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       # taz.de -- Film über türkischen Zoodirektor: Die Farben des Winters in Ankara
       
       > Blick vom Stadtrand: „Der anatolische Leopard“ ist das Spielfilmdebüt von
       > Emre Kayış. Es schildert den Wandel der Türkei in leisen Tönen.
       
   IMG Bild: Zoodirektor Firket Öztürk (Uğur Polat) und seine Assistentin Gamze (İpek Türktan)
       
       Firket Öztürk (Uğur Polat) starrt fassungslos auf den Monitor im
       Konferenzraum: Wirbelnd fährt eine Gondel die Achterbahn entlang, vorbei an
       spektakulären Karussells. Der Zoodirektor weiß, dass sein Zoo einem
       Vergnügungspark weichen soll, doch die Bilder des Clips machen das
       Unausweichliche noch unerträglicher.
       
       Nach dem Treffen steht Öztürk schweigend, rauchend hinter dem Haus und
       sieht zu, wie ein Tierpfleger einen Leoparden füttert. Der Leopard ist
       durch seinen Status als geschütztes Tier das Einzige, was die
       Privatisierung des Zoos noch verhindern kann. Doch der Leopard ist dabei,
       zu sterben. Emre Kayış’ Spielfilmdebüt „Der anatolische Leopard“ zeigt eine
       verschwindende Welt.
       
       Die holzgetäfelten Büros des Zoos wirken gegenüber der narzisstischen
       Konsumwelt, die sie ersetzen sollen, aus der Zeit gefallen. Der schweigsame
       Öztürk ist umgeben von alten Männern, die sich gerne reden hören. Der
       Bauunternehmer erweist sich als Schulfreund. Er erzählt von einem
       Klassentreffen. Öztürk kann sich in dem Moment wenig Unattraktiveres
       vorstellen, als hinzugehen.
       
       22 Jahre lang hat er den Zoo in Ankara geleitet. Morgens trinkt er auf dem
       Weg zur Arbeit einen Kaffee in der Bar einer Eislaufhalle, abends trinkt er
       dort ein Bier nach der Arbeit. Die Bar ist sein einziges Sozialleben.
       
       ## Ein toter Leopard
       
       An Silvester flieht er aus dem Konzert seiner Tochter, als seine Exfrau
       auftaucht und der Tochter beiläufig eine Wohnung in London schenkt. Für
       eine Weile sitzt er vor dem toten Leoparden im Käfig und schüttet ihm sein
       Herz aus. Dann versenkt er das tote Tier im Teich hinter der Kantine und
       fährt in eine Kneipe, in der der Barbesitzer mit Freunden über den wahren
       Sozialismus streitet.
       
       Gemeinsam mit der Sekretärin des Zoos vertuscht er den Tod des Leoparden.
       Noch in der gleichen Nacht stapft der Bürgermeister schlecht gelaunt und
       schreiend durch den leeren Käfig des Raubtiers, die Polizei beginnt zu
       ermitteln. Öztürk bittet den Gärtner des Zoos, den Teichrand, dort wo er
       den Leoparden versenkt hat, zu bepflanzen. Der Gärtner schlägt Narzissen
       vor. Ein Staatsanwalt kommt in den Zoo, erzählt die Geschichte von Narziss’
       Tod, um dann eine Narzisse auf den Tisch zu legen und zu gehen.
       
       „Der anatolische Leopard“ ist ein melancholischer Film, der die fahlen
       Farben des Winters in Ankara mit einer sparsamen Tonspur unterlegt. Dieser
       zurückgenommenen Gestaltung zum Trotz bleibt der Film durch die
       fortwährenden Versuche des Direktors, zu verhindern, dass die Wahrheit über
       den Tod des Leoparden herauskommt, durchgehend in Bewegung.
       
       Neben der Geschichte mit dem Leoparden hat Öztürk alle Hände voll zu tun,
       seine ehemaligen Mitarbeiter unterzubringen. Kayış’ Film reiht sich ein in
       eine Anzahl neuerer türkischer Filme wie [1][Ali Vatansevers „Saf“], die
       den gesellschaftlichen Wandel der Türkei vom Rande der Städte her in den
       Blick nehmen.
       
       ## Die Zensur umgehen
       
       Die meisten dieser Filme entstehen als Koproduktion mit gleich mehreren
       europäischen Ländern. Im Interview mit der Website Asian Movie Pulse
       erläutert Kayış dazu: „Es ist nie einfach, in der Türkei Filme zu machen.
       Es gibt nur einen Fördertopf, den des Kulturministeriums. Wir hatten die
       Unterstützung des Kulturministeriums, aber die war nicht einfach zu
       bekommen. Man muss seine Geschichten anders präsentieren, um die Förderung
       zu kriegen. [2][Im Grunde ist das eine Art Zensur.] Wenn man seine
       politische Perspektive nicht verbirgt oder irgendein Tabu anspricht, sind
       die Chancen auf Förderung sehr gering.“
       
       „Der anatolische Leopard“ ist eine türkisch-deutsch-dänisch-polnische
       Koproduktion. Das Drehbuch wurde im Rahmen des Sam-Spiegel-Labs in
       Jerusalem entwickelt. Kayış’ Spielfilmdebüt ist ein kluger, ausgesprochen
       sehenswerter Film über das Gefühl, durch die Landplage des Baubooms in der
       Türkei und die Kommerzialisierung des Alltags überrollt zu werden.
       
       1 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Tietke
       
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