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       # taz.de -- Die Verständnisfrage: Lasst mich fliegen!
       
       > Warum fliegen umweltbewusste Menschen in den Urlaub, fragt unser Leser.
       > Weil die Klimakrise nicht von Zuhause gelöst wird, antwortet ein Öko.
       
   IMG Bild: Urlaub und Fliegen: Maho Beach auf St. Martin in der Karibik
       
       In der Verständnisfrage geht es jede Woche um eine Gruppe, für deren
       Verhalten der Fragesteller_in das Verständnis fehlt. Wir suchen eine
       Person, die antwortet. 
       
       Werner Post, aktiv im Umweltschutz in Kerpen fragt: 
       
       Liebe umweltbewusste Menschen, warum könnt ihr nicht auf Urlaubsflüge
       verzichten?
       
       ***
       
       Paul Liermann, 25, Student aus Hamburg antwortet:
       
       Wenn man sich als umweltbewusst bezeichnet, [1][kann man eigentlich nicht
       fliegen]. Aber ich tue es trotzdem. Ich mag es nicht, die Welt nur
       schwarz-weiß zu denken. Und fliegen ist nicht gleich fliegen. Flüge
       innerhalb Europas nehme ich nicht. Okay, dieses Jahr hatte ich einmal die
       Wahl: mit meinen Großeltern ihre Diamantene Hochzeit feiern oder auf einen
       Flug verzichten. Also habe ich mich in den Flieger von Kopenhagen nach
       Frankfurt gesetzt, zeitlich wäre das sonst nicht drin gewesen.
       
       Normalerweise fliege ich aber nur Langstrecken, zuletzt nach Peru, bevor
       die Pandemie ausgebrochen ist. Mit der Rückholaktion der Bundesregierung
       wurde ich damals wieder nach Hause geflogen.
       
       Ohne in ein Flugzeug zu steigen, kommt man nur sehr schwer nach Südamerika.
       Ich finde es aber wichtig – gerade für den Klimaschutz – ein Bewusstsein
       für andere Kulturen zu entwickeln. Hier in Deutschland wird uns der
       Klimawandel vergleichsweise milde treffen. Menschen, die zum Beispiel auf
       pazifischen Inseln leben, fürchten hingegen um ihre Heimat.
       
       An den Ursachen für diese Bedrohung tragen auch wir eine Verantwortung. Um
       Umweltprobleme zu lösen, brauchen wir auch interkulturelle Kompetenz, die
       wir nur erlernen können, wenn wir sie erleben. Wenn wir uns also nicht mehr
       in den Flieger setzen würden, könnten wir nicht sehen, wie sich die
       Klimakrise schon jetzt in anderen Teilen der Welt auswirkt. Wir könnten
       nicht nachempfinden, mit welchen Bedrohungen Menschen am Amazonas oder in
       Nigeria konfrontiert sind. Damit will ich nicht sagen: „Habt kein
       schlechtes Gewissen, jettet um die Welt, wann und wohin ihr wollt!“ Aber
       ich glaube auch nicht, dass wir globale Probleme lösen, indem wir uns
       voneinander abkapseln und zu Hause bleiben.
       
       Ein ähnliches Prinzip verfolge ich beim Essen. Eigentlich ernähre ich mich
       vegan, wenn ich aber in Frankreich bin, esse ich auch Käse, um etwas Neues
       kennenzulernen. Wenn ich in Ghana bin, esse ich Fleisch, um die ghanaische
       Küche und damit einen Teil der Kultur kennenzulernen. Deswegen bin ich
       nicht weniger umweltbewusst.
       
       Meine Flüge kompensiere ich normalerweise. Ich zahle also etwas mehr Geld
       für mein Ticket und hoffe, dass dafür ein paar Bäume gepflanzt werden.
       Klar, das fühlt sich auch an, als würde man sich von den ausgestoßenen
       Emissionen reinwaschen, aber immer noch besser, als keinen Baum zu
       pflanzen. Eigentlich versuche ich aber, statt die negativen Auswirkungen
       meines Handelns zu messen und zu überlegen, wie ich meinen CO2-Fußabdruck
       minimieren kann, selbst positive Umwelteffekte zu kreieren. Ich habe
       Umwelttechnik studiert, um mich mit erneuerbaren Energien und
       Recyclingmethoden für Müll zu beschäftigen. Jetzt setze ich einen Master in
       Innovationsmanagement obendrauf. So möchte ich ab dem nächsten Jahr dabei
       helfen Technologien voranzubringen, die sich positiv auf unsere Klimabilanz
       auswirken. Das finde ich entscheidender, als auf einen Flug zu verzichten.
       
       Haben Sie manchmal auch diese Momente, wo Sie sich fragen: Warum, um alles
       in der Welt, sind andere Leute so? Wir helfen bei der Antwort. Wenn Sie
       eine Gruppe Menschen besser verstehen wollen, dann schicken Sie Ihre Frage
       an [2][verstaendnis@taz.de].
       
       27 Nov 2022
       
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