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       # taz.de -- Italien und die Seenotrettung: Der schleichende GAU
       
       > Italien lässt einige aus Seenot gerettete Flüchtlinge an Land. Ist die
       > rechte Regierung unter Meloni also doch gar nicht so schlimm? Ein Irrtum.
       
   IMG Bild: Startbereit für den Einsatz im Mittelmeer: das deutsche Rettungsschiff „Sea-Watch 5“
       
       Am 14. Tag nach ihrem Amtsantritt hat die neofaschistische
       Ministerpräsidentin Italiens, [1][Giorgia Meloni], am Wochenende zum ersten
       Mal aus Seenot gerettete Flüchtlinge an Land gelassen. Das ist näher an der
       Praxis der vorigen italienischen Regierungen, als an einer kompletten
       „Seeblockade“ der NGO-Schiffe, von der Meloni im Wahlkampf gesprochen
       hatte. Wer ihren Wahlsieg für den Super-GAU für Flüchtlingsschutz und
       Migrantenrechte gehalten hatte, und nun denkt, so schlimm sei das
       rechtsextreme Regierungsbündnis ja doch nicht, irrt. Es ist andersherum:
       Der GAU ist schon zuvor eingetreten, und zwar schleichend.
       
       Auch ihre Vorgänger, die Regierungen der Mitte-Politiker Conte und Draghi,
       hatten Schiffen mit Hunderten Menschen in erbärmlicher Verfassung
       wochenlang die Einfahrt in Häfen verweigert. Damals wie heute versucht
       Italien, Menschen wieder nach Libyen bringen zu lassen. Und damals wie
       heute verschleppt es Rettungen durch die eigene Küstenwache, wo Eile
       geboten wäre oder rettet schlicht nicht, wo es müsste.
       
       Ob die [2][Meloni-Regierung] nicht noch weiter dicht macht, weiß niemand.
       Und es gibt einen Unterschied zu ihren Vorgängern: Am Wochenende durften
       nur besonders Kranke an Land gehen, die „Gesunden“ mussten an Bord bleiben.
       Diese Praxis ist nicht neu. Doch während solcherlei Selektion von
       Geflüchteten früher willkürlich und ungeregelt stattfand, geschieht sie
       unter Melonis Regierung auf Grundlage eines offiziellen Dekrets.
       
       Schon seit Jahren missachtet Italien im Umgang mit den Migrant:innen auf
       dem Meer immer wieder das Recht. Und das ist mitnichten eine italienische
       Besonderheit. Malta handelt nicht anders, auch in anderen EU-Staaten lassen
       sich Beispiele für ähnliche Praktiken finden. Sterben lassen, wem geholfen
       werden könnte, als Mittel der Politik einzusetzen – das ist schon länger
       nichts, was nur Rechtsextreme auszeichnet.
       
       ## Abgedriftete politische Kultur
       
       Wenn nun also eine Regierung mit offenen, positiven Bezügen zum Faschismus
       ähnlich agiert wie ihre Vorgänger, dann zeigt dies deshalb nicht, dass
       diese moderat ist. Es zeigt vielmehr, wie weit die politische Kultur
       bereits zuvor abgedriftet ist, wie weit sich moralische Standards von
       humanitären Selbstverständlichkeiten entfernt hatten.
       
       Die aktuelle, [3][extrem rechte Regierung] wird in der Zukunft
       möglicherweise noch weiter gehen. Sie könnte versuchen auszutesten, was die
       Justiz ihr durchgehen lässt. Doch das macht nicht besser, dass die
       politische Mitte aus Angst vor den Populisten deren Vorstellungen immer
       weiter aufgegriffen hatte. Einmal an der Macht, müssen sie nun gar nicht
       mehr so viel anders machen. Auch das ist eine Form der Normalisierung, vor
       der so viel gewarnt wird.
       
       7 Nov 2022
       
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