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       # taz.de -- Autorin Manja Präkels: „Den Schmerz spüre ich bis heute“
       
       > Die ostdeutschen „Baseballschlägerjahre“ in der Provinz hat die
       > Schriftstellerin selbst erlebt. Ein Gespräch über die Scham von Tätern
       > und Opfern.
       
   IMG Bild: Manja Präkels in Berlin-Kreuzberg
       
       taz: Frau Präkels, Provinz ist ein großes Thema Ihrer Essays. Was ist so
       faszinierend an der Provinz? 
       
       Manja Präkels: Na, ihre Allgegenwart. Real wie metaphorisch. Provinz ist ja
       auch weder per se gut noch schlecht. Sie bezeichnet etwas Begrenztes, ohne
       diese Grenzen genau zu benennen. Ich glaube, in dem Maße, in dem wir in der
       Lage sind, unsere eigenen Begrenztheiten anzuerkennen, sind wir auch in der
       Lage, sie zu überschreiten.
       
       Sie stammen selbst aus Zehdenick in Brandenburg, sind dann 1998 nach Berlin
       gezogen. Haben Sie ein schlechtes Gewissen der Provinz gegenüber, weil Sie
       weggegangen sind? 
       
       Ein Grundimpuls des Schreibens war, dass ich weggehen musste aus der Gegend
       – unfreiwillig. Damals wurde ich von organisierten Nazis bedroht, denen war
       ich ein Dorn im Auge. Ich habe als Lokalreporterin viel zum
       Nationalsozialismus und zu Rechtsradikalismus gearbeitet,
       antifaschistische journalistische Arbeit gemacht. Den Schmerz, von dort
       vertrieben worden zu sein, spüre ich bis heute. Es zieht mich immer noch
       nach Zehdenick. Ich bin zwar auch überzeugte Berlinerin, aber gleichzeitig
       von der Qualität des Wohnens auf dem Lande überzeugt. Ich mag beides, und
       ich brauche beides.
       
       Sie schreiben: „Provinz ist überall in Deutschland. Entlegene Landstriche
       bieten perfekte Bedingungen für die Hüter deutscher Tugenden. Frauen und
       Männer, die ihre Kinder mit Esoterik und Rassismus zu Volksdeutschen
       erziehen.“ Aber auch die Großstadt kann provinziell sein, oder? 
       
       Unbedingt. Ich habe hier Westberliner kennengelernt, die noch nie im Osten
       waren und Ostberliner, die noch nie im Westen waren. Berlin besteht zu
       einem nicht unwesentlichen Anteil aus Menschen, die aus den Provinzen der
       Welt geflohen sind, sie aber auch ein Stück weit mit sich herumtragen.
       Provinz im Sinne von Enge und fehlender Offenheit findet man auch in der
       Großstadt.
       
       Sie haben schon [1][in Ihrem Roman „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“]
       über Ihre Jugend im von Rechten dominierten Zehdenick geschrieben. In Ihrem
       neuen Buch – einem Essayband – schreiben Sie, im Gegensatz zur damaligen
       Zeit gebe es heute Menschen, die mit Willkommensinitiativen etwas
       dagegensetzten, und Geflüchtete, die sich selbst ermächtigten. 
       
       Ja. Das ist die eine Seite, das sehe ich inzwischen glücklicherweise
       überall. Ich bin mit dem Schnapskirschenbuch viel unterwegs gewesen,
       dadurch bin ich mit Menschen in Kontakt gekommen, die sich
       zivilgesellschaftlich engagieren. Gerade erst war ich bei der Verleihung
       des Sächsischen Förderpreises für Demokratie. Dort wurde eine Initiative
       aus Freital ausgezeichnet – aus der Stadt, die wegen Gewalttaten gegen
       Geflüchtete und [2][die rechtsterroristische Vereinigung Gruppe Freital] zu
       schrecklichem Ruhm gekommen ist. Dort gibt es jetzt eine Bürgerinitiative,
       in der sich Menschen unterschiedlichster Alters- und Berufsgruppen mit
       Geflüchteten solidarisieren. Für mich sind das die radikalen Humanisten von
       heute: Sie riskieren durch ihr Bekenntnis sehr viel in ihrer kleinen
       Gemeinde. Zudem gibt es auch Beratung von Geflüchteten für Geflüchtete im
       Osten. Diese Art der Selbstermächtigung wäre in den Neunzigern nicht
       denkbar gewesen. In Westdeutschland, so scheint es mir, werden dagegen
       postmigrantische Generationen langsam selbstverständlicher.
       
       Und was ist die andere Seite? 
       
       Andererseits sehe ich auch eine alarmierende Entwicklung. In den
       vergangenen Wochen und Monaten wurden wieder mehr Geflüchtete und Heime
       angegriffen. [3][Auf den Montagsdemos] gehen „normale Bürger“ und auch
       solche, die sich als links verstehen, gemeinsam mit Neonazis auf die
       Straße. Einmal mehr findet eine unrechtmäßige Aneignung des Widerstands von
       1989/90 statt. Da gibt es Kommunen, die sich mit Briefen an die
       Bundesregierung wenden und sagen: Wir wollen keine Flüchtlinge mehr.
       Skandalös, aber wahr.
       
       Sie leisten ja auch antirassistische Bildungsarbeit in Schulen. Was erleben
       Sie dort? 
       
       Erst kürzlich habe ich einen Alarmanruf von einer Schule bekommen. Dort
       hat man es mit einer selbst ernannten rechtsradikalen Bruderschaft zu tun.
       Da gibt es Kinder, deren Eltern sie so indoktriniert haben, dass sie ganz
       starken Einfluss nehmen in der Schülerschaft. Da fragt man mich um Rat.
       
       Aber Sie erleben sicher auch Mut machende Dinge. 
       
       Klar. Ich war neulich im Schulmuseum in Leipzig, in der ehemaligen
       Stasizentrale. Da waren zwei Schulklassen, eine neunte und eine elfte
       Klasse, beide haben durchweg interessiert zugehört und viele Fragen
       gestellt. Die Jüngeren interessiert es, was da 1989/90 überhaupt passiert
       ist und was das mit ihnen zu tun hat.
       
       Bei Lesungen sind Sie mit Tätern und Opfern [4][aus den sogenannten
       Baseballschlägerjahren] ins Gespräch gekommen. Wie war das?
       
       Dass die Opfer zu meinen Lesungen kommen würden, war mir klar. Das ist fast
       so ein bisschen wie Klassentreffen: Man hat ähnliche Geschichten zu
       erzählen und ist froh, dass man sie jetzt erzählen kann. Dass auch frühere
       Täter kommen würden, hatte ich nicht vermutet. Aber eigentlich ist es gar
       nicht so verwunderlich: Nicht jeder, der damals mitgemacht hat, war
       wirklich durchdrungen von rechtsextremer Ideologie. Viele Jugendliche sind
       in die rechte Szene hineingerutscht, weil das damals cool und Pop war,
       haben sich radikalisiert und ihren Wutstau in diese Richtung gelenkt.
       Schambehaftet ist es letztlich für alle. Es ist sowohl schmerzhaft zu
       sagen: Ich war die, die immer gejagt wurde, als auch zu sagen: Ich war der,
       der gejagt hat.
       
       Ist das für Sie tatsächlich schambehaftet? Sie gehörten schließlich zu
       denen, die die Nazis bekämpft haben.
       
       Die Nazis waren auf der Gewinnerseite. Den Gewinner schaut jeder gerne an,
       aber von jemandem, dem etwas Schreckliches passiert ist, wenden sich die
       meisten intuitiv ab. So funktionieren Gemeinschaften leider allzu oft. Und:
       Man konnte sich selbst retten, aber andere nicht. Ich habe mich neulich mit
       Angehörigen eines Opfers rechter Gewalt getroffen, diese stark
       traumatisierten Menschen suchten Austausch. Es war ein wichtiges und
       offenes Gespräch. Aber die Scham saß uns allen in den Knochen. Der Gedanke:
       Warum haben wir das nicht verhindern können?
       
       Konnten Sie sich damals körperlich wehren? 
       
       Dazu war ich vom Kopf her gar nicht in der Lage. Körperlich schon, ich
       hatte zwei Jahre Judo trainiert. Aber ich konnte einfach nicht meine Hand
       gegen jemanden erheben. Auch eine schreckliche Erfahrung: sich wehren zu
       wollen und das nicht hinzubekommen.
       
       Zuletzt sind [5][eine Reihe von Büchern über die „Baseballschlägerjahre“
       erschienen]. Braucht es eigentlich eine ganz andere Erinnerungspolitik in
       Deutschland bezüglich der neunziger Jahre? 
       
       Vieles ist schon im Gange. Die Ostdeutschen müssen sich über die
       Generationen hinweg miteinander ins Verhältnis setzen und über die DDR, die
       Neunziger sprechen. Sich gegenseitig zu erzählen, was seinerzeit eigentlich
       los war, ist die Basis, um wieder zusammenzufinden. In Westdeutschland ist
       das größte Problem nach wie vor Ignoranz. Die Nachwendezeit muss
       eingeordnet und didaktisch aufbereitet werden.
       
       In Ihrem Buch schreiben Sie: „Die 90er haben alle Bänder zerschnitten, die
       losen wie die gewaltsam festgezurrten, und sind nicht vergangen.
       Erinnerungen blitzen aus heiterem Himmel, mal aufgeladen mit Schrecken, mal
       mit Euphorie.“ 
       
       So habe ich das empfunden. Ich wurde immer wieder als Nestbeschmutzerin
       angefeindet. Du beschädigst das Image der Stadt, hieß es dann. Ich habe
       noch keinen Frieden damit gemacht. Aber ich habe Geduld und bin mir sicher,
       dass sich Dinge nicht dauerhaft verleugnen und verdrängen lassen. Mag es
       auch erst die nächste Generation sein, die dafür sorgt.
       
       Noch feiert die AfD die größten Wahlerfolge im Osten. 
       
       Ja. Mit Westpersonal. Das ist doppelt bitter. Es gibt einfach immer noch zu
       wenige positive Demokratieerfahrungen im Osten. Aufstiegserzählungen, wie
       es sie in der BRD gab, fehlen in Ostdeutschland fast komplett. Das
       westdeutsche Modell ist das Normalmodell, der Osten die schlechte Kopie,
       die ärmere zudem, die Billigausführung. Warum gehen denn immer noch so
       viele fort? Was nützen voll sanierte Innenstädte, die sich keiner leisten
       kann? Zu den Lohnunterschieden kommen strukturelle Probleme. An vielen
       Orten gibt es zu wenige Beteiligungsmöglichkeiten für die Bewohner. Die
       Verwaltungen und Strukturen schließen die Menschen aus, statt sie
       einzubinden. Die AfD würde daran zwar gar nichts ändern, punktet aber mit
       Kümmerkompetenz und bestätigt dabei die Leute in ihren Ressentiments. Das
       muss sich dringend ändern.
       
       Und die zivilgesellschaftlichen Initiativen werden zu wenig unterstützt? 
       
       Oder gar kriminalisiert. Der Vorwurf, linksradikal zu sein – der steht
       immer schnell im Raum, ja, Antifaschismus wird teilweise sogar synonym mit
       Linksextremismus verwendet. Das ist schrecklich. Und auch die
       Förderpolitik, die seit Jahrzehnten betrieben wird, ist eine Katastrophe.
       Jedes Jahr müssen Initiativen neue Gelder beantragen, sich neue Konzepte
       ausdenken. Dabei bleibt der Förderbedarf eigentlich immer gleich. Aber
       dauerhafte finanzielle Unterstützung und Absicherung gibt es für sie nicht.
       
       Noch mal zurück zu den Neunzigern. Sie schildern, wie Angela Merkel als
       Bundesministerin für Frauen und Jugend damals Jugendklubs für ihre
       akzeptierende Jugendarbeit gefördert hat. Treffpunkte für Nazis wurden so
       unterstützt. Hat die Nachwende-BRD Nazis subventioniert? 
       
       Im Osten wendete man die im Westen erprobten Modelle einfach eins zu eins
       an. Ohne zu schauen, wie die Bedingungen sind. Das war fatal. Die
       Jugendarbeit bewirkte das Gegenteil dessen, was sie eigentlich erreichen
       wollte. Auch [6][Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt] haben sich
       in einem geförderten Jugendklub getroffen. Die konnten da ihre Naziflyer
       drucken und ungestört Propaganda machen.
       
       Worin liegen heute die größten strukturellen Probleme? 
       
       Es gibt eine riesige Bildungsmisere im Osten, auf dem Land, aber nicht nur
       da. Die Lehrerkollegien sind oft überaltert und übermüdet. Sie bekommen
       weniger Geld als im Westen, arbeiten teilweise in unsanierten Gebäuden,
       die ganze Infrastruktur stimmt nicht. Vielerorts gibt es weit und breit
       keine Kulturangebote. Also, es gibt vielleicht irgendwo ein Theater, aber
       da müsste man hinfahren. Fährt ein Bus? Nein. Können wir einen mieten?
       Vielleicht. Und dann sitzt da ein Deutschlehrer, der sagt: Ich würde so
       gerne mit meinen Schülern ins Theater gehen; ich hab alles durchgerechnet –
       ist schlichtweg zu teuer. All diese Kopf und Herz erweiternden kulturellen
       Erfahrungen finden also nicht statt. Auch Homeschooling war in den
       diversen Lockdowns zum Teil nicht möglich, weil es einerseits überall
       Funklöcher gibt und andererseits viele Kinder gar keinen Zugang zu den
       nötigen Endgeräten haben. Ohnehin schon abgehängte Gegenden geraten so noch
       weiter ins Hintertreffen. Ich sehe da katastrophische Zustände. Und ich
       sehe Leute, die tapfer damit klarzukommen versuchen. In diese prekäre Lage
       stoßen Rechtsextreme gezielt, um ihre Idiotie zu verbreiten.
       
       Sie haben kürzlich auf einer Veranstaltung gesagt, dass Sie sich in manchen
       Gesprächsrunden als Wessi fühlten. Wie kommt das? 
       
       Vor allem auf Reisen fühle ich mich als Westdeutsche oder besser
       Westeuropäerin. Wenn man etwa [7][nach Transnistrien] einreisen will,
       was heute gar nicht mehr möglich wäre, stellt man fest, dass man mit einem
       deutschen Pass viel besser dran ist als die Menschen, die da leben.
       Moldawier oder Transnistrier verhalten sich beim Grenzübertritt gegenüber
       den russischen Soldaten ganz unterwürfig und werden dennoch drangsaliert.
       Von uns wollten die Grenzer zwar ein „Präsent“, aber am Ende wurden wir
       einfach durchgewunken. Denn in diesem von Russland besetzten Landesteil
       Moldawiens, der von Deutschland offiziell nicht anerkannt wird, gibt es
       Niederlassungen von Mercedes, Adidas und so weiter.
       
       Aber fühlen Sie sich als Akademikerin und Schriftstellerin auch manchmal
       privilegiert gegenüber anderen Ostdeutschen?
       
       Statt von Privileg würde ich von Entfremdung sprechen. Das fängt schon
       damit an, dass ich Hochdeutsch spreche. Hab ich mühevoll gelernt. Mein Mann
       und Autorenkollege Markus Liske ist Westdeutscher, er war der erste
       „Wessi“, der in unsere Familie kam, und er wurde auch dementsprechend
       behandelt. Als er bei uns zu Hause kochte, sind meine Verwandten fast
       ausgeflippt. Ein Mann, der kocht! Der kann doch eigentlich nur schwul sein.
       Das hatte aber eher mit Milieu als mit Ost oder West zu tun. Es gibt auch
       in seiner Westfamilie merkwürdige Geschlechtervorstellungen.
       
       Wie unterschiedlich haben Sie das Alltagsleben empfunden? 
       
       Interessant fand ich Spielabende in der Familie. Hier wie dort wurde Rommé
       gespielt, getrunken und sich unterhalten. Eine selbstgerechte
       Familienerzählung Marke West lief aber immer darauf hinaus, wie toll etwas
       war. Das waren Geschichten von schönen Urlauben, Welteroberungs- oder
       Erfolgsgeschichten. In meiner Familie wurde viel weniger geredet, und wenn,
       dann ging es eher um traurige Erinnerungen. Um etwas, das fehlte. Um
       Defizite.
       
       Ostdeutsche Heldengeschichten sind heute andere, es sind eher Erzählungen
       der krisenerprobten Ostdeutschen. Sie schreiben über den Autoaufkleber
       „Ostdeutschland – natürliche Härte“ … 
       
       Ja, das sind so stiernackige Männer, die heute mit ostdeutscher Härte
       herumspinnen. Ich finde diese Erzählung merkwürdig und irritierend. Sie
       spiegelt eine soziale Katastrophe, auch Sprachlosigkeit, die nur noch
       Körper zulässt und verhärtet. Dieser Osthärtemythos war ja auch nicht von
       Anfang an da. Zum Glück verfängt das bei vielen auch nicht. Traurig finde
       ich an solchen Identitätserzählungen, dass gar nicht versucht wird oder
       werden kann, an das utopische, progressive, selbstermächtigende Potenzial
       anzuknüpfen, das 89/90 auch mit sich brachte. Oder gar an eine
       osteuropäische Erzählung anzudocken – ich treffe immer wieder Leute in
       Osteuropa, die die DDR kannten oder mal dort waren. Auch der schreckliche
       Krieg in der Ukraine wäre eine Möglichkeit, sich damit auseinanderzusetzen.
       
       Was den Krieg betrifft: Die Sympathie für Putin ist im Osten größer, die
       Erzählung, die Nato sei schuld an dem Krieg, findet im Osten mehr
       Zustimmung. War oder ist man im Osten noch blinder und tauber für den sich
       abzeichnenden russischen Faschismus? 
       
       Nein, da gibt es Expertise. Und klar gibt es Putin-Bewunderer, vor allem
       unter Männern. Endlich wieder groß und stark und eine Autorität sein – ein
       Traum! Aber ein Großteil der Menschen, denen ich begegne, denkt anders.
       Diese leider viel zu leisen Leute treffe ich bei Lesungen. Ich habe zum
       Beispiel den Text „Im schönsten Wiesengrunde“ geschrieben, in dem ich mich
       mit meinem widersprüchlichen, gebrochenen Verhältnis zu Russland
       auseinandersetze. Wenn ich den vorlese, kommen öfter Menschen zu mir,
       bedanken sich und können viel davon nachvollziehen. Über die Ideologie, die
       hinter dem Sowjetreich stand, also zum Beispiel Sprachen und Kulturen zu
       unterdrücken, wurde aber in Ostdeutschland bis heute zu wenig gesprochen.
       Letztlich ist es Blindheit vor der eigenen Geschichte.
       
       Wie würden Sie denn Ihr persönliches Verhältnis zu Russland beschreiben? 
       
       Für mich war Moskau sehr lange ein Sehnsuchtsort. Ich wollte da immer mal
       hin. Aber nach dem Tschetschenienkrieg war das nicht mehr möglich für
       mich. Ich glaube, da bin ich nicht die Einzige. Es gibt eine Menge kluger
       Leute, die damals erkannt haben, was sich dort entwickelt.
       
       In Bezug auf die DDR schreiben Sie auch über die Anerkennung von Frauen in
       sogenannten Männerberufen, die dort seinerzeit besser war. 
       
       Das ist für mich ein beeindruckender Aspekt dieses Systemwechsels. Zur
       Wendezeit war ich 15 Jahre alt. Ich wollte zunächst kein Abitur machen,
       weil ich nach den Erfahrungen in der DDR jedem Lehrstoff misstraute. Ich
       wollte etwas mit den Händen machen. Ich hatte ein super Zeugnis, bin ein
       praktischer Mensch, es gab also keinen Grund, mich abzulehnen. Doch ich
       kassierte reihenweise Absagen.
       
       Und warum wurden Sie abgelehnt, was war der Grund? 
       
       Abgelehnt wurde ich mit der Begründung: Wir stellen nur noch Jungs ein. Das
       war deprimierend. Noch schlimmer war es für die Mädchen, die nicht die
       Möglichkeit hatten, Abi zu machen. Die bekamen nach der zehnten Klasse
       angeboten, Hauswirtschaft zu lernen. Hauswirtschaft! Wir wussten gar nicht,
       was das ist. Ein Beruf? Wir kannten Frauen, die konnten Traktoren
       auseinandernehmen und wieder zusammenbauen. Das waren unsere role models.
       
       Gerade arbeiten Sie an Ihrem zweiten Roman. Worum wird es gehen? 
       
       Eigentlich um all das, was wir gerade besprochen haben. Um das
       Spannungsverhältnis zwischen Stadt und Land zum Beispiel. Mehr wird nicht
       verraten. Bringt Unglück.
       
       4 Dec 2022
       
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