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       # taz.de -- Kunstprojekt an Hamburger Kohlekraftwerk: Denkmal fürs Verbrennungszeitalter
       
       > Gegenüber dem Heizkraftwerk Tiefstack kündigt ein Schild den Bau eines
       > Mahnmals an. Es soll das Ende des fossilen Zeitalters spekulativ
       > vorwegnehmen.
       
   IMG Bild: Schöne saubere Zukunft: So würde das „Rückbauwerk Tiefstack“ aussehen – wenn es nicht Kunst bliebe​
       
       Hamburg taz | Noch thronen die zwei Doppelröhren des 105 Meter hohen
       Schornsteins des [1][Heizkraftwerks Tiefstack] über dem Niederungsgebiet
       zwischen den Hamburger Stadtteilen Rothenburgsort und Billbrook. Aber
       vis-à-vis, nur ein paar Hundert Meter weiter, einmal übers Wasser der
       Billwerder Bucht, steht auf einer Wiese im [2][Industriedenkmal Wasserkunst
       Elbinsel Kaltehofe] schon ein Gerüst bereit. An dem hängt ein Tuch, das die
       Umrisse eines Betonständers nachzeichnet, der hier einmal stehen und auf
       dem die Türme des dann stillgelegten Kraftwerks aufgebahrt werden sollen.
       
       Das Denk- und Mahnmal „Rückbauwerk Tiefstack“ soll an das in Zukunft hinter
       uns gebrachte Zeitalter der Verbrennung fossiler Energieträger erinnern.
       Das steht auf einem Schild am Gerüst, das zugleich eine kleine Tribüne ist:
       Wer sich darauf setzt, blickt direkt aufs Kraftwerk, aus dem kleine
       Dampfwölkchen in den blauen Himmel steigen.
       
       Ein Bauschild am Zaun davor zeigt in der typischen sauberen und glatten
       Bildsprache illustrativer Renderings, wie das Denkmal einmal aussehen soll.
       Eine idyllische Szene ist da zu sehen: Ein Mann sitzt auf dem Deich, ein
       anderer fährt mit dem Fahrrad vorbei, Großvater und Großmutter in
       Gesundheitssandalen zeigen das Denkmal ihrem Enkelkind. Auf einer Wiese
       dahinter liegt der einstige Schornstein horizontal auf dem Sockel und im
       Hintergrund der parkähnlichen Landschaft steht das immer noch monumental
       wirkende alte Kraftwerk – ohne Schornstein. Logos darunter, unter anderem
       von der Hamburger Kulturbehörde, geben dem Ganzen ein offizielles
       Auftreten.
       
       Tatsächlich ist der angekündigte Baubeginn des „Rückbauwerks“ Teil eines
       Kunstprojekts im Rahmen des Programms [3][„Zurück in die Zukunft – 41 Jahre
       Kunst im öffentlichen Raum“]. Dafür hat die Behörde für Kultur und Medien
       dieses Jahr einmalig Sondermittel in Höhe von insgesamt 500.000 Euro
       ausgeschrieben, um Pandemie-gebeutelte Künstler:innen zu unterstützen
       und für die Kunst im öffentlichen Raum „einen Sprung zu neuer Attraktivität
       und Sichtbarkeit einzuleiten“, so die Behörde.
       
       Aufgebaut hat die Installation die [4][Künstler:innengruppe Para] als
       Intervention, die die Zukunft vorwegnimmt und das Verbrennungszeitalter
       zumindest symbolisch schon mal zu Grabe trägt. Schon heute könne man so den
       Blick zurückwerfen „von einer imaginären Zukunft auf unsere Gegenwart, die
       bald Vergangenheit sein wird“, schreibt Para. Die Gruppe aus Hamburg,
       Berlin und Frankfurt am Main befasst sich schon länger mit solchen
       Zeitverschiebungen, sie erkunde „zukünftige Ruinen, Narrative der
       Erinnerungspolitik und befragt die Kulturerbe-Tauglichkeit derzeitiger Modi
       des Zusammenlebens“, schreibt sie: „interdisziplinär, ortsspezifisch und
       performativ, mit Techniken der Re-Konstruktion und Spekulation, zwischen
       Forschung und Fiktion“.
       
       Vor vier Jahren war sie zuletzt mit ihrer eigentümlichen Form einer
       künstlerischen Archäologie des Kommenden in Hamburg aktiv und hat dort am
       Speersort, dem Ort, an dem einst die Hammaburg lag, aus der sich die Stadt
       entwickelt hat, vorgeblich nach Resten des – natürlich spekulativen –
       [5][zukünftigen Nationaldenkmals „Walhalla 2“ gegraben]. Die Ergebnisse
       wurden im in ein „Dokumentationszentrum Zukunft“ verwandelten Künstlerhaus
       Söötborn in der Ausstellung „Zukünftige Ruinen. Mythos des Möglichen.
       Walhalla 2 und das deutsche Denkmal ab 2021“ präsentiert. Eine abstruse,
       aber in sich irgendwie schlüssige Zukunftwelt wurde da entworfen.
       
       Ein weiteres Beispiel: Seit dem Frühjahr lädt Para im Leipziger
       Grassi-Museum für Völkerkunde mit dem [6][Projekt „Berge Versetzen“] ein,
       mit einer Crowdfundingaktion die [7][Spitze des Kilimandscharo
       zurückzugeben]. Die hat der Leipziger Kolonialgeograph und
       Kilimandscharo-Erstbesteiger Hans Meyer 1889 nach Deutschland verschleppt.
       Mit dem Erlös aus verkauften Replikaten soll die Rückgabe des tatsächlichen
       Gipfelstücks ermöglicht werden.
       
       Das „Rückbauwerk Tiefstack“ wiederum baut auf dem Projekt „[8][Haze – Eine
       Bezeugung in Rauch]“ auf, das vergangenes Jahr im Offenbacher Hafen und auf
       einer Brache vor dem
       
       Heizkraftwerk Wilmersdorf in Berlin stattfand. Als „PARA Emission Evidence
       Center (PEEC)“ hat die Gruppe dort in einer performativen Installation
       Beweismittel gesichert „für den kommenden Prozess gegen die Menschheit“ –
       direkt am „Tatort Kraftwerk“: „Verdächtige Emissionsereignisse in der
       Geschichte werden rekonstruiert und für die Untersuchungsfragen der Zukunft
       als Beweiskette erfasst. Weshalb rauchten am Horizont Schlote?“, schreibt
       das PEEC. Herauskommen soll dabei ein „Psychogramm des Menschen als Rauch
       erzeugendes Wesen“ und „eine Sammlung flüchtiger Asservate: Säckeweise
       Qualm, Holzkohlenstaub, brennende Grieben“.
       
       ## Den Dreck bezeugen
       
       Auch beim behaupteten Mahn- und Denkmal in Hamburg gehe es darum, das
       fossile Zeitalter und seine Opfer zu bezeugen, erklärt Para-Mitglied Jonas
       Fischer vor der Baustelle des „Rückbauwerks“. Immer mehr Spuren des
       Verbrennungszeitalters würden ja verwischt. Aber wenn die Schlote einmal
       aufgehört haben werden zu rauchen und dampfen, blieben die emittierten
       Giftstoffe ja noch Jahrtausende unsichtbar in Luft, Wasser und Boden.
       
       Denn das Wärmekraftwerk Tiefstack ist einer der größten Umweltverschmutzer
       der Stadt. 2013 war es der größte industrielle Treibhausgasemittent der
       Stadt, mit fast 1,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid jährlich ist es für fast
       ein Drittel des gesamten Austoßes der großen Industriebetriebe
       verantwortlich. Was aus dem Kraftwerk wird, ist deshalb wichtig, weil
       Hamburg seinen CO2-Ausstoß bis 2030 um 55 Prozent reduzieren will. In den
       kommenden acht Jahren soll auf dem Tiefstack ein „Energiepark“ entstehen
       und das Heizkraftwerk von Steinkohle auf Gas umgestellt werden, dazu sollen
       Abwärme aus Industrie und Müllverbrennung und Flusswasser-Wärmepumpen
       genutzt werden. 2030 soll das Wärmekraftwerk abgeschaltet werden und in
       Hamburg damit endgültig der [9][Ausstieg aus der Kohleenergie] vollzogen
       sein.
       
       Wie es dann weitergeht auf dem Tiefstack und was aus dem monumentalen Bau
       des Verbrennungszeitalters wird, ist bislang unklar. Denkbar ist ein
       Abriss, der aber sei schade, sagt Fischer, eben weil die Stadt damit ihre
       dreckige Vergangenheit auch einfach aus dem Blickfeld verschwinden lassen
       würde.
       
       Wer sich bis dahin darüber Gedanken machen will, kann das noch bis zum März
       auf der Baustelle des Rückbauwerks machen. Und dabei ganz praktisch sehen,
       welchen Unterschied es macht, einen Tag statt in der Energiekrisen-bedingt
       sparsam geheizten Wohnung im winterlichen Industriedenkmal zu verbringen
       und so die in Hamburg bis 2030 benötigte Energiemenge senkt: Wer auf den
       roten Knopf am Gerüst drückt, kann die mit großer Uhr darüber angezeigte
       Restlaufzeit des Wärmekraftwerks verkürzen: um genau eine Sekunde.
       
       8 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /!5861904/
   DIR [2] https://wasserkunst-hamburg.de/
   DIR [3] https://www.hamburg.de/bkm/kioer/16031602/kioer-sondermittel/
   DIR [4] http://www.p-a-r-a.org
   DIR [5] /Archaeologie-des-Kommenden/!5535158
   DIR [6] https://www.berge-versetzen.com/
   DIR [7] https://www.faz.net/aktuell/reise/kunstaktion-um-gipfel-des-kilimandscharo-17868257.html
   DIR [8] https://www.youtube.com/watch?v=NRiPHDju11Q
   DIR [9] /Hamburger-Energieversorgung-ohne-Kohle/!5861846
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Robert Matthies
       
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