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       # taz.de -- Erkältungswelle in Deutschland: Kinderkliniken am Limit
       
       > Schon vor Wochen warnten Kinderärzt:innen vor einem katastrophalen
       > Herbst und Winter. Nun spitzt sich die Lage in Praxen und Kliniken zu.
       
   IMG Bild: Vor allem die 0- bis 4-Jährigen kommen wegen RSV-Erkrankungen in die Rettungsstellen
       
       Berlin taz | Da ist die Lehrerin aus Berlin, die sich wundert, wo ihre
       Schüler:innen bleiben: Am Montag fehlte die Hälfte in ihrer Klasse, am
       Dienstag war nur noch jede:r Dritte da. Da ist die Mutter mit den
       fiebernden Kindern, die vergeblich versucht, die Kinderärztin zu erreichen,
       aber nur den Anrufbeantworter an die Strippe bekommt, welcher ihr von der
       völligen Überlastung der Praxis berichtet. Im Netz häufen sich landesweit
       die Berichte, dass Lehrer:innen und Erzieher:innen überproportional
       häufig ausfallen.
       
       Aber es handelt sich, anders als in den letzten Jahren gewohnt, offenbar
       nicht um Anzeichen einer neuen Coronawelle, sondern um die anderen
       Erkältungskrankheiten. „[1][Die Erkältungswelle] schlägt früher ein, als
       wir es gewohnt sind“, sagt Jakob Maske, Sprecher des Berufsverbands der
       Kinder- und Jugendärzte.
       
       Und Philippe Stock, Präsident der Gesellschaft für pädiatrische
       Pneumologie, wirbt bereits für eine Rückkehr zur Maskenpflicht. Die würde
       auch bei der aktuellen RSV- und Influenzawelle „definitiv helfen, die
       Infektionen zu begrenzen“, sagte Stock der Neuen Osnabrücker Zeitung.
       
       RSV steht für Respiratorisches Synzytial-Virus. Es ist [2][laut
       Robert-Koch-Institut] ein weltweit verbreiteter Erreger akuter Erkrankungen
       der oberen und unteren Atemwege, die der als Grippe bekannten Influenza
       ähneln. In der Allgemeinbevölkerung wurde RSV lange Zeit unterbewertet,
       kann aber vor allem für sehr kleine Kinder gefährlich werden.
       
       ## Die stärkste RSV-Welle
       
       Bei einer rückblickenden Untersuchung entdeckten Wissenschaftler:innen,
       dass es seit 2011 in jedem Winter eine RSV-Welle gab, die vor allem die bis
       zu 4-Jährigen traf. Im Winter 2020/21 blieb die Welle aus – sie wurde
       komplett von Corona und Schutzmaßnahmen verdrängt.
       
       Doch in diesem Winter kehren die eher üblichen Erkältungskrankheiten
       machtvoll zurück. Die beim RKI angesiedelte Arbeitsgemeinschaft Influenza
       schätzte, dass [3][bereits in der 46. Kalenderwoche] mehr als 8 Prozent
       aller in Deutschland Lebenden unter einer akuten Atemwegserkrankung litten.
       Das wären rund 7 Millionen Erkrankte – deutlich mehr als in den
       Vor-Corona-Zeiten.
       
       Die tatsächlichen Ausmaße messen die Forscher:innen an der Zahl der
       Arztbesuche. Und dort wird klar, dass die Welle vor allem Kleinkinder unter
       4 Jahren betrifft. [4][Sie müssen rund viermal öfter wegen
       Atemwegserkrankungen behandelt werden als der Bevölkerungsschnitt].
       Auch bei den 5- bis 15-Jährigen hat sich die Zahl der Arztbesuche innerhalb
       der beiden letzten Wochen nahezu verdoppelt.
       
       Kinderarzt Jakob Maske sieht im Moment täglich rund 150 Kinder in seiner
       Praxis: „Das ist nur noch Notfallmedizin.“ Für die meisten Kinder und
       Jugendlichen sei die aktuelle Welle an Infektionskrankheiten zwar
       belastend, aber nicht bedrohlich. Vor allem ältere Kinder mit normalen
       Erkältungssymptomen sollten sich zu Hause auskurieren.
       
       Die Eltern bekommen eine Krankschreibung für bis zu einer Woche, ein Besuch
       in den überfüllten Praxen sei nicht nötig. Für Schule und Kita werden in
       den allermeisten Bundesländern bei nicht meldepflichtigen Erkrankungen
       keine Krank- oder Gesundschreibungen benötigt, hier reicht die
       Entschuldigung durch die Eltern.
       
       ## Was tun bei unter 1-Jährigen
       
       Wirklich gefährlich seien Viruserkrankungen wie RSV fast ausschließlich für
       unter 1-Jährige, die zum Teil mit Sauerstoff versorgt werden müssten, so
       Maske. Bei Fieber, insbesondere wenn es über mehrere Tage andauert, wenn
       das kranke Kind nicht mehr trinkt oder schlapp wirkt, wenn den Eltern etwas
       seltsam vorkomme, sollten sie sofort einen Arzt konsultieren. Und wenn sie
       dort nicht durchkommen, in die Notaufnahme fahren, rät Maske.
       
       In den Kliniken allerdings sind die Zustände ebenfalls katastrophal, wie
       unter anderem der Geschäftsführer der Deutschen Interdisziplinären
       Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Florian Hofmann im ZDF
       berichtete. In weiten Teilen Deutschlands gebe es keine freien
       Krankenhausbetten für Kinder mehr.
       
       Die Kinder müssten weite Strecken transportiert werden oder lägen tagelang
       in der Notaufnahme. Es gebe zu wenig Betten auf den Kinderstationen, und
       auch die könnten häufig aufgrund des Personalmangels nicht belegt werden.
       Eine Initiative der Berliner Kinderkliniken hatte [5][schon vor Wochen
       davor gewarnt], dass die Einrichtungen die kommende Herbst-Winter-Welle
       nicht stemmen könnten.
       
       30 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Grippewelle-setzt-Kleinkindern-zu/!5895370
   DIR [2] https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_RSV.html
   DIR [3] https://influenza.rki.de/Wochenberichte/2022_2023/2022-46.pdf
   DIR [4] https://influenza.rki.de/Diagrams.aspx?agiRegion=0
   DIR [5] /Kinderaerztin-ueber-Lage-an-Kliniken/!5889471
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gereon Asmuth
   DIR Manuela Heim
       
       ## TAGS
       
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