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       # taz.de -- Blockaden der Letzten Generation: Da bleibt was kleben
       
       > Die Letzte Generation blockiert erneut Straßen – trotz aller Versuche,
       > den Protest zu kriminalisieren. Die Gruppe könnte sich am Ende
       > durchsetzen.
       
   IMG Bild: Aktivistin ist weg, doch bleibt das Tempolimit kleben?
       
       Berlin taz | Sie kleben wieder. Die Aktivist:innen der Gruppe Letzte
       Generation haben ihre Ankündigung wahr gemacht und am Montag ihre Proteste
       nach einer Unterbrechung vergangene Woche fortgesetzt. Nach eigenen Angaben
       blockierten Aktivist:innen Kreuzungen an der Invalidenstraße, an der
       Potsdamer Straße und am Halleschen Ufer. Unterbrochen hatte die Gruppe ihre
       Aktionen, um der Bundesregierung die Chance zu geben, die Forderungen zu
       erfüllen: das 9-Euro-Ticket fort- und ein Tempolimit einzuführen. Auch in
       München blockierte die Gruppe eine Straße am Karlsplatz.
       
       [1][Dass die Letzte Generation wieder auf der Straße ist], zeigt: Die
       Strategie der Law-and-Order-Parteien, den Protest der Aktivist:innen
       durch Einschüchterung zu ersticken, ist dabei zu scheitern. „Weder
       Hundertschaften der Polizei noch Gefängnisstrafen werden uns daran hindern,
       mit immer mehr Menschen immer wieder zu kommen“, ließ Aimée van Baalen,
       Sprecherin der Gruppe, in einer Mitteilung zu der Blockade in München
       verlauten.
       
       Derweil läuft das politische Projekt, die Aktionen der Gruppe zu
       kriminalisieren, auf Hochtouren. Nach taz-Informationen hat die
       Innenverwaltung von SPD-Senatorin Iris Spranger die Feuerwehr bereits im
       Juli angewiesen, immer zu erfassen, wenn es bei Einsätzen zu Behinderungen
       im Zusammenhang mit Klimaaktivisten kommt. Brisant: Eine solche Erfassung
       gibt es ausschließlich für Klimaaktivist:innen. Verzögert sich ein Einsatz
       aus anderen Gründen, etwa wegen falsch geparkter Autos oder
       Großveranstaltungen, wird das in der Lagemeldung nicht erfasst. Das zeigt
       eine Anfrage des grünen Innenexperten Vasili Franco, die der taz vorliegt.
       Zuerst hatte der Tagesspiegel darüber berichtet.
       
       ## Spranger im Alleingang
       
       Laut Franco habe sich der Eindruck erhärtet, dass die Innenverwaltung
       „gezielt das Feindbild Klimaaktivist:innen schüren möchte“, wie er
       der taz sagte. Die Feuerwehr würde für politische Zwecke
       instrumentalisiert. Zudem kritisierte Franco Innensenatorin Spranger, die
       vergangene Woche auf der Innenministerkonferenz dem Plan zustimmte, ein
       Lagebild zur bundesweiten Organisation der Letzten Generation erstellen zu
       lassen, möglicherweise, um die Gruppe später als kriminelle Organisation
       einstufen zu können.
       
       Das sei ein weiterer „Alleingang“ Sprangers gewesen, der mit der Koalition
       nicht abgesprochen worden sei. „Es scheint, als hole sich die
       Innensenatorin lieber Schützenhilfe von der CDU, als ihre Politik gemeinsam
       mit der Koalition zu beraten“, so Franco.
       
       Von der Letzten Generation heißt es derweil, man erlebe eine große Welle
       der Solidarität und einen stetigen Zulauf von Aktivist:innen. In ihrem nur
       einjährigen Bestehen sei die Gruppe von 20 auf mehrere hundert
       Aktivist:innen gewachsen. Regelmäßig [2][hält die Gruppe Vorträge],
       lädt Neumitglieder zu Treffen ein, klärt über ihre Vorhaben auf. Diese
       Strategie trägt nun offenbar Früchte.
       
       Und die Taktik könnte aufgehen, die Gruppe sich am Ende tatsächlich
       durchsetzen. Die durch die Blockaden ausgelöste gesellschaftliche Debatte
       ist inzwischen so ausufernd geworden, dass eine politische Antwort auf die
       Aktionen dringend notwendig geworden ist. Scheitern aber die
       Einschüchterungs- und Repressionsversuche – welche Lösung, außer Nachgeben,
       gäbe es noch?
       
       ## Ins Herz der Autoobsession
       
       Zu verdanken hat diese Zuspitzung des Konflikts die Gruppe vor allem sich
       selbst. Die gewählte Aktionsform der Straßenblockaden hat ins Herz der
       deutschen Autoobsession getroffen. Keine anderen Aktionen, nicht einmal die
       gefürchtete Zerstörung von fossiler Infrastruktur, hätte wohl im Autoland
       Deutschland eine vergleichbare Aufmerksamkeit erzielt.
       
       Zur Erinnerung: Im Frühjahr hat die Gruppe wiederholt Ölpipelines zugedreht
       – gejuckt hat das fast niemanden. Aber in den Straßenverkehr einzugreifen,
       wo man in Deutschland den letzten Hort der Freiheit vermutet, damit konnte
       die Klimakrise nach der pandemiebedingten Krisenmüdigkeit zurück in den
       Mittelpunkt der Aufmerksamkeit geholt werden.
       
       Den Berufsverkehr zu stören war auch deshalb eine schlaue Aktionsform, weil
       sie ins Bewusstsein zieht, was sonst verdrängt wird: Die Klimakrise wird
       nicht nur – wenn auch im großen Stil – von der Großindustrie und den
       Superreichen befeuert, sondern auch durch den Lebensstil von uns allen im
       Globalen Norden. Im globalen Maßstab gehört die deutsche Bevölkerung (noch)
       zu den Profiteuren der Zerstörung. Die Normalität des alltäglichen
       Autofahrens gehört dazu. Sie zu stören ist richtig – genau davon zeugen die
       Abwehrreflexe, von den verbalen Entgleisungen der Politiker:innen bis
       zu den Handgreiflichkeiten auf der Straße.
       
       ## Spitze der Absurdität
       
       Die strategischen Entscheidungen der Letzten Generation haben eine Krise
       entfacht, die ganz einfach zu lösen wäre: Stets hat die Gruppe gelobt, ihre
       Aktionen vorerst zu beenden, wenn ihre Forderungen erfüllt werden.
       Womöglich würde bereits die Einführung eines Tempolimits dafür reichen.
       Alles, was es dazu bräuchte, wären einige mutige Politiker:innen bei
       den Grünen, die dieses wieder auf die Agenda der Bundesregierung setzen.
       
       Dass es dazu (noch) nicht kommt, liegt vor allem daran, dass die Politik
       Angst hat, als erpressbar wahrgenommen zu werden. Dabei gibt es für
       Tempolimit und 9-Euro-Ticket stabile demokratische Mehrheiten. SPD und
       Grüne waren in den Ampel-Koalitionsverhandlungen für ein Limit – nur die
       FDP hat blockiert.
       
       Darüber hinaus ist Klimaschutz ein verfassungsrechtlicher Auftrag, dessen
       mangelnde Ausführung erst 2021 vom Bundesverfassungsgericht bescheinigt
       wurde. Ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern wäre die einfachste und
       naheliegendste Maßnahme, den Anforderungen des Gerichts gerecht zu werden.
       
       Das Gerede von der Erpressbarkeit ist deshalb die Spitze der Absurdität:
       Die Politiker:innen würden nur etwas tun, was sie ohnehin wollen – und
       wozu sie sogar höchstrichterlich verpflichtet sind. Stattdessen machen sie
       weiter business as usual, was konkret heißt: Politik im Interesse der Auto-
       und Kohleindustrie, also gegen die Interessen der Bevölkerung, dass nämlich
       die eigenen Lebensgrundlagen erhalten werden. Man kann sagen: Ein bisschen
       Erpressbarkeit würde diesem Staat sehr guttun.
       
       5 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Aktion-der-Letzten-Generation-in-Muenchen/!5900087
   DIR [2] https://letztegeneration.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Timm Kühn
       
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