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       # taz.de -- Prozess nach Klimaprotest in Berlin: Gysi verteidigt Letzte Generation
       
       > Der Linken-Politiker und Rechtsanwalt hat einen der angeklagten
       > Aktivisten vor Gericht vertreten. Vorerst war er dabei erfolglos.
       
   IMG Bild: Hat selbst Kritik an der Letzten Generation, vertritt sie aber vor Gericht: Gregor Gysi
       
       Berlin taz | Ein Blitzlichtgewitter bricht los, als Gregor Gysi vor dem
       Gerichtssaal A101 des Amtsgerichts Tiergarten in schwarzer Robe auftaucht,
       früher Anwalt der DDR-Opposition und später Publikumsliebling der
       Linkspartei. Den 24-jährigen Lukas P. beachtet hingegen erst mal niemand.
       Desinteressiert fragt ihn ein Justizbeamter, ob er denn auch zur Presse
       gehöre. „Nein“, antwortet P. knapp. „Ich werde hier angeklagt.“ Der junge
       Mann ist Student, gelernter Schreiner, Klimaaktivist – und Teil der Gruppe
       [1][Letzte Generation].
       
       Eigentlich sind Prozesse gegen die Protestler, die vor allem für ihre
       Straßenblockaden bekannt sind, inzwischen dröger Alltag am Amtsgericht.
       Über 170 Verfahren sollen allein in Berlin anhängig sein – Tendenz
       steigend. Die Politprominenz Gysi ist aber ein neuer Show-Faktor. Er
       vertrat P. als Anwalt. Etwa zwei Dutzend von dessen Unterstützern kamen
       nicht mal mehr hinein, müssen wegen des großen Medienandrangs vor dem
       Gericht in der Kälte warten.
       
       Angeklagt ist P. wegen zahlreicher Straßenblockaden und der Besetzung eines
       Vorraums des Bundesjustizministeriums. Juristisch bedeutet das den Vorwurf
       von Nötigung in 8 Fällen, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in 6 Fällen
       und einmal Hausfriedensbruch. Seine Taten zu leugnen macht P. keine
       Anstalten.
       
       Stattdessen beantragt Gysi für ihn, renommierte Klima- und Protestforscher
       als Zeugen zu laden – nicht für die Taten, sondern [2][für die
       Dringlichkeit der Klimakrise], die Untätigkeit der Politik und die
       Legitimität von zivilem Ungehorsam. So soll bewiesen werden, dass die
       Klimakrise [3][einen rechtfertigenden Notstand für gewisse Straftaten
       darstelle].
       
       ## P. muss Strafe zahlen
       
       Erfolg hat er damit nicht. Der Richter weist den Antrag ab, weil die
       Zeug:innen für „die Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich“ seien.
       P. hatte zuvor selbst ein Plädoyer gehalten. „Millionen Menschen leiden an
       Wasserknappheit, Dürre, Ernteausfällen und Überschwemmungen“, erklärt er
       unter Tränen. Das Reden fällt ihm sichtlich schwer, immer wieder stockt er.
       Für seine Tränen muss der Richter ihm ein Taschentuch anbieten.
       
       P. fährt fort, die Regierung tue nachweislich zu wenig, deshalb sei ziviler
       Ungehorsam eine „demokratische Pflicht“. Vor jeder Aktion habe er Angst,
       sagt P.. Das nehme er aber in Kauf: „Aber die drohende Eskalation durch die
       Klimakrise ist so groß, dass ich mein Handeln für richtig halte.“
       
       Gysi wird später vor Reportern erklären, er habe zwar selbst Kritik an der
       Letzten Generation – die Gruppe habe ihn aber in einem Gespräch überzeugt,
       einen ihrer Aktivist:innen zu vertreten.
       
       In seinem Plädoyer sagt Gysi, die Klimakrise werde „grottenschlecht
       gemanagt“, die junge Generation müsse um ihr Überleben kämpfen. „Sollen
       Strafen die Antwort unserer Generation sein?“, fragt der 74-Jährige. Auch
       die Vorwürfe der Nötigung und des Widerstands träfen nicht zu, weil P.
       keine Gewalt angewendet habe – beide Strafrechtsparagrafen erfordern das.
       „Man kann nicht einfach Nichtgewalt zu Gewalt erklären.“ Zum Richter sagt
       Gysi: „Sie sollten den Mut haben, den Angeklagten freizusprechen.“
       
       Doch diesen Mut kann der Richter offenbar nicht aufbringen. Er verurteilt
       P. zu 90 Tagessätzen à 15 Euro. Weder gebe es einen rechtfertigenden
       Notstand, noch seien die Blockaden gewaltfrei gewesen. Dagegen kann
       Berufung eingelegt werden – was Gysi auch gleich prompt ankündigt. „Wir
       werden bis vor das Bundesverfassungsgericht gehen“, sagt er vor Reportern.
       
       Der Fall könnte die Gerichte also noch eine Weile beschäftigen. P. will
       trotz des Rückschlags vor Gericht weiter an Aktionen der Letzten Generation
       teilnehmen: „Ich werde weiter für das einstehen, was wir Menschen zum Leben
       brauchen. Auch dort, wo es stört.“
       
       30 Nov 2022
       
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   DIR Timm Kühn
       
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