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       # taz.de -- Habecks eigener Plan
       
       > Der Bundeswirtschaftsminister hat eine Chinastrategie ausarbeiten lassen.
       > Das Dokument ist eine Abkehr vom bisherigen Kurs, ein Konflikt mit dem
       > Kanzler absehbar
       
   IMG Bild: Wirtschaftsminister Robert Habeck bei Wacker Chemie Nünchritz. Das Unternehmen produziert Polysilizium, einen Baustein für Photovoltaik
       
       Von Michael Radunski
       
       Beim Einstieg der chinesischen Reederei Cosco im Hamburger Hafen musste
       Robert Habeck noch zähneknirschend zuschauen. Die Übernahme des Dortmunder
       Chip-Herstellers Elmos konnte der grüne Wirtschaftsminister dann
       verhindern. Habeck fürchtet, dass China über solche Geschäfte zu viel
       Einfluss auf kritische Infrastruktur und wichtige Industriezweige in
       Deutschland bekommt. Alles Einzelfälle, beschwichtigen die Befürworter.
       Doch die Einzelfälle häufen sich. Und mit jedem Mal wieder deutlicher:
       Deutschland hat noch immer keine Chinastrategie.
       
       Nun will Habeck nicht länger warten, weder auf das Auswärtige Amt und schon
       gar nicht auf das Kanzleramt – und hat in seinem Haus eine eigenen
       Chinastrategie ausarbeiten lassen. Das 100 Seiten starke Dokument ist mit
       „VS“ gekennzeichnet: Verschlusssache, also nicht für die Öffentlichkeit
       gedacht. Der Mediendienst „Pioneer“ ist an ein Exemplar gekommen und
       berichtet von einem überaus chinakritischen Konzept. Habeck wolle die
       deutsche Wirtschaft unabhängiger machen von China.
       
       In dem Papier heißt es dazu: „Während China seine Abhängigkeit verringert,
       nimmt die wirtschaftliche Bedeutung Chinas für die EU und Deutschland
       weiter zu.“ Das stimmt. Peking verfolgt mit der Strategie „Made in China
       2025“ das Ziel, in den zehn wichtigen Industriezweigen unabhängig von der
       Welt und zugleich Marktführer zu werden. Für die Bundesrepublik müssen
       Habecks Mitarbeiter hingegen festhalten: Aus keinem Land der Welt
       importiere Deutschland mehr – allein 2021 Waren im Gesamtwert von rund 142
       Milliarden Euro, 21 Prozent mehr als noch 2020.
       
       Und während Deutschland 2,7 Prozent seiner Gesamtwertschöpfung nach China
       exportiert, führt China umgekehrt nur 0,8 Prozent seiner Wertschaffung aus
       Deutschland ein. In einigen Branchen ist das Ungleichgewicht alarmierend:
       Neben der Autobranche betrifft sie etwa Wasserstofftechnologie,
       Elektromobilität oder erneuerbare Energien. „Chinesische Unternehmen
       produzieren bereits heute weltweit mehr als 70 Prozent der Solarpaneele und
       etwa die Hälfte der Windturbinen und Elektroautos.“
       
       In dem Papier gibt es konkrete Vorschläge, wie sich das ändern soll: So
       sind neue Berichtspflichten für deutsche Firmen mit starkem Chinageschäft
       vorgesehen. Das könnte Autobauer wie VW betreffen, aber auch den
       Chemiekonzern BASF, der angekündigt hat, 10 Milliarden Euro in ein neues
       Werk in der südchinesischen Provinz Guangdong zu investieren.
       
       Zudem soll die Politik deutsch-chinesische Wirtschaftsprojekte weniger
       stark unterstützen. Und auch Freihandelsabkommen mit anderen Staaten aus
       dem Asien-Pazifik-Raum sollen helfen, Deutschland von China zu lösen.
       Außerdem will man im Wirtschaftsministerium offenbar erreichen, dass China
       nicht mehr als Entwicklungsland eingestuft wird. Eine ähnliche Diskussion
       gab es zuletzt auf der Klimakonferenz in Ägypten, wo sich allerdings China
       durchsetzte.
       
       Damit stellt das Papier eine klare Abkehr dar vom bisherigen Kurs der
       deutschen Wirtschaftsminister: China ist nicht mehr begehrter
       Wirtschaftspartner, sondern ein bedrohlicher Rivale.
       
       Laut „Pioneer“ soll Habeck das hauseigene Papier intern gelobt und eine
       zügige Umsetzung der Handlungsempfehlungen zugesagt haben. Es solle in die
       Chinastrategie der Bundesregierung eingearbeitet werden. Allerdings scheint
       das nicht mit den anderen Ministerien abgestimmt zu sein. Und genau hier
       liegt das Problem: Zwar liegen die Vorschläge inhaltlich auf einer Linie
       mit dem Entwurf des Auswärtigen Amts für eine Chinastrategie. Aber nicht
       nur in der Diskussion um das Cosco-Engagement im Hamburger Hafen wurde
       bereits deutlich, dass das Kanzleramt eine deutlich chinafreundlichere
       Linie verfolgt. Ein Machtwort von Olaf Scholz (SPD) macht letztlich den
       Einstieg Coscos möglich.
       
       Ebenfalls brisant sind die außenpolitischen Prognosen im Papier des
       Wirtschaftsministeriums. So prophezeien Habecks Beamte, dass China Taiwan
       bis spätestens 2027 annektieren werde – passend zum 100-jährigen Jubiläum
       der chinesischen Volksbefreiungsarmee. Tatsächlich haben die Spannungen um
       Taiwan zugenommen: Nach dem Taiwan-Besuch der US-Spitzenpolitikerin Nancy
       Pelosi hat Peking vermehrt Kampfjets in die Luftverteidigungszone der Insel
       geschickt und Raketen getestet. Zugleich sicherte US-Präsident Joe Biden
       Taiwan die volle – auch militärische – Unterstützung der USA zu, sollte
       China tatsächlich angreifen. Es sind genau solch klare Ansagen, mit denen
       man Chinas Verhalten am ehesten beeinflussen kann. Eine Klarheit, die auch
       die deutsche Bundesregierung gegenüber China entwickeln sollte. Habeck will
       das offenbar angehen.
       
       2 Dec 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Radunski
       
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