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       # taz.de -- Abtreibungsrecht in den USA: Eigentor der Konservativen
       
       > Das Abtreibungsrecht war bestimmendes Thema bei den Midterm-Wahlen in den
       > USA. In mehreren Bundesstaaten konnte es gestärkt werden.
       
   IMG Bild: Der kalifornische Gouverneur hat sich für das Recht auf Abtreibung in Kalifornien eingesetzt
       
       New York taz | Für religiöse FundamentalistInnen und konservative
       PolitikerInnen in den USA war die [1][Abschaffung des Abtreibungsrechts]
       jahrzehntelang eines ihrer Hauptziele. Dafür beteten und agitierten sie,
       standen Spalier vor Frauengesundheitszentren und spritzten mit Blut. Sie
       leiteten Gerichtsverfahren ein und schrieben Hunderte von Gesetze und
       Dekrete.
       
       Doch als der Oberste Gerichtshof im Juni dieses Jahres in einer
       180-Grad-Kehrtwende das [2][Grundsatzurteil „Roe gegen Wade“ von 1973
       tatsächlich strich], wurde das umgehend zu einem Eigentor für die
       selbsternannten „Lebensschützer“. Die Gerichtsentscheidung fiel in die
       heiße Wahlkampfphase vor den Midterms. Die Demokratische Partei und
       Präsident Joe Biden, deren Popularität zu dem Zeitpunkt im Keller war,
       erkannten das Potenzial der Gerichtsentscheidung.
       
       Für eine Mehrheit der WählerInnen war das bundesweite Recht auf Abtreibung
       in den 49 Jahren seines Bestehens eine Selbstverständlichkeit geworden, die
       sie erhalten wollen. Die DemokratInnen machten daraus ihr zentrales
       Wahlkampfthema. Gleichzeitig strengten Organisationen wie Planned
       Parenthood und Frauengruppen Referenden für das Recht auf Abtreibung an.
       Auf der anderen Seite organisierten konservative Gruppen Referenden, um
       Abtreibungen komplett zu verbieten oder zumindest schwieriger zu machen.
       
       ## Tausende Freiwillige engagierten sich
       
       Am Dienstag ernteten jene, die sich seit Jahren für das
       Selbstbestimmungsrecht von Frauen einsetzen, die Früchte ihrer Arbeit. In
       fünf Bundesstaaten fanden Referenden statt, die sich mit dem
       Abtreibungsrecht befassen. Als Ergebnis wird das Recht jetzt in die
       Verfassungen dreier Bundesstaaten – Vermont, Kalifornien und Michigan –
       aufgenommen. In Kentucky wurde der Vorschlag abgelehnt, ein
       Abtreibungsverbot in die Verfassung zu schreiben.
       
       Und auch in Montana, wo Abtreibungsgegner eine „Born Alive“-Abstimmung
       durchgesetzt hatten, scheinen sich die BefürworterInnen auf Abtreibung
       durchzusetzen. „Born Alive“ soll medizinisches Personal verpflichten, das
       Leben von abgetriebenen Föten zu retten. Im ebenfalls konservativen
       Bundesstaat Kansas hatten die Wähler bereits im August das Recht auf
       Abtreibung in einem Referendum verteidigt.
       
       Tausende Freiwillige haben in den zurückliegenden Monaten für – und gegen –
       das Recht auf Abtreibung Kampagne gemacht. Allein im Bundesstaat Michigan
       gaben die jeweiligen Lager vor den Midterms 57 Millionen Dollar aus. Das
       ist mehr, als die Gouverneurs-, Justizminister- und Staatssekretärswahlen
       zusammen in dem Bundesstaat gekostet haben. In Zukunft kann Michigan, das
       die Konservativen zu einem weiteren Totalverbotsstaat machen wollten,
       Abtreibungen auch für Frauen aus den umliegenden Bundesstaaten anbieten.
       
       ## Abtreibungsrecht als Wahlkampfthema
       
       Mit den Erfolgen ist die seit 49 Jahren überfällige Kodifizierung des
       Grundsatzurteils „Roe gegen Wade“ von 1973 an ein paar mehr Orten der USA
       Realität geworden. Aber nur in Vermont, Kalifornien und Michigan hat das
       Recht auf Schwangerschaftsabbruch am Dienstag Verfassungsrang bekommen. In
       Kentucky ist lediglich eine Festschreibung des Abtreibungsverbots in der
       Verfassung abgelehnt worden. Mit dem Recht auf Abtreibung befassen sich
       dort weiterhin Gerichte.
       
       Für die Demokratische Partei ist das Kalkül mit dem Abtreibungsthema nur
       punktuell aufgegangen. In Michigan half es der demokratischen Gouverneurin
       Gretchen Whitmer, sich im Amt zu behaupten. Aber anderswo unterschieden die
       WählerInnen sorgfältig zwischen Abtreibungsreferendum und politischen
       Wahlen. Das zeigte sich in Kentucky: In dem Staat, wo sich drei Viertel der
       Wähler als Christen verstehen, gewann der erklärte Abtreibungsgegner Rand
       Paul gleichzeitig mit dem Referendum seine Wiederwahl in den US-Senat mit
       mehr als 60 Prozent der Stimmen.
       
       9 Nov 2022
       
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