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       # taz.de -- Linke und SocialMedia: Dürfen Linke Twitter nutzen?
       
       > Musk kauft Twitter und die Benutzer fliehen. Das hätten sie längst tun
       > sollen – auch von Facebook: hin zu nichtkommerziellen Alternativen.
       
   IMG Bild: Der Trend geht weg vom Planeten der kommerziellen Plattformen
       
       Nun hat es auch die Twitter-Benutzer ereilt: Die Gesetze der
       Marktwirtschaft sind in Form des reichen und mächtigen, aber mit
       bescheidener sozialer Kompetenz ausgestatteten Elon Musk in die sozialen
       Netzwerke eingeschlagen. Der hat Twitter gekauft und aus Angst vor seinen
       Reformen suchen Twitter-User nun verzweifelt nach Fluchtwegen.
       
       In den vergangenen Wochen wurde viel darüber geredet und geschrieben, was
       kein Wunder ist, da Journalisten eine der [1][größeren Benutzergruppen] der
       in Deutschland eher kleinen Plattform Twitter sind. Da werden dann als
       Alternativen gern auch andere kommerzielle Plattformen oder einfach auch
       [2][die Kneipe nebenan] vorgeschlagen.
       
       Aktivisten des Datenschutzes und der digitalen Selbstbestimmung lächeln
       müde angesichts dieses blinden Aktionismus. Jeder Facebook-Skandal war
       bisher von Fluchtreflexen begleitet, die aber nach ein paar Monaten wieder
       verebbten, wenn es den Flüchtigen nicht gelang, ihre Peergroup mitzuziehen.
       Gleichzeitig ist die Hoffnung groß, dass diesmal etwas hängen bleibt und es
       scheint tatsächlich so, dass die Völkerwanderungen von Skandal zu Skandal
       stärker und nachhaltiger werden.
       
       Die Einsicht in den Kern des Problems wächst: Es ist weder Musk noch
       Zuckerberg. Das Problem ist der Kapitalismus. Genauso wenig wie man
       politische Problematiken wie Klimaschutz, Gleichstellung und soziale
       Verträglichkeit von Konzernen lösen lassen kann, die durch Ausbeutung Geld
       verdienen, kann man erwarten, dass Konzerne digitale Kommunikation anders
       behandeln als auch den letzten Cent aus den Daten ihrer Nutzer zu pressen.
       
       ## Soziale Netzwerke überholen Linke von links
       
       Davon, dass das linke politische Spektrum sich die Inhalte der digitalen
       Graswurzelbewegung zu eigen macht und neben die anderen wichtigen Themen
       unserer Zeit stellt, sind wir noch weit entfernt. Möglicherweise, weil sich
       alles Digitale noch abstrakter und komplizierter als die Klimaerwärmung
       anfühlt. Es ist nichts Neues, dass die Politik der sozialen und
       ökonomischen Realität um Jahrzehnte hinterherhinkt.
       
       Die Merkmale der Alternativen sind überschaubar: Sie sind dezentral
       organisiert; die Daten liegen nicht an einem Ort, der unter Kontrolle eines
       einzelnen Unternehmens ist, sondern auf einem von vielen Servern und im
       Idealfall beim Benutzer selbst. Sie sind transparent, sodass Menschen mit
       technischem Know-how nachvollziehen können, was mit den Daten geschieht.
       Also komplett und nicht nur in Teilen Open Source.
       
       Echte Alternativen legen den Fokus darauf, dass private Daten sicher und
       verschlüsselt übertragen und gespeichert werden. Und zu guter Letzt: Sie
       sind nicht kommerziell. Nun könnte man sagen, dass doch auch Unternehmen
       mit einem schlüssigen Geschäftskonzept, das nicht auf dem Verkauf von Daten
       beruht, gute Alternativen bieten können. Doch Unternehmen arbeiten gewinn-
       und wachstumsorientiert.
       
       Die Erfahrung zeigt, dass ihre schönsten Versprechungen sich schon Morgen
       in Schall und Rauch aufzulösen pflegen. Die gute Nachricht: Die
       Alternativen sind schon da. Sie werden als Fediverse bezeichnet. Das
       Universum der föderierten Netzwerke. Es besteht aus verschiedenen,
       potentiell weltumspannenden, nichtkommerziellen und dezentralen
       Plattformen. Es gibt kleine und große und es gibt für jede kommerzielle
       Plattform eine oder mehrere Entsprechungen.
       
       ## Alternativen zuhauf
       
       Manche dieser dezentralen Plattformen kommunizieren zudem untereinander,
       manche weniger. Es gibt das ehrwürdige Diaspora, eines der ältesten
       Netzwerke, das gezeichnet ist von eleganter Schlichtheit und technisch
       solider Konsistenz, es gibt das quirlige und featurereiche Mastodon, es
       gibt Pixelfed, die Entsprechung von Instagram, PeerTube, das Äquivalent zu
       Youtube, Friendica, das kommunikationsfreudigste von allen und noch mehr.
       Eine Übersicht gibt es auf [3][the-federation.info] oder
       [4][fediverse.party].
       
       Wer sich ein Zuhause im Fediverse sucht, kann dies über
       [5][fediverse.observer] tun. Besonderen Zulauf erhält derzeit Mastodon, das
       dank [6][Jan Böhmermann] und anderen stark an Bekanntheit gewonnen hat. Der
       berufsjugendliche Experte für Selbstdarstellung [7][Sascha Lobo] sagt dazu:
       „Mastodon ist eher eine Nerd-Plattform, die man auf eigenen Servern hosten
       muss“ und selbst Georg Diez, der Chefredakteur von The New Institute, die
       nichtkommerzielle Plattformen fordert, schreibt, Mastodon funktioniere nur
       “[8][sehr holprig]“.
       
       Beides Falschaussagen, aber woher kommen sie? Dezentrale, föderierte
       Netzwerke funktionieren anders als die bekannten Plattformen, Nachrichten
       können mal eine Weile brauchen, bis sie einmal um die Welt sind, wenn sie
       nicht auf einem Server liegen. Auch füllt sich der eigene Stream nicht
       automatisch mit Nachrichten, die zu einem passen. Diese Kritik hat auch
       etwas mit linksetablierter Boomerbequemlichkeit zu tun.
       
       Man möchte nichtkommerziell sein, aber es möge doch bitte schön alles so
       funktionieren wie bei den millionenschweren kommerziellen Plattformen. Auch
       die Vorteile der Dezentralität und der Vielfalt des Fediverse scheinen
       nicht überall angekommen zu sein: Viele melden sich auf demselben Server
       an, der „Mastodon“ im Namen trägt, wenige versuchen die anderen
       Plattformen.
       
       ## Kritische Inhalte brauchen Reichweite
       
       Das geht so nicht. Wer den Komfort politischer Korrektheit haben möchte,
       muss ein Stück Bequemlichkeit aufgeben und wenn das nur bedeutet, das
       eigene Gehirn ein bisschen anzustrengen. Die Wohnung auf 19, statt wie
       bisher auf 21 Grad zu heizen geht ja auch. Nicht nur “Linke“, sondern
       Demokrat:innen und ihre Institutionen ganz generell sollten ihre
       Inhalte nicht auf datenkapitalistischen Plattformen teilen. So einfach ist
       es leider nicht.
       
       Wer Inhalte hat, braucht Reichweite. Und es macht keinen Sinn, kritische
       Inhalte nur in der eigenen Blase zu verteilen. Stattdessen sollte die
       Verantwortung verinnerlicht werden, Inhalte nicht ausschließlich dort zu
       teilen, wo das Zielpublikum ausgebeutet wird. Sie müssen
       reichweitenunabhängig auch dort geteilt werden, wo es sich emanzipatorisch
       vernetzen kann. Das ist zurzeit das Fediverse.
       
       Ein guter und zeitsparender Start wäre es, sich [9][einen
       Friendica-Account] zuzulegen, mit dem mehrere Netzwerke des Fediverse und
       sogar Twitter gleichzeitig bespielt werden können. Eine große Hilfe wäre
       zudem, wenn Anbieter professioneller SocialMedia-Tools wie Falcon Social
       die Fediverse-Netze in ihre Software mit aufnehmen würden. Ein Traum, wenn
       es einen öffentlichen Fördertopf für die Entwicklung nichtkommerzieller
       Plattformen gäbe.
       
       2 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://blog.hubspot.de/marketing/social-media-in-deutschland
   DIR [2] /Twitter-Alternativen-im-Test/!5891288
   DIR [3] https://the-federation.info/
   DIR [4] https://fediverse.party/
   DIR [5] https://fediverse.observer/
   DIR [6] https://edi.social/@janboehm/109250563084150191
   DIR [7] https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal-update/lobo-twitter-elon-musk-100.html
   DIR [8] /Chaos-bei-Twitter/!5893652
   DIR [9] https://gnulinux.ch/serie-fediverse-dienste-friendica-funktionsreich-und-doch-verstaendlich
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulf Schleth
       
       ## TAGS
       
   DIR Twitter / X
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