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       # taz.de -- Nachruf auf Wolf Schneider: Chapeau, Wolf Schneider!
       
       > Der Journalist und Sprachkritiker Wolf Schneider ist tot. Er wurde 97
       > Jahre alt. Unser Autor hat ihm viel zu verdanken und verabschiedet sich.
       
   IMG Bild: Wolf Schneider, ein großer deutscher Journalist, Sachbuchautor und Sprachkritiker
       
       Diese Zeilen schreibe ich mit schwitzigen Händen. Warum? Weil ich stark
       vermuten muss, dass Wolf Schneider jetzt auf Wolke Sieben sitzt und die
       Nase rümpft. Weil in diesem Nachruf auf ihn selbst manches Wort schief oder
       überflüssig ist. Weil ein Relativsatz einen Hauptsatz durchschneidet,
       weshalb das alles erklärende Verb dann erst viel zu spät kommt. Oder weil
       die Spannung, die ich im ersten Satz aufzubauen versuchte, nun doch nicht
       so ganz trägt.
       
       Wolf Schneider, ein großer deutscher Journalist, Sachbuchautor,
       Sprachkritiker und Journalismus-Lehrer, ist gestorben, mit gesegneten 97
       Jahren. Weil er auch mir das Schreiben beigebracht hat, berührt mich sein
       Tod. Ich war auf der [1][Hamburger Journalistenschule], als er sie schon
       nicht mehr leitete. Aber ich habe es ihm zu verdanken (jetzt ist es raus!),
       dass ich überhaupt dorthin kam. Denn nachdem ich mich ungefähr dreimal
       vergeblich dort um einen Platz bemüht hatte, schrieb ich einen Brief, dass
       ich wenigstens einmal in die Endrunde des Auswahlverfahrens kommen wolle,
       ich würde langsam zu alt! Er schrieb zurück, erlaubte es mir, und ich war,
       ohne falsche Bescheidenheit, unter den ersten Plätzen, die dann doch in den
       anderthalbjährigen Ausbildungskurs hineinrutschten. Danke, Wolf Schneider!
       
       Der gebürtige Erfurter war aber auch deshalb mein Journalismus-Lehrer, weil
       ich, wie viele, sein immer noch großartiges Lehrbuch der deutschen Sprache,
       „Deutsch für Profis“, schon vor Beginn der Hamburger Zeit gleich zweimal
       gelesen und fleißig mit Notizen am Rand verziert hatte. Schneiders
       Sprachstil ist der bestimmende Sound im deutschen Journalismus geworden,
       auch meiner. Und da es ein ziemlich guter, klarer Stil ist, verdankt der
       deutsche Journalismus, vielleicht sogar die ganze deutsche Gesellschaft ihm
       viel.
       
       Dennoch kann dieser Nachruf auf Wolf Schneider nicht nur voll des Lobes
       sein. Wir angehenden Journalist*innen (sorry, Wolf Schneider – [2][das
       Gendersternchen war Ihnen wahrscheinlich ein Graus]) hatten in unserer
       Ausbildung an der Hamburger Schule ein zweiwöchiges Seminar bei ihm, das
       nicht nur ich toll fand. Irritierend aber war, dass er uns damals anbot,
       auch für zwei Diskussionsabende zur Verfügung zu stehen, Teilnahme:
       freiwillig. In dem einen erklärte er als ehemaliger Wehrmachtsoffizier,
       warum für ihn der 8. Mai 1945 kein „Tag der Befreiung“ war. (Kurzfassung
       der Begründung: Wir waren damals so nazi-verseucht, dass uns das gar nicht
       in den Sinn kam – es war eine Niederlage für uns!) Thema des zweiten Abends
       war, wenn ich mich recht erinnere, fast wörtlich: „Wie man Europas größter
       Sachbuchautor wird.“ Das stimmte ja irgendwie, wenn man nach der Auflage
       seiner Sachbücher ging. Aber es war auch unglaublich eitel. Und ja, das war
       Wolf Schneider eben auch.
       
       ## Einer, der sein Handwerk beherrschte
       
       Hinzu kamen Phasen seiner durchaus glorreichen Journalisten-Karriere
       (Süddeutsche Zeitung, Stern und so weiter), von denen zumindest ich erst
       später erfuhr: Etwa, dass er im Auftrag des Axel-Springer-Verlags als
       Redakteur „zur besonderen Verwendung“ hartnäckig unter anderem Günter
       Wallraffs Lesungen besuchte, um dort die Ansichten seines Verlages zu
       vertreten – als bezahlter Antipode Wallraffs, der 1977 mit seinem Buch „Der
       Aufmacher“ undercover die üblen Methoden des Springer-Blatts Bild von innen
       aufgedeckt hatte. Das war schon mies. Andererseits war Schneider ein
       solcher Vollblut-Journalist, dass er 1973 als Chefredakteur der
       Springer-Tageszeitung Welt einen kritischen Kommentar über den rechten
       chilenischen Diktator Pinochet durchwinkte. Was ihn prompt den
       Chefredakteurs-Posten kostete. Ich habe ihn nie darüber klagen hören.
       
       Als Fragensteller in der NDR-Talkshow, was er viele Jahre machte, fand ich
       ihn etwas zu Grandseigneur-haft, die alte Schule, klar. Aber das ist
       Geschmackssache, denn das Handwerk hatte er zweifellos drauf. Seine Fragen
       waren gut, ein Profi eben. Schneiders Sachbücher waren ebenso: ungemein
       lehrreich und süffig geschrieben. Zwei von ihnen habe ich gelesen. Im Regal
       habe ich noch eines seiner letzten: „Der Soldat – Ein Nachruf“ (2014).
       Gelesen habe ich es nicht, weil ich weltanschaulich Schlimmes erwarte.
       
       Dennoch, Chapeau, Wolf Schneider! Was für ein Lebenswerk! Und über den 8.
       Mai 1945 diskutieren wir weiter in ein paar Jahrzehnten. Auf Wolke sieben.
       
       11 Nov 2022
       
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