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       # taz.de -- Die Wahrheit: Ellenlanges Horn und noch viel mehr
       
       > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (158): Das Einhorn ist
       > ein Fabeltier und blickt auf eine bewegte Geschichte zurück.
       
   IMG Bild: Wunder über Wunder: Ein wunderschönes Einhorn der US-Malerin Muriel Kalish und ein sich Wundernder
       
       Das Einhorn ist ein Fabelwesen mit einem geraden Horn auf der Stirn. Seit
       dem Mittelalter gilt es den Christen als das edelste aller Fabeltiere und
       ist ein Symbol für das Gute. Seine „Erstbeschreibung“ erfolgte durch den
       Leibarzt zweier Perserkönige um 400 vor unserer Zeit: „Das Einhorn gleicht
       dem Pferde, ist nur ein wenig größer, weiß am Körper und rötlich am Kopf.
       Seine Augen sind blau und auf der Stirn trägt es ein einziges, mächtiges,
       eine Elle langes Horn.“
       
       Auch Julius Cäsar erwähnt das Einhorn – in seinem Feldzugsbericht „De Bello
       Gallico“ (um 50 vor unserer Zeit). Diese seltsamen Wesen sollten ihm
       zufolge im Herzynischen Wald leben. Ist schon sein Bericht als historische
       Quelle umstritten, so erst recht die Einhorn-Passage darin, bei der das
       netzwerk-kryptozoologie.de vermutet, dass es sich um einen „späteren
       Einschub in den Text“ handelt. Für den US-Autor Odell Shepard zeigt er
       jedoch eher, „dass selbst größte Geister der Geschichte an das Einhorn
       glaubten.“
       
       ## Horn aus Mammutstoßzahn
       
       Ob es Einhörner jemals gab, könnten heute nur Archäologen positiv
       beantworten – anhand von Hornfunden. Die gibt es auch, aber eine
       Ausstellung über „Irrtümer & Fälschungen“ im Museum für Archäologie in
       Herne 2018 zeigte, dass das Skelett des „Einhorns von Quedlinburg“, das auf
       Knochenfunden von 1663 im Harz basiert, von verschiedenen Tieren stammt –
       das Horn vermutlich aus den Überresten eines Mammutstoßzahns.
       
       Auf geo.de werden zwei Nicht-Fakes angeboten. Erstens ein Reh im
       italienischen Wildreservat Prado, das auf seiner Stirn ein einzelnes Horn
       trug, was ein sehr seltener Fehler im Erbmaterial des Tieres war. „Manche
       Wissenschaftler“, so geo.de, „vermuten, ähnliche Genmutationen könnten auch
       für die Entstehung des Einhorn-Mythos verantwortlich gewesen sein.“ Und zu
       denen, die behaupteten, das Einhorn wirklich gesehen zu haben, „gehörte der
       berühmte Reisende Marco Polo. Ganz falsch lag er nicht: Allerdings war sein
       ‚Einhorn‘ wohl ein Nashorn.“
       
       ## Nashorn gegen Erektionsproblem
       
       Und Nashörner gibt es noch immer, sie sind vom Aussterben bedroht – gerade
       wegen ihres Horns, das pulverisiert gegen Erektionsprobleme helfen soll.
       Wenn, dann sah Marco Polo ein asiatisches Nashorn, das ein dem Nasenbein
       entwachsenes Horn trägt, das wie unsere Fingernägel aus Keratin besteht.
       Afrikanische Nashörner haben zwei hintereinander gesetzte Hörner.
       
       Ebenfalls ein mit Horngewebe überzogenen hohen Auswuchs auf dem Kopf hat
       der heute noch lebende Kasuar: ein Laufvogel, der in den Regenwäldern
       Neuguineas und Queensland lebt. Sein Horn hat eine helmartige Form, wie sie
       ähnlich auch verschiedene Armeeangehörige und Stewardessen tragen; diese
       Helme nennt man dann „Schiffchen“.
       
       Das Online-Wissenschaftsmagazin spektrum.de lieferte 2019 mehrere
       Erklärungen für das Kasuar-Horn, die alle auf folgenden Nutzen abheben: Es
       soll Schutz vor Kopfverletzungen bei schnellen Bewegungen im dichten Wald
       bieten – Kasuare halten aber ihren Kopf immer gerade, und eine
       Schutzfunktion des Helms tritt erst bei geneigtem Kopf ein.
       
       Die Größe des Helms soll den sozialen Status eines Individuums
       widerspiegeln und somit eine Rolle im Sozialverhalten spielen. Ebenso soll
       der Helm wichtig sein für die tieffrequente akustische Kommunikation der
       Kasuare. Jüngste Forschungen kommen nun zu dem Ergebnis, dass der Helm zur
       Regulierung der Körpertemperatur dient. Wikipedia meint jedoch: „Momentan
       sind die Funktion des Helms und die innerartliche Kommunikation der Kasuare
       für definitive Schlüsse noch nicht hinreichend erforscht.“
       
       Kasuare in Not können sehr aggressiv werden. Dabei wird der Kopf zu Boden
       geneigt, also dem möglichen Gegner das helmartige Horn entgegengehalten.
       Greift der Vogel an, geschieht dies aber mit beiden Beinen gleichzeitig.
       Die dolchartige Kralle kann dabei schwerste Verletzungen hervorrufen. Außer
       den Menschen haben Kasuare allerdings keine Feinde, höchstens den
       Jungtieren können verwilderte Hunde gefährlich werden.
       
       Es gibt drei Kasuar-Arten, zwei gelten als gefährdet. Im Westberliner Zoo
       lebt ein Helmkasuarpärchen. Das 1,70 Meter große Weibchen wird von der
       Tierpflegerin Janine Brix auf Fernsehaufnahmen mit „Na, Mäuschen“ begrüßt.
       Bei den Kasuaren legen die Weibchen die Eier, aber das Männchen brütet sie
       aus, wie bei den Straussen, und zieht auch die Jungen auf, während sich das
       Weibchen oft noch mit einem weiteren Männchen verpaart.
       
       ## Schmackhaftes Kasuarenfleisch
       
       Die Papua-Völker haben gerne junge Kasuare gefangen, gemästet und gegessen,
       das Fleisch gilt als schmackhaft und wertvoll. Die Krallen dienten als
       Pfeilspitzen. Wikipedia erwähnt zwei Papua-Völker, bei denen die Kasuare
       als Wiedergeburt ihrer weiblichen Ahnen gelten und die deswegen die Jagd
       auf diese Vögel verboten haben. Nirgendwo fand ich eine Information über
       die Verwendung des Kasuarhelms.
       
       Beim Horn des Einhorns ist das anders: laut NZZ schützt es „nach einem
       alten Aberglauben vor Gift. Es macht gewissermassen drogen-unsüchtig.“ Für
       den Philosophen Michel Serres ist diese Droge die Sprache, die uns
       berauscht. Das pulverisierte Horn des Einhorns würde uns demnach
       sprachloser aber nüchterner machen. Für Serres ist das Tier im Übrigen ein
       Hybrid aus Ziege, Pferd und Narwal.
       
       Der Meeressäuger Narwal ist tatsächlich ein richtiges Einhorntier. „Es
       handelt sich dabei um einen (meist den linken) Eckzahn des Oberkiefers, der
       schraubenförmig gegen den Uhrzeigersinn gewunden die Oberlippe durchbricht
       und bis zu drei Meter lang und bis zu zehn Kilogramm schwer werden kann.
       Ohne Stoßzahn misst der Narwal vier bis fünf Meter,“ heißt es auf
       Wikipedia.
       
       ## Zahn um Zahn um Eisdecke
       
       Die Inuit jagten die Narwale des Fleisches wegen, die Narwalhaut gilt als
       Delikatesse. Mit dem Stoßzahn jagten sie dann Eisbären, was nicht
       ungefährlich war. Man vermutete, der Zahn diene zum Durchbrechen der
       Eisdecke, zum Durchwühlen des Meeresbodens, als Instrument bei der
       Echo-Ortung. Doch kanadische Forscher fanden jüngst heraus: Die Narwale
       erschlagen damit ihre Beute, die Fische.
       
       In Grönland und Kanada werden jährlich bis zu 1.100 Nawale erlegt. Bei
       einer geschätzten Gesamtpopulation von 23.000 Narwalen sind solche
       „Entnahmen“ laut Experten gerade noch für das Populationswachstum
       tolerierbar. Narwale sind im Arktischen Ozean verbreitet, wo sie sich stets
       in der Nähe des Packeises aufhalten.
       
       Der sowjetische Polarforscher Georgi Uschakow schrieb in „Unbekanntes
       Inselland“ von 1954 über eine Jagd auf Narwale, die massenhaft in einer
       Bucht aufgetaucht waren. Mit deren Fleischmassen fütterte er seine Hunde
       und konnte dadurch seine „weitere Forschung auf Sewernaja Semlja
       durchführen“. Die Hörner der Narwale, die lange Zeit für die von Einhörnern
       gehalten und dementsprechend teuer verkauft wurden, ließ er liegen.
       
       Für die fabelhafte Geschichte des Einhorns braucht es auch gar nicht mehr,
       „denn“, so nationalgeographic.de, „ihr gemeinsames Merkmal hat viel mehr
       gemein, als man zuerst meinen mag: Es ist sozusagen dasselbe.“
       
       21 Nov 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Helmut Höge
       
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