaftsmetropole Cotonou, wo er ein Haus hatte – da wurde er
       überraschend krank und starb. Die Leiche musste also nicht erst nach Hause
       geflogen und über Monate in einem Leichenschauhaus gekühlt werden. Das
       passiert oft, wenn Kinder in Europa arbeiten. Die Aufbewahrung ist manchmal
       teurer als die Monatsmiete für ein kleines Appartement.
       
       ## Mit dem Sarg ins Elternhaus der Eltern
       
       Akpla war Katholik, weshalb gleich drei Priester zur Beerdigungsfeier
       gekommen sind. Sie tragen cremefarbene Talare und sie gehören zur Familie.
       Der hellbraune Holzsarg mit dem Kreuz darauf wird durch Gbeffa getragen.
       Musiker, die auf Metallflöten spielen und Glocken und Trommeln schlagen,
       gehen voran, die Trauergemeinde zieht hinterher. Zwei Frauen halten
       Bilderrahmen mit Fotos von Akpla hoch, damit jede*r sich an sein Gesicht
       erinnern kann.
       
       Ziel sind zwei kleine Häuser, in denen die Eltern des Verstorbene einst
       aufgewachsen sind. In beiden wird der Sarg für einige Minuten aufgebahrt.
       Es gibt Gebete, Segenswünsche und immer wieder Sodabi, einen in Benin
       hergestellten hochprozentigen Palmwein. Den Sarg zu den Wohnorten der
       Vorfahren zu bringen, ist Teil der traditionellen Zeremonie, die überaus
       wichtig ist, sagt der Neffe Anges Acakpo: „Jetzt wissen alle im Dorf, dass
       er wirklich tot ist.“
       
       Zur Tradition gehört es auch, als Opfergabe ein Huhn zu schlachten. Über
       dem Sarg mit dem Metallkreuz darauf beträufelt ein Voodoo-Priester den
       grauschwarzen Vogel zuerst mit Schnaps und schneidet ihm dann die Kehle
       durch. Das Blut tropft in den Sand. Um den Sarg herum tanzen die Revenants,
       die Geister des Todes. Sie sehen aus wie große bunte Baströcke und drehen
       sich immer wieder um sich selbst. Sie erinnern die Trauergemeinde daran,
       dass Tote und Lebende eine Gemeinschaft bilden. Die Menschen um sie herum
       stecken ihnen kleine Geldscheine zu. Wer sich unter den Gestellen verbirgt,
       lässt sich nicht erkennen. Manche Leute weichen ihnen fast verschreckt aus.
       
       Benin gilt als Wiege des Voodoo. Bis heute bekennen sich etwa 12 Prozent
       der 13 Millionen Einwohner*innen offiziell zu der alten Religion, die
       vor allem im Süden verbreitet ist. Häufig vermischt sie sich mit dem
       Christentum, und viele Menschen praktizieren beides, auch wenn sie nicht
       öffentlich darüber sprechen. Voodoo-Anhänger*in zu sein, das gilt als
       altmodisch und unmodern.
       
       ## Götter und Orakel
       
       Der Begriff Voodoo stammt aus der Sprache Fon, die vor allem entlang der
       Küste gesprochen wird. Er bedeutet Gott oder Gottheit. „Voodoo ist eine
       Energie“, sagt Métard Dominique Bada. Er ist Linguistikprofessor an der
       Universität Abomey-Calavi und Religionskenner. Religionen würde das
       Zusammenleben regeln und ethische Prinzipien vermitteln. Beniner*innen,
       sagt Bada, seien sehr religiös.
       
       Voodoo gilt als überaus praktische Religion. Wer eine konkrete Bitte hat,
       wendet sich an eine der Gottheiten – mitunter werden sie als Kinder des
       Schöpfergottes bezeichnet – und bringt ihr Opfer. Zu Mami Wata kommen
       beispielsweise Frauen, die nicht schwanger werden. Sie schenken ihr süße
       Getränke oder Parfum. Alkohol mag sie nicht. Wird die Bitte erhöht, ist
       eine zweite, kleinere Dankeszeremonie notwendig.
       
       Christentum und Voodoo haben eins gemeinsam. „In Benin wie auf dem ganzen
       Kontinent gilt: Die Toten sind nicht tot“, sagt Bada. „Man ist nur für eine
       bestimmte Zeit auf Erden, und das große Haus ist anderswo.“ Der Glauben an
       die Auferstehung und das ewige Leben prägt das Christentum; im Voodoo
       hingegen ist es zentral, die Ahnen zu verehren und den Kontakt zu ihnen zu
       halten. Bei wichtigen Fragen werden sie mithilfe eines Mediums befragt:
       Soll ich das Grundstück verkaufen? Sollen wir wirklich heiraten?
       
       Eine weitere Möglichkeit, um mit den Ahnen in Kontakt zu treten, ist das
       Fa-Orakel, das Fa-Priester*innen deuten. Nachdem eine konkrete Frage
       gestellt wurde, werden zwei kleine Schnüre, an denen jeweils acht
       Kaurimuscheln oder Holzscheiben hängen, geworfen. Nur wer das Orakel
       jahrelang studiert hat, kann die Antwort deuten. Viele Menschen bitten aber
       auch täglich um den Segen der Vorfahren, etwa wenn sie morgens das Haus
       verlassen und zur Arbeit fahren. Auch Allerheiligen gilt als wichtiger
       Feiertag, an dem die Menschen sogar zu den Gräbern fahren. Sonst sind die
       wenig gepflegt. Denn die Toten sind ja überall.
       
       Deren Wünsche müssen beachtet werden, ist Noël Agossou überzeugt. Er hat in
       Adjarra an der Grenze zu Nigeria ein Museum aufgebaut und sammelt seit
       Jahrzehnten Masken und Statuen aus West- und Zentralafrika. Auch um das
       Museum herum ist Voodoo allgegenwärtig. Hier wird Sakpata, der Pockengott,
       verehrt. Das weiße Tuch mit den schwarzen Punkten darauf erinnert an ihn.
       „Wir müssen uns an das halten, was uns jemand vor seinem Tod mit auf den
       Weg gibt“, sagt Agossou. Sonst könne der Geist keine Ruhe finden. In einem
       Fall hätten die Kinder ihren Vater nicht auf dem Familiengrundstück
       begraben, weil sie es lieber verkaufen wollten. Es folgten ein Unfall und
       Krankheiten. In Benin werden Unfälle und Unglück häufig damit erklärt, dass
       Regeln nicht beachtet wurden.
       
       ## Rieselnder Sand
       
       Der Trauerzug durch Gbeffa ist beendet und der Leichenwagen fährt den Sarg
       von Anoumou Telesphore Akpla auf den Friedhof von Grand Popo, wo die
       eigentliche Beisetzung stattfindet. Akplas Witwe, die fünf Kinder und deren
       Familien folgen. Alle tragen Kleider und Anzüge aus schwarzem Stoff mit
       weißen Blättern. Nichten und Neffen haben sich wiederum für einen Stoff aus
       Blau und Weiß entschieden. Die Farben und Muster symbolisieren
       Zusammengehörigkeit. Auch weiß so jede*r sofort, wer welchem Familienzweig
       angehört.
       
       Auf dem Friedhof sind noch einmal die katholischen Priester an der Reihe.
       Sie sprechen die letzten Gebete, bevor der Sarg in dem ausgehobenen Grab
       verschwindet. Für einen Moment ist von der großen Party nichts zu spüren,
       Ruhe kehrt ein, und die engsten Angehörigen trauern noch einmal. Sie lassen
       Sand auf den Sarg rieseln. Langsam wird das Loch zugeschaufelt.
       
       Am Strand von Gbeffa werden dagegen weiße Zelte aufgebaut, Plastikstühle
       und Tische aufgestellt. Ein Lkw liefert Kisten mit Softdrinks und Bier.
       Frauen kochen auf einem offenen Feuer. Die Familie hat zwei Hammel
       schlachten lassen. Musik dröhnt aus den Boxen. Feiern rund um die
       Beisetzung sind gleichzeitig ein Geschäftszweig, von dem Caterer,
       Schneider*innen, Discjockeys, Fotograf*innen und Verleihfirmen leben.
       
       Wer in Gbeffa vorbeikommt, erhält Getränke und einen vollen Teller mit
       Fleisch und Reis, egal ob er den verstorbenen Geschäftsmann Akpla kannte
       oder nicht. Wie viel Geld die Trauerfeier kostet, will niemand schätzen. Es
       sind vermutlich viele Tausend Euro. Die kostspieligen Beerdigungen stehen
       zunehmend in der Kritik. Gerade Hinterbliebene mit geringem Einkommen
       verschulden sich mitunter über viele Jahre. Métard Dominique Bada sagt
       jedoch: „Es geht auch um Wohltätigkeit“ und auch darum, jemandem ein gutes
       Ende zu bereiten.
       
       14 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Gänsler
       
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