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       # taz.de -- Energiekooperation mit Namibia: Wasserstoff aus der Wüste
       
       > Deutschland will in grünen Wasserstoff aus Namibia investieren. Minister
       > Habeck ist dafür nach Windhoek gereist. Eine Chance für das afrikanische
       > Land?
       
   IMG Bild: Wirtschaftsminister Habeck mit dem namibischen Energieminister Alweendo in Windhoek
       
       Pro Jahr 300 Sonnentage, 3.000 Kilometer Küste, wie gemacht für Wind und
       Solarkraft, stabil und demokratisch, so stellt sich Namibia dar – als das
       ideale Land für erneuerbare Energie. Künftig möchte sich Namibia als ein
       Weltmarktführer in der Herstellung von sogenanntem grünem Wasserstoff
       positionieren. [1][„Das Wasserstoff-Rennen ist angesagt“, titelt das
       Regionalblatt] Allgemeine Zeitung kurz vor dem Besuch von
       Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in der namibischen Hauptstadt
       Windhoek.
       
       Namibia könnte künftig Deutschlands wichtigster Lieferant für grünen
       Wasserstoff werden. Das wird in einer Absichtserklärung festgehalten, die
       Habeck und der namibische Präsident Hage Geingob am Montag unterzeichnet
       haben. Der Besuch des Vizekanzlers in Namibia reiht sich ein in das Bemühen
       Deutschlands, die Energiewende voranzubringen und Wirtschaft neu
       aufzustellen. Dem grünen Wasserstoff aus Namibia, der aus erneuerbaren
       Energien wie Wind- oder Sonnenkraft hergestellt wird, könnte dabei eine
       Schlüsselrolle zukommen, um die Klimaziele zu erreichen. Bis 2045 will
       Deutschland CO2-neutral sein.
       
       Für den Umbau der Wirtschaft werden große Mengen grünen Wasserstoffs
       benötigt. Laut dem Wirtschaftsministerium wird 2030 schätzungsweise eine
       zweistellige Zahl von Ländern grünen Wasserstoff etwa in der Form von
       Ammoniak, einem Wasserstoffderivat, das sich besonders gut für den
       Transport per Schiff eignet, [2][nach Deutschland exportieren]. Gerade bei
       „kritischen“ Rohstoffen wolle das Bundeswirtschaftsministerium
       Abhängigkeiten von China verringern.
       
       „Jetzt wird es konkret“, sagte Habeck bei einer Pressekonferenz nach dem
       Gespräch mit Präsident Hage Geingob und Energieminister Tom Alweendo. Rund
       10 Milliarden Euro soll das Investitionsvorhaben kosten, fast so viel wie
       Namibia jährlich erwirtschaftet. Im Jahr 2025 soll Baubeginn sein. In einer
       Pressemitteilung schreibt der Energieriese RWE: „Gemeinsam mit Hyphen
       Hydrogen Energy haben wir eine Absichtserklärung unterzeichnet, um zu
       prüfen, wie grünes Ammoniak aus Namibia nach Deutschland gebracht werden
       kann.“ Ab 2027 könnten jährlich bis zu 300.000 Tonnen des
       transportierfähigen Derivats aus Namibia geliefert werden.
       
       ## Tiefseehäfen müssten noch gebaut werden
       
       Als bevorzugtes Unternehmen für die Entwicklung des ersten grünen
       Wasserstoffprojekts in Namibia ist das 2021 gegründete namibische
       Unternehmen Hyphen im Rennen, Joint Venture der Firma Enertrag und Nicolas
       Holdings. Im März hatte RWE seinen Plan angekündigt, bis 2026 ein Terminal
       für grünes Ammoniak in Brunsbüttel in Deutschland zu bauen. Entsprechende
       Tiefseehäfen in Namibia gibt es noch nicht, die bestehenden müssten noch
       ausgebaut werden.
       
       Schon vor der Energiekrise warb Namibia mit dem Potenzial, in großem Stil
       grünen Wasserstoff zu produzieren und zu exportieren. Die nationale
       Wasserstoffstrategie vom November liest sich wie eine Win-win-Situation:
       Einerseits möchte Namibia einen Beitrag zur Lösung der globalen Klimakrise
       leisten, aber gleichzeitig Wohlstand für seine Bürger:innen schaffen.
       Die Regierung schätzt, dass das Geschäft mit dem grünen Wasserstoff bis zu
       6 Milliarden US-Dollar zum Bruttoinlandsprodukt beitragen könnte. Für das
       Jahr 2030 würde das eine Steigerung von 30 Prozent bedeuten. Weiter
       prognostiziert die Regierung, dass durch die Wasserstoffproduktion bis zu
       600.000 Jobs geschaffen werden könnten. Gemessen an der Gesamtbevölkerung
       von 2,5 Millionen Einwohnern eine hohe Zahl, die sich jedoch nicht
       überprüfen lässt.
       
       Nicht alle sind von den Plänen derart begeistert wie die Regierung. „Wir
       finden es auch ironisch, dass Deutschland aufgrund seiner unglücklichen
       Energiepolitik, dem Ausstieg aus der Kernenergie, der Entwicklung einer
       übermäßigen Abhängigkeit von Russland und der schleppenden Dekarbonisierung
       seiner Energiesysteme bereit ist, Namibia für die Zerstörung global
       wichtiger Ökosysteme und der biologischen Vielfalt zu bezahlen, anstatt die
       Probleme zu Hause und in der EU anzugehen“, kritisiert Chris Brown, Chef
       der Namibian Chamber of Environment, und warnt vor den ökologischen Folgen
       im Nationalpark Tsau Khaeb.
       
       ## Warnung vor „Energie-Imperialismus“
       
       Warum gerade das Sperrgebiet in der Wüste im Süden des Landes für die
       Produktion von grünem Wasserstoff ausgesucht wurde, sei intransparent
       entschieden worden, so Brown. Das Gebiet beherberge 20 Prozent aller
       Pflanzenarten in Namibia auf nur 2 Prozent der Landesfläche, unter anderem
       endemische Arten. „Wenn die Wasserstoffproduktion in diesem Nationalpark
       stattfindet, mag sie zwar kohlenstoffneutral sein, aber sie kann nicht
       als,grün' bezeichnet werden“, so Brown zur taz.
       
       In einem Bericht der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) heißt es, noch gebe es
       weder die Infrastruktur für die Stromerzeugung im Gigamaßstab,
       entsprechende Übertragungskapazitäten, noch die notwendigen rechtlichen und
       regulatorischen Bestimmungen. Von beidem aber könnte das Land aber
       profitieren. „Diese Policies kommen nicht über Nacht“, sagt Natalie
       Russmann von der KAS der taz. „Vieles ist im Gange.“ Für die
       Wasserstoffproduktion in der Nähe der Kleinstadt Lüderitz müsste neue
       Infrastruktur geschaffen werden. Die Anlagen, die gebaut werden müssten, um
       Wasser etwa für die Gewinnung von Wasserstoff zu entsalzen, Derivate und
       Strom zu transportieren und zu speichern, könnte der regionalen
       Stromversorgung zugute kommen: „Das wäre eine große Chance für das Land.“
       Bislang ist Namibia abhängig von ausländischen Energieversorgern.
       
       Wie viel Strom aus der grünen Wasserstoffproduktion für die lokale
       Versorgung vorgesehen ist, sei aber noch unklar, so Russmann. Die KAS macht
       deutlich: Der Aufbau der Wasserstoffproduktion könnte ein Wachstumsmotor
       werden – wenn sie nicht nur zum Nutzen der Industrienationen geschaffen
       wird. Auch andere Kritiker:innen fürchten sich vor einer Abhängigkeit
       von der früheren Kolonialmacht Deutschland.
       
       Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck spricht währenddessen selbst von
       einem „Energie-Imperialismus“ und warnt davor, dass Namibia Energie
       entwickele, Europa oder Deutschland sie absauge und das Land alleine lasse.
       In der Pressekonferenz äußerte der Wirtschaftsminister, das Wichtigste sei,
       dass Namibia eine verlässliche, saubere und günstige Energieversorgung
       bekäme. Dafür wurde bei dem Treffen eine Vereinbarung unterzeichnet, die es
       den Wettbewerbshütern beider Länder ermöglichen wird, ein faires
       Marktumfeld für grünen Wasserstoff zu schaffen.
       
       5 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.az.com.na/energie/wasserstoff-rennen-ist-angesagt2022-12-05
   DIR [2] /Stahlproduktion-in-Deutschland/!5899995
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ann Esswein
       
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