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       # taz.de -- Vorbeugehaft für Klima-Aktivisten: Heulen mit den Wölfen
       
       > Mit der Forderung nach Verschärfung der Vorbeugehaft hat die SPD den
       > Wahlkampf eröffnet. Polizeipräsidentin Barbara Slowik lieferte die
       > Vorlage.
       
   IMG Bild: Trio infernale: Franziska Giffey, Iris Spranger und Barbara Slowik (von links)
       
       Harte Maßnahmen gegen [1][die Aktivisten der Letzten Generation] müssten
       her – Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und
       [2][Innensenatorin Iris Sprange]r (beide SPD) lassen an ihrer Haltung
       keinen Zweifel. Mit einer Wortwahl, die suggeriert, die Sicherheit des
       Abendlandes stünde auf dem Spiel, inszenieren sich die beiden als Frauen
       der Tat. Polizeipräsidentin Barbara Slowik liefert die Vorlage.
       
       Einige Kostproben: „Wir greifen durch“, erklärte Giffey. „In Geiselhaft“
       würden die Klimaaktivisten die Berliner Bevölkerung nehmen, befand
       Spranger. Polizei und LKA arbeiteten mit allen Mitteln, „um unsere Stadt
       aus dem Würgegriff dieser Protestaktionen freizubekommen“, erklärte Slowik.
       Zu „Klima-Terroristen“ und „Klima-RAF“, von der schon CSU-Bundespolitiker
       schwadronierten, ist es da nicht weit.
       
       [3][Giffey und Spranger sind dafür, dass Menschen, die sich auf der Straße
       festkleben, um eine schärfere Klimapolitik durchzusetzen, langfristig aus
       dem Verkehr gezogen werden]. Das Problem ist nur: Die Justiz macht da nicht
       mit. Kein Berliner Gericht ist bisher so weit gegangen, die Teilnahme an
       friedlichen Straßenblockaden mit Freiheitsstrafen zu sanktionieren. Das
       wäre auch noch schöner.
       
       Was also tun? Die Polizei löst das Problem selbst, indem sie die Blockierer
       über den Hebel des Unterbindungsgewahrsams festsetzt. Das Motto: Wenn die
       Justiz zu schlaff ist, setzt die Polizei den Freiheitsentzug eben über
       Umwege durch.
       
       Das und nichts anderes ist die Botschaft, wenn Spranger, wie Anfang der
       Woche geschehen, eine Verlängerung der Vorbeugehaft fordert, die in Berlin
       auf 48 Stunden begrenzt ist. Was für ein Zeitrahmen ihr vorschwebt,
       beantwortete die Innensenatorin nicht. Nur so viel: Ganz so schlimm wie in
       Bayern, wo gegen Straßenblockierer bis zu 30 Tagen Vorbeugehaft angeordnet
       werden können, solle es nicht sein.
       
       ## Keine Chance auf Realisierung
       
       Dass die Forderung keine Chance hat realisiert zu werden, solange die
       Grünen und die Linken mitregieren – egal. Es ist Wahlkampf. Bei der
       Autofahrerlobby und rechten Wählerkreisen wird die Botschaft ankommen.
       Bestärkt dürften sich auch jene fühlen, die schon die ganze Zeit finden,
       mit dem Klimaaktivisten werde viel zu lange gefackelt. Schon jetzt mehren
       sich die Anzeichen, dass Polizisten beim Abräumen der Blockaden radikaler
       vorgehen als noch vor einigen Wochen. Sprangers Äußerungen dürften von
       ihnen als Bestätigung empfunden werden.
       
       Dass diesen Beamten die Polizeiführung auf die Finger klopft, ist auch
       nicht zu erwarten. Polizeipräsidentin Slowik hatte kürzlich in einem
       Zeitungsinterview eine „extreme zusätzliche Arbeitsbelastung“ durch die
       Klimaktivisten beklagt und dabei auch das Bild vom „Würgegriff“ verwendet.
       
       Vor Spranger hatte Slowik gefordert, die Vorbeugehaft wieder zu verlängern.
       Dazu muss man wissen: Der Zeitrahmen ist in Berlin in letzten zehn Jahren
       mehrfach verändert worden, je nach Farbe der Regierungskoalition. Die
       SPD-CDU-Koalition mit Frank Henkel als CDU-Innensenator hatte 2015 aus zwei
       Tagen Vorbeugehaft vier gemacht. Und Rot-Rot-Grün 2021 aus vier Tagen
       wieder zwei.
       
       Fußnote am Rande: Es war damals nicht die Polizeiführung, die Henkel für
       die Vorschärfung mit populistischen Vergleichen die Vorlage geliefert
       hatte. Im Gegenteil. Die jetzige Generalstaatsanwältin Margarete Koppers,
       seinerzeit amtierende Polizeipräsidentin, hatte sich ausdrücklich dagegen
       positioniert, als das Thema bei den SPD-CDU Koalitionsverhandlungen auf der
       Agenda stand: [4][„Ich sehe dafür keine Notwendigkeit“, so Koppers damals].
       
       Eine Polizeipräsidentin, die Standing hat und nicht mit den Wölfen heult –
       das würde man sich auch heute wünschen.
       
       19 Nov 2022
       
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