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       # taz.de -- Abschiebung nach Aserbaidschan: Zurück in die Arme des Präsidenten
       
       > Bayern will den Bruder eines aserbaidschanischen Oppositionellen
       > abschieben. Es gebe keinen Zweifel, dass der Mann festgenommen werde,
       > sagt sein Anwalt.
       
   IMG Bild: Protest der Oppositionsparteien am 11. November in Baku
       
       München taz | Knifflige, mitunter auch folgenschwere Entscheidungen zu
       treffen oder Empfehlung auszusprechen gehört zum Alltag des
       Petitionsausschusses des Bayerischen Landtags. Da geht es um
       Baugenehmigungen, Fahrerlaubnisse, aber auch um drohende Abschiebungen.
       Über einen solchen Fall nun haben die Abgeordneten zu befinden, wenn sie
       voraussichtlich am Mittwoch nächster Woche um 9.15 Uhr im Saal 2 des
       Maximilianeums zusammenkommen. Es ist der Fall von Shakir Babirsoy aus
       Memmingen.
       
       Babirsoy floh 2017 [1][aus Aserbaidschan] nach Deutschland aus Angst vor
       dem dortigen Regime. Nun ist der heute 63-Jährige kein Oppositioneller,
       seit 2013 hat er von politischen Aktivitäten gänzlich Abstand genommen.
       Dennoch fühlt er sich in seiner Heimat nicht mehr sicher. Der Grund: sein
       Bruder Ordukhan Teymurkhan Babirsoy. Dieser lebt schon seit vielen Jahren
       in den Niederlanden im Exil, von wo aus er medienwirksame Proteste gegen
       die autokratische Regierung in Baku organisiert.
       
       Ordukhan Teymurkhan Babirsoy habe mittlerweile einen großen
       Bekanntheitsgrad in der Heimat erlangt und werde vom Regime gewissermaßen
       als „Staatsfeind Nummer eins“ betrachtet, erklärt Gerhard Bauer, der Anwalt
       von Bruder Shakir Babirsoy.
       
       Deshalb könne es keinen Zweifel geben, dass sein Mandant festgenommen
       werde, sobald er aserbaidschanischen Boden betrete. Auf diese Weise wollten
       die Machthaber Druck auf den unliebsamen Oppositionspolitiker ausüben. Das
       Wort Sippenhaft bekommt in diesem Zusammenhang eine neue Bedeutung.
       
       ## Polizei holt die ganze Familie
       
       Einen kleinen Vorgeschmack auf das, was ihn erwarten könnte, hat Babirsoy
       schon vor seiner Flucht erhalten. Es war der 18. Februar 2017, sein 58.
       Geburtstag. In Köln hatte sein Bruder an diesem Tag eine Demo gegen die
       Machthaber in Baku veranstaltet und Freiheit für die dortigen politischen
       Gefangenen gefordert. Am Abend dann wurden Shakir Babirsoy und elf weitere
       enge Verwandte des Oppositionellen von der Polizei abgeholt, darunter auch
       die Mutter von Shakir Babirsay und eine zweijährige Nichte.
       
       Auf der Polizeistation hätten sie eine Nacht ohne Essen und Trinken
       verbringen müssen, seien eingeschüchtert worden. Einer der Polizisten habe
       Shakir Babirsoy ins Gesicht geschlagen. Über das Mobiltelefon der Schwester
       habe die Polizei dann Kontakt zu Ordukhan Teymurkhan Babirsoy aufgenommen
       und ihm mit Konsequenzen für seine Familie gedroht, wenn er seine
       regierungskritischen Aktionen nicht einstelle. Die meisten
       Familienmitglieder hätten daraufhin ein Dokument unterschrieben, in dem sie
       sich von ihrem Verwandten im Ausland lossagten. Shakir Babirsoy weigerte
       sich.
       
       Nach seiner Entlassung am folgenden Tag habe er sich einen Monat lang nicht
       getraut, seine Wohnung zu verlassen. Das Haus sei in der Folgezeit auch
       regelmäßig von der Polizei beobachtet worden. Ihm war klar: Sie haben ihn
       im Visier. Immerhin gelang es Babirsoy ein paar Monate später, ein Visum
       nach Deutschland zu bekommen, wo sein Sohn zu dieser Zeit bereits als Arzt
       arbeitete, und unbehelligt auszureisen.
       
       In Deutschland stellte er einen Asylantrag. Dafür nahm er die Trennung von
       seiner Familie in Kauf – seine Frau wollte ihre kranke Mutter nicht allein
       zurücklassen – und gab einen gutbezahlten Job als Schiffsmechaniker auf.
       Inzwischen lebt Babirsoy seit fünf Jahren in Memmingen, seit einem Jahr hat
       er dort eine eigene Wohnung, er lernt Deutsch und hatte bis zuletzt einen
       Job in einer Reinigungsfirma, mit dem er zumindest seinen Lebensunterhalt
       selbst bestreiten konnte.
       
       ## 792 Asylanträge, viermal Asyl
       
       Die [2][ehemalige Sowjetrepublik Aserbaidschan] wird seit fast 30 Jahren
       autoritär von der Familie Əliyev regiert, seit Heydər Əliyev, der Vater des
       heutigen Präsidenten İlham Əliyev, mittels eines Militärputsches die Macht
       übernommen hat. Das Regime ist geprägt von Personenkult und Korruption.
       
       Amnesty International konstatiert eine anhaltende politisch motivierte
       Verfolgung und Drangsalierung von Regierungskritikern; auch nach einer
       Amnestie im März 2021 befänden sich noch etliche politische Gefangene in
       Haft. Bei friedlichen Kundgebungen gehe die Polizei zum Teil mit exzessiver
       Gewalt gegen Demonstrierende vor.
       
       Vor einem Jahr musste ein Oppositionspolitiker nach einem solchen
       Polizeieinsatz mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert
       werden. Ein anderer Oppositioneller sei kurz zuvor auf der Grundlage
       offenbar politisch motivierter Anklagen zu 13 Jahren Haft verurteilt
       worden. Und Human Rights Watch berichtet, dass aserbaidschanische Behörden
       regelmäßig Familienangehörige von Aktivisten schikanierten, willkürlich
       verhafteten und strafrechtlich verfolgten, um die Oppositionellen zu
       zwingen, ihre Aktionen einzustellen.
       
       Aus der Sicht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) sprechen
       solche Berichte allerdings nicht generell gegen die Abschiebung
       aserbaidschanischer Flüchtlinge. In den ersten zehn Monaten dieses Jahres
       wurde in Deutschland über 792 Asylanträge aus Aserbaidschan entschieden.
       Nur vier Antragstellern gewährte das Bamf Asyl, in 49 weiteren Fällen sah
       die Behörde aus anderen Gründen von einer Abschiebungsandrohung ab.
       
       ## Bamf sieht in Festnahme nichts Persönliches
       
       Das Magazin Vice veröffentlichte erst jüngst die Ergebnisse einer
       umfangreichen Recherche, an der auch das aserbaidschanische Exilmedium
       Mikroskop Media beteiligt war. Danach wurden acht Männer, die innerhalb der
       vergangenen anderthalb Jahre aus Deutschland nach Aserbaidschan
       zurückkehrten, dort verhaftet. Alle acht hatten sie zuvor gegen die
       Əliyev-Diktatur demonstriert, die meisten von ihnen hatten in Deutschland –
       vergeblich – Asylantrag gestellt.
       
       Jetzt soll Shakir Babirsoy abgeschoben werden. Auch sein Asylantrag wurde
       vom Bamf abgelehnt. In diesem Sommer dann wies das Verwaltungsgericht
       Ansbach eine Klage gegen die Bamf-Entscheidung zurück, am 15. September
       schließlich lehnte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof wiederum eine
       Klage gegen diesen Beschluss ab.
       
       Die Begründung: Der aserbaidschanische Staat habe gegenüber dem Kläger gar
       kein wirkliches Verfolgungsinteresse gezeigt, das sehe man schon daran,
       dass es ihm ohne Probleme möglich gewesen sei, das Land zu verlassen. Die
       Festnahme im Februar 2017 habe auch nicht ihm persönlich gegolten, die
       Polizei habe lediglich Auskünfte über den Bruder in den Niederlanden
       erhalten wollen.
       
       Das bayerische Innenministerium hat auf taz-Nachfrage erklärt, von einer
       Abschiebung Babirsoys abzusehen, bis sein Fall im Petitionsausschuss
       behandelt worden sei. Der Ausschuss ist seine letzte Hoffnung. Eine kleine
       Hoffnung.
       
       29 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Dominik Baur
       
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