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       # taz.de -- Grünes Wachstum: Der Schlüssel liegt im Süden
       
       > Den Kapitalismus abschaffen oder grünes Wachstum fördern? Was wir
       > Deutschen gegen die Klimakrise tun können.
       
   IMG Bild: Solarpannels in einer Fabrik in Johannesburg in Südafrika
       
       Das perfide Zusammenwirken von Ökologie und Ökonomie treibt uns in eine
       beispiellose Krise, auf die es zwei Antworten gibt, die beide völlig
       unbefriedigend sind: Postwachstumsökonomie (PWÖ) und Green New Deal. Zwei
       Auswege für eine im Grunde ausweglose Situation, die sich durch
       unkontrolliertes Wachstum und globalen Kapitalismus ergeben hat: Die
       Menschheit verbraucht viel mehr, als unsere Erde auf Dauer zu bieten hat.
       Die Vertreter der PWÖ entgegnen darauf: Schluss mit dem Wachstum, das uns
       die Krise eingebrockt hat! Nur verändertes Konsumverhalten senkt die
       Wachstumskurven wirklich. Wir dürfen den Bock des Wachstums nicht zum
       Gärtner machen und meinen, noch mehr „ergrüntes“ Wachstum würde uns retten.
       
       Genau das meinen Vertreter des Green New Deals. Sie setzen auf nachhaltiges
       Wachstum: technologische Innovationen und Marktwirtschaft, eventuell
       gepaart mit gezielten Verboten schädlichen Konsums. Man muss für dieses
       Modell nicht den Menschen und die Wirtschaft neu erfinden, es nutzt
       altbekannte Pfade, zum Beispiel den Egoismus des Homo oeconomicus,
       wenngleich auf lange Sicht.
       
       Dagegen protestieren die [1][Postwachstumsökonomen], nachhaltiges Wachstum
       sei unmöglich, besonders wegen der bekannten Bumerangeffekte. Diese treten
       auf, wenn wir beispielsweise ein einzelnes Auto effizienter als zuvor
       produzieren. Wenn so weniger Sprit pro Fahrt verbraucht wird, wird Auto
       fahren billiger, weshalb sich der Spritverbrauch der gesamten Flotte trotz
       sparsamerer einzelner Autos erhöht. Nur wegen dieses Schemas erkläre sich,
       weshalb unsere Klimagasemissionen auch dann steigen, wenn ein Produkt
       ökologisch effizienter als sein Vorläufer ist. Vertreter des Green New Deal
       kontern, dass man solche Entwicklungen durch globale Steuern vermeiden
       kann. Aber jeder weiß, wie schwer globale Steuern zu erheben sind.
       
       [2][Ulrike Herrmann] von der taz hat jüngst den Wachstumsoptimisten die
       Leviten gelesen. Es werde auch in Zukunft insbesondere in der Technologie
       zur Speicherung erneuerbarer Energien einen Engpass geben. Es sei
       ausgeschlossen, jemals genug Ökostrom zu erzeugen, um die Emissionen auf
       null zu senken und gleichzeitig die Wirtschaftsleistung weiterhin zu
       steigern. Weil der Kapitalismus ohne Wachstum nicht funktioniere, lasse
       sich die Klimakrise nicht lösen, ohne ihn abzuschaffen. Allerdings ist es
       nicht nötig anzunehmen, dass eine technische Unmöglichkeit an einem
       bestimmten Punkt das ganze grüne Wachstum dauerhaft aushebelt. Dazu sind
       unsere Ingenieure doch zu dynamisch. Zudem widerspricht Herrmann
       überzeugend Studien (etwa von Agora Energiewende), wonach grünes Wachstum
       billig und sogar ein Geschäft wäre, wenn es erst einmal damit losginge. In
       der Tat, der Green New Deal scheint größenwahnsinnig, wenn er davon
       ausgeht, nur fünf- oder zehnfaches Wachstum bringe uns aus der Krise, die
       wir dem Wachstum verdanken.
       
       Allerdings scheint mir die Alternative, die PWÖ, nicht gleichermaßen
       kritisch analysiert zu werden. Es gibt ein Recht auf ein würdevolles Leben
       und eine Wirtschaft ohne Armut. Die Frage ist: Wenn wir global nachholendes
       Wachstum brauchen, können wir im „Norden“ das nachholende Wachstum des
       „Südens“ ausgleichen? Wie viel müssten wir schrumpfen? Ich behaupte mal so
       viel, dass dies keine Akzeptanz bei uns finden würde, selbst wenn man ein
       Ende von Konsum und Erwerbsarbeit als Befreiung kommunizierte. Das zeigt
       die manische Diskussion der Energiekrise in diesem Winter, die
       schlimmstenfalls nur einen Bruchteil der Schrumpfung bedeuten würde, die
       uns eine PWÖ zumutete.
       
       Zudem braucht der Globale Süden hoch entwickelte Technik, damit er sauberer
       wachsen kann, als wir es getan haben. Dazu müssen wir innovativ wachsen.
       Zudem werden manche Länder im Globalen Norden (etwa die USA) genug grüne
       Energie für sich selbst produzieren können, anders als das energiearme
       Deutschland. Diese Länder werden niemals auf eine PWÖ umschwenken. Würden
       wir in Deutschland alleine den Konkurrenznachteil eines Wachstumsstopps in
       Kauf nehmen? Realisierbarer als eine völlig neue Wirtschaftsweise
       scheint es zu sein, die Prioritäten des Klimaschutzes in Deutschland neu zu
       ordnen.
       
       Die Energiewende im Inneren bindet viele Kapazitäten und ist für ein
       energiearmes Land wie Deutschland zwar nötig, aber schwierig. Wir könnten
       uns aussichtsreicher vorrangig im Süden betätigen und schnell und sicher
       Klimagase beseitigen, indem wir Kapital investierten, um den Regenwald oder
       die Moore zu schützen. Der ehemalige Präsident von Ecuador, Raffael
       Correa, hat 2007 angeboten, den Regenwald des Landes unangetastet zu
       lassen, wenn die Industrienationen für den Status quo bezahlten. Die
       Chance wurde vertan, aber lässt sich Derartiges nicht andernorts aufbauen?
       Wenn wir dort helfen und unsere eigene Energiewende weniger kapitalintensiv
       und europäischer ausgerichtet betreiben würden, würde Deutschland die
       globale Menge an Klimagasen effizient verringern. Diese gilt es
       schnellstmöglich zu verkleinern, auch um in Richtung Klimaneutralität mehr
       als die angestrebte Senkung der Emissionen um 2 Prozent des globalen
       Aufkommens zu erreichen – so groß ist Deutschlands Anteil an den globalen
       Emissionen.
       
       Gleichzeitig gilt es auch im Inland eine [3][Energiewende] einzuleiten. Und
       es gilt Techniken wie die Stahlproduktion mit grünem Wasserstoff zu
       entwickeln, die durch Installation in der Breite zukunftsfähig würden. Aber
       es bleibt wahr, dass die deutsche Energiewende immer ein primär
       symbolisches Projekt ist, denn es zielt auf lediglich 2 Prozent Reduktion
       der globalen Klimagase. Will Deutschland etwas über das Symbolische hinaus
       bewirken, muss es Klimaschutz global und außenpolitisch denken.
       
       9 Dec 2022
       
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