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       # taz.de -- Experte zu Krankenhausreform: „Das Fallpauschalen-System bleibt“
       
       > Die Regierungskommission verspricht, den finanziellen Druck in
       > Krankenhäusern abzuschwächen. Experte Kalle Kunkel glaubt das nicht.
       
   IMG Bild: Das Transparent lässt sich wohl wiederverwenden: Demo vorm Gesundheitsministerium 2020
       
       taz: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt,
       Patient*innen würden in Krankenhäusern zukünftig weniger nach
       wirtschaftlichen und stärker nach medizinischen Gesichtspunkten behandelt.
       Läutet er damit eine Revolution im Gesundheitswesen ein? 
       
       Kalle Kunkel: Eine Revolution kann ich jetzt, zumindest was die
       Ökonomisierung angeht, nicht erkennen: Das Fallpauschalen-System bleibt
       erhalten. Es wird nur ergänzt durch andere Formen von Finanzierungen, wobei
       diese anderen Formen zum Teil auch problematisch sind. Gleichzeitig geht es
       sehr stark darum, jetzt über die Art der Finanzierung die
       Krankenhausstrukturen zu verändern. Wie das wirkt, müssen wir dann genauer
       anschauen.
       
       Sehen Sie an diesem Vorhaben noch Änderungsbedarf? 
       
       Das Hauptproblem des Vorhabens ist, dass weiterhin Profite in
       Krankenhäusern gemacht werden könnten. Und es stellen keine Regelungen
       sicher, dass Personalkosten kostendeckend finanziert werden. Wir haben ja
       bei der Pflege am Bett die sogenannte Kostendeckung. Ein wirklicher
       Fortschritt wäre es gewesen, wenn man das auf weitere Berufsgruppen
       ausgeweitete hätte – Ärzte, Physiotherapeuten oder die Verwaltung zum
       Beispiel. Dann würden Krankenhäuser also das Geld kriegen, was sie auch
       wirklich fürs Personal ausgeben. Genau das passiert aber nicht in dem
       Entwurf, und dadurch bleibt der Kostendruck auf Personal grundsätzlich
       erhalten.
       
       Aber Karl Lauterbach wollte doch explizit den finanziellen Druck auf das
       Personal verringern. Passiert das gar nicht? 
       
       Ich sehe das, ehrlich gesagt, in diesen Vorschlägen, so wie sie jetzt
       formuliert sind, nicht, dass der finanzielle Druck auf das Personal
       relevant abnimmt. Diese Finanzierung durch sogenannte Vorhaltepauschalen,
       die die bisherigen DRGs (das Fallpauschalensystem der Krankenhäuser; Anm.
       d. Red.) ergänzen sollen, sind ebenfalls keine Pauschalen für das Personal.
       Das ist auch Geld, das die Krankenhäuser dafür bekommen, dass sie bestimmte
       Leistungseinheiten vorhalten. Wie viel Personal sie dafür einsetzen, steht
       weiter im Belieben der Krankenhäuser. Der Anreiz, Leistungen mit möglichst
       geringen Personalkosten zu erbringen, bleibt.
       
       Die Reform greift mit dem Übergangsprozess frühestens in fünf Jahren. Die
       Situation ist aber gerade akut sehr angespannt. Wie könnte denn eine
       Regierung dem akuten Personalmangel begegnen? 
       
       Das Erste wäre, jetzt möglichst schnell eine umfassende Personalbemessung
       in den Krankenhäusern einzuführen, die auch möglichst schnell
       scharfzuschalten. Das heißt, dass sozusagen die Krankenhäuser sich wirklich
       danach richten müssen, wie viel Personal da ist, und dass dann genau
       geguckt wird, wie viel Leistung lässt sich eigentlich im Moment noch mit
       dem bestehenden Personal erbringen. Eine schwierige Entscheidung, vor der
       wir jetzt stehen.
       
       Was meinen Sie mit „schwieriger Entscheidung“? 
       
       Wir sind jetzt durch eine seit 30 Jahren neoliberale Gesundheitspolitik in
       eine Situation gekommen, in der wir es mit einem akuten Ressourcenmangel zu
       tun haben. Deswegen müssen wir jetzt Entscheidungen darüber treffen, wie
       wir jetzt die Krankanhauskapazitäten an dem vorhandenen Personal anpassen.
       Das steht im Spannungsfeld zum Versorgungsbedarf. Das ist das Problem.
       
       7 Dec 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR David Muschenich
       
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