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       # taz.de -- „Clan-Razzien“ im Visier: Linke sorgt für Recht und Ordnung
       
       > So genannte Verbundeinsätze sind rechtlich problematisch, finden aber
       > immer wieder statt. Jetzt schert Neuköllns Ordnungsstadträtin Sarah Nagel
       > aus.
       
   IMG Bild: Polizisten bei einem Verbundeinsatz in Neukölln im Jahr 2018
       
       Berlin taz | Sarah Nagel hat ein Problem. Seit die Linke vor gut einem Jahr
       in Neukölln zur Stadträtin für Ordnungsangelegenheiten gewählt wurde, haben
       Teile der Hauptstadtpresse sie auf dem Kieker. Grund: Wie andere in ihrer
       Partei sieht sie sogenannte „Clan-Razzien“ kritisch, die vor allem in
       migrantischen Betrieben wie Shisha-Bars durchgeführt werden. Vor ihrer
       [1][Wahl hatte sie angekündigt], diese diskriminierende Praxis zu stoppen.
       
       Nun hat sie erstmals durchgegriffen und die Teilnahme ihrer
       Mitarbeiter*innen an einem Verbundeinsatz von Polizei, Zoll und
       Ordnungsamt unterbunden. Bei dem sollte auch ein Restaurant durchsucht
       werden, wo zuvor eine Gewerbekontrolle des Ordnungsamts abgebrochen werden
       musste, weil Angestellte des Lokals aggressiv wurden. Ein gefundenes
       Fressen für die Journaille: „Neuköllner Stadträtin lässt Mitarbeiter nicht
       an Clan-Razzia teilnehmen“, schrieb die B.Z. Im Tagesspiegel hieß es gar:
       „Clan-Größe lobt Linken-Politikerin als ‚Ehrenfrau‘“. Der Subtext ist
       unmissverständlich: Eine Linke behindert den Kampf gegen das organisierte
       Verbrechen, die Clans lachen sich ins Fäustchen.
       
       Gegenüber der taz stellt Nagel nun klar: „Ich weise jeden Versuch der
       Vereinnahmung durch Kriminelle entschieden zurück.“ Das fragliche
       Restaurant werde bald erneut kontrolliert, verspricht sie, und betont: „Ich
       lasse es nicht zu, dass unsere Mitarbeiter*innen an ihrer Arbeit
       gehindert und bedroht werden.“ Und sie könnten „selbstverständlich“ die
       Polizei hinzuziehen, wenn dies nötig sei. Die Teilnahme an dem
       Verbundeinsatz habe sie jedoch unterbunden, weil sie Zweifel gehabt habe,
       dass die Aktion alleine dem Ziel der Gewerbeüberwachung diene.
       
       Hier trifft Nagel einen wunden Punkt, der von den Verfechter*innen
       solcher behördenübergreifender Einsätze bislang völlig ignoriert wird. So
       stellt eine kürzlich veröffentlichte Studie der Berliner Hochschule für
       Wirtschaft und Recht (HWR) im Auftrag der Senatsverwaltung für Wirtschaft
       fest, dass Verbundeinsätze zur Gewerbekontrolle nicht nur weitgehend
       ineffizient sind, was den Kampf gegen organisierte Kriminalität angeht.
       
       ## Gewerberecht als „trojanisches Pferd“
       
       Die Autor*innen der [2][“Organisationsuntersuchung zur Struktur und
       Praxis der Gewerbeüberwachung im Land Berlin“] kritisieren zudem, die
       Einsätze seien aus „rechtsstaatlicher Sicht problematisch“ – insofern
       gewerberechtliche Kontrollen nur das „trojanische Pferd“ für die
       polizeiliche Informationsgewinnung über mögliche kriminelle Aktivitäten
       sind. Diese Vermischung von Gewerbe- und Strafverfolgung sei „unzulässig“,
       halten die Autor*innen fest. „Das Gewerberecht ist kein Türöffner für
       die präventive Kontrolle von Straftaten“ ([3][taz berichtete]).
       
       Überdies führe diese Praxis dazu, dass bestimmte Gewerbe, „die als
       kriminogen eingeschätzt werden“, überdurchschnittlich oft kontrolliert
       werden, andere hingegen, etwa „Immobilienmakler:innen, Güterhändler:innen,
       Finanzanlagevermittler:innen“, kaum oder gar nicht. „Diese selektive
       Überwachungspraxis ist nicht im Sinne des Gewerberechts“, heißt es.
       
       So sieht es auch Sarah Nagel: „Ich möchte, dass die ganze Breite der
       Gewerbe abgedeckt wird und unsere Kontrollen verhältnismäßig und
       respektvoll ablaufen.“ Doch damit steht sie bislang offenbar alleine da. So
       habe sie sich bei einer Sitzung der Stadträte im Oktober erkundigt, wie der
       Umgang mit Einsätzen aussehen solle, die als rechtsstaatlich problematisch
       eingeschätzt werden. „Ich habe leider keine befriedigende Antwort
       bekommen“, sagt sie.
       
       Auch die Wirtschaftsverwaltung weiß offenbar noch nicht, wie sie mit den
       Erkenntnissen der Studie umgehen soll. Eine entsprechende Anfrage der taz
       blieb am Donnerstag bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
       
       ## Hikel hat „kein Verständnis“
       
       Im Bezirksamt sorgt Nagels neues Selbstbewusstsein für Diskussionen.
       Bislang war es Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD), der über den
       Einsatz von Nagels Leuten bei Verbundeinsätzen bestimmte. In seinem Büro
       sitzt die Koordinierungsstelle für öffentliche Sicherheit und Ordnung, die
       die Verbundeinsätze im Bezirk koordiniert und dafür auch auf Mitarbeitende
       des Ordnungsamts zurückgriff. „Ich wurde überhaupt nicht eingebunden,
       obwohl ich die politische Leitung des Amts bin“, sagt Nagel. „Das war
       einfach kein Zustand.“
       
       Darum habe sie kürzlich angewiesen, dass die Teilnahme von Mitarbeitenden
       ihres Amtes ab sofort ihrer Zustimmung bedarf – und dass solche Einsätze
       den rechtlichen Rahmen der Gewerbeüberwachung nicht mehr überschreiten
       dürfen.
       
       Eigentlich eine Selbstverständlichkeit – und doch eine Kampfansage an
       Hikel. Der lässt prompt über seinen Sprecher ausrichten, er habe für diese
       Anweisung „kein Verständnis“. Seiner Bezirksamtskollegin bescheinigte er
       ein „schwieriges Verständnis von Rechtsstaatlichkeit“, wenn sie darüber
       entscheide, „welcher Betrieb kontrolliert wird und welcher nicht“ – obwohl
       es Nagel darum ja gar nicht geht. Das Problem der fehlenden
       Rechtsstaatlichkeit von Verbundeinsätzen, die Gewerberecht und Strafrecht
       vermischen, sieht er schlicht nicht: „Es ist einfach falsch zu behaupten,
       hier würde geltendes Recht ignoriert.“
       
       9 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Linke-und-SPD-streiten-in-Neukoelln/!5809398
   DIR [2] https://www.berlin.de/sen/wirtschaft/wirtschaftsrecht/gewerberecht/gewerbeueberwachung/
   DIR [3] /Bekaempfung-von-Clan-Kriminalitaet/!5895850
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
       ## TAGS
       
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