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       # taz.de -- COP27: Kapitalismus muss die Welt retten
       
       > Mit seinem endlosen Hunger nach mehr Wachstum und mehr Ausbeutung hat der
       > Kapitalismus die Klimakatastrophe verschuldet. Jetzt ist Zahltag.
       
   IMG Bild: „Klimahölle“, ausgetrockneter Staudamm in Südafrika
       
       Die Welt, so hat es UN-Generalsekretär Antonio Guterres diese Woche beim
       Weltklimagipfel im ägyptischen Sharm al-Scheich formuliert, fahre auf einer
       Autobahn, die direkt in die „Klimahölle“ führe. Leider hat Guterres, von
       Beruf Diplomat, weggelächelt, wer diesen „highway to hell“ planiert hat: Es
       sind die einst früh industrialisierten, inzwischen in der digitalen Moderne
       angekommenen Staaten des Westens.
       
       Man muss keine Marxistin sein, um den nimmersatten Bedarf des Kapitalismus
       nach mehr als das zentrale Problem zu benennen: mehr Ressourcen, mehr
       Wachstum, mehr Ausbeutung von Menschen und der Natur. Nun rebelliert nicht
       die Arbeiterklasse, wie einst von Marx prognostiziert, sondern es ist die
       Natur, und die Folgen sind katastrophal: sengende [1][Hitze und
       Trockenheit], schmelzende Eisberge, Fluten, ausgelöschte Arten.
       
       Die Globalisierung der vergangenen 30 Jahre, also die modernste und derzeit
       gültige Spielform des Kapitalismus, hat die Welt einmal mehr in Sieger und
       Verlierer geteilt. Und so, wie die Arbeiterinnen in den indonesischen
       Sweatshops heutzutage mit der Finanzelite in London verknüpft sind, sind es
       auch die Auswirkungen des Klimawandels: zuerst wird Jakarta versinken,
       nicht London. Den Preis zahlen nicht als erste diejenigen, die den
       Schlamassel angerichtet haben.
       
       Die Entwicklungs- und Schwellenländer haben also guten Grund und
       Legitimation, die Rechnung auf der Weltklimakonferenz an die Verursacher,
       die vornehmlich im Westen zu suchen sind, weiterzureichen. Der Westen
       wiederum, das zeigt sich [2][in Ägypten] erneut, verweigert noch immer die
       Annahme dieses Schuldscheins. Mit den 100 Milliarden Dollar an Hilfen, die
       die reichen Staaten jährlich zugesagt haben, ist der globale Umbau kaum zu
       bewerkstelligen.
       
       ## Mickrige 170 Millionen Euro
       
       Selbst wenn sie gezahlt würden. Ein wuchtiger Deal, mit dem die Staaten des
       Globalen Südens für die Klimaschäden entschädigt würden, ist vielen
       Industrieländern schlicht zu heikel, er wäre ja ein Schuldeingeständnis für
       ein paar Jahrhunderte der Ausbeutung. In Ägypten wird jetzt endlich darüber
       gesprochen, doch Beschlüsse sind nicht vorgesehen.
       
       Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Klimakonferenz für einen globalen
       Schutzschirm wirbt und aus Deutschland weitere [3][170 Millionen Euro]
       verspricht, weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll, so jämmerlich
       mickrig klingt diese Summe angesichts der Größe der Probleme, und der 30
       Milliarden Euro, die nach der Flutkatastrophe im Ahrtal zur Verfügung
       stehen. Die von den Folgen des Klimawandels besonders betroffenen Staaten
       fordern ihrerseits einen Schuldenerlass.
       
       Moralisch mag das nachvollziehbar sein. Ein Schuldenerlass würde die
       weltweite Inflation jedoch nur noch anheizen, und ohne in den dann
       weitgehend entschuldeten Staaten eine dauerhaft klimafreundliche
       Entwicklung garantieren zu können. Grundsätzlich bleiben deshalb nur zwei
       Wege: [4][Eine radikale Schrumpfkur], degrowth genannt, bei der sich die
       Welt gesundschrumpft, wie sie beispielsweise meine taz-Kollegin Ulrike
       Herrmann in ihrem Buch „[5][Das Ende des Kapitalismus]“ fordert.
       
       ## Flotter Sprung in die postfossile Ära
       
       Das wäre eine ziemlich revolutionäre Lösung für ein Wirtschaftssystem,
       dessen Kern und Wesen Wachstum und Ausbeutung sind. Aber degrowth ist
       gerade das Gegenteil dessen, was die Entwicklungs- und Schwellenländern für
       sich einfordern. Oder: Die Welt wagt schnell, besser noch turboschnell, den
       Sprung ins postfossile Zeitalter, in dem auch Ruanda und Indonesien, Chile
       und Kambodscha nur noch mit erneuerbaren Energien operieren.
       
       Doch das muss bezahlt werden. Und das kann nur der Westen selbst. Wenn
       einzelne Staaten wie die USA nicht bereit sind, sich ihrer Verantwortung zu
       stellen, wie es sich jetzt beim Klimagipfel erneut abzeichnet, dann müssen
       die großen transnationalen Institutionen des Kapitalismus ran, allen voran
       die Weltbank.
       
       Sie müssen zum Aufbau erneuerbarer Energien und klimafreundlicher
       Infrastrukturen für die Staaten des Südens und des Ostens Programme
       auflegen, die, sorry, Kanzler, nicht nur die Scholz’schen Millionen oder
       Milliarden umfassen, sondern mit Billionen an Dollar daherkommen und die
       nur eine Auflage haben dürfen: Verzicht auf fossile Energie. Sonst kommt
       irgendwer im Senegal doch wieder auf die Idee, bislang unerschlossene
       Gasfelder anbohren zu wollen.
       
       Klingt utopisch? Mag sein. Eine urkapitalistische Form der Weltenrettung?
       Ja, doch mit Aussicht auf Erfolg. So, wie ein Unternehmen sich mit
       wuchtigen Investitionen transformiert, wenn das alte Geschäftsmodell nicht
       mehr funktioniert, würde sich die Welt neu erfinden. Nicht weil die
       Schlafwandler in den Regierungssitzen dieser Welt erkannt hätten, auf
       welchem Irrweg sie bislang wandelten. Sondern, weil der Umbau ganz einfach
       attraktiver ist als das Weiter-so.
       
       Man muss weder Marxistin noch Volkswirtin sein, um durchrechnen zu können:
       Wer diesen Umbau nicht jetzt finanziert, würde später viel mehr bezahlen
       müssen. Der Preis wäre eine in Teilen unbewohnbare Welt.
       
       12 Nov 2022
       
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