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       # taz.de -- Wohnen im Weltall: Häuser aus Eis und Staub
       
       > Wie könnten Astronaut:innen auf dem Mars leben? Space-Architekt:innen
       > designen Gebäude aus Mondsand und ringen mit kosmischer Strahlung.
       
   IMG Bild: Architektur unter Extrembedingungen: ein mögliches Habitat auf dem Mars
       
       Wie riesige Muscheln aus Stahl glitzern die Häuser vor den Kratern des Mars
       im Sonnenlicht. Ihre gewölbte panzerartige Fassade schützt die
       Astronaut:innen vor der Strahlung und Kälte des Alls. Was klingt wie
       eine Science-Fiction-Fantasie, wird tatsächlich immer greifbarer: Von einer
       Raumstation in der Umlaufbahn des Mondes aus plant die Nasa mit der
       Artemis-Mission [1][erste Astronaut:innen auf den Mars] zu schicken.
       Auf der Mondoberfläche soll dafür eine Forschungsbasis errichtet werden –
       ein Zuhause für Forscher:innen in der Ferne. Folgen irgendwann auch
       Gebäude auf dem Mars?
       
       Michael Morris beschäftigt sich damit, wie solche Gebäude aussehen können.
       Der 60-jährige Space-Architekt teilte seine Leidenschaft für das Weltall
       mit seiner verstorbenen Frau Yoshiko Sato. Gemeinsam etablierten sie die
       Disziplin Space-Architektur an der Columbia University in New York und
       brachten damit die Fächer Ingenieurwesen und Astrophysik mit Innendesign
       und planetarer Geologie zusammen.
       
       Nach Satos Tod wollte Morris das Erbe seiner Frau fortsetzen. Mit
       ehemaligen Studierenden gründete er das Architekturbüro SEArch+, das daran
       arbeitet, dass Menschen auf anderen Planeten nicht nur überleben,
       sondern wohnen – und sich wohlfühlen.
       
       Für den ersten menschlichen Außenposten auf dem Mond hat sich die Nasa den
       [2][wasserreichen Südpol] ausgesucht. Während im Innern des Kraters völlige
       Finsternis und eisige Kälte herrschen, ist es an der Oberfläche heiß. Dazu
       kommt tödliche galaktische Strahlung. Wie macht man es sich an so einem Ort
       gemütlich?
       
       „Den Prozess, aus einem Habitat ein Zuhause zu machen, nennen wir
       Outfitting. Dabei versuchen wir die menschlichen Bedürfnisse nach
       Sicherheit, aber auch nach individuellem Ausdruck und Ästhetik zu
       erfüllen“, sagt Michael Morris. Er und seine Kolleg:innen haben dafür
       zum Beispiel ein schneckenförmiges Treppenhaus entworfen, das gleichzeitig
       als Garten dient. Die Pflanzen produzieren nicht nur Sauerstoff, sondern
       sollen auch eine beruhigende Wirkung auf die Bewohner:innen haben und
       sie an die Natur der Erde erinnern. Mit den Entwürfen hat SEArch+ 2019 den
       Architekturwettbewerb der Nasa gewonnen.
       
       Auch das Ice House, ein Gebäude aus gefrorenem Wasser, in dem Menschen
       wohnen und Pflanzen züchten könnten, verbindet Komfort und
       überlebenswichtige Funktionen: „Wasser bildet einen natürlichen
       Schutzschild vor der galaktischen Strahlung und lässt gleichzeitig
       natürliches Licht in den Lebensraum eindringen, so dass die Menschen, die
       in dieser Welt Aliens sind, immer noch mit unserer Sonne verbunden sind“,
       sagt Morris’ Kollegin Christina Ciardullo über ihren Lieblingsentwurf.
       
       Morris’ verstorbene Frau Yoshiko Sato prägte die Entwürfe mit den
       Prinzipien der japanischen Architektur: kleine, flexibel nutzbare Räume,
       Minimalismus und eine übersichtliche, harmonische Farbpalette. Anders als
       im traditionellen japanischen Design gibt es in den Weltall-Habitaten aber
       keine scharfen Ecken und Kanten, weil sich Bakterien in Nischen wohlfühlen.
       Die runden Wände sind schneeweiß: So wirkt eine Kajüte optisch größer –
       aber auch ziemlich kalt.
       
       ## Regisseure beeinflussen die Weltraum-Architektur
       
       Die großen filmischen Vorbilder für Space-Design aus den 1960ern und
       1970ern, „Odyssee im Weltall“ von Stanley Kubrick und „Solaris“ von Andrei
       Tarkowski, beeinflussen die Weltall-Architektur bis heute, sagt Morris.
       Andrei Tarkowski war kein Fan von Kubricks sterilen, krankenhausartigen
       Raumschiffen und grellen Lichtern, stattdessen spielte der russische
       Regisseur mit Texturen und Farben. Entsprechend gibt es auch im russischen
       Teil der Internationalen Raumstation Grün- und Brauntöne, Aquarellmuster
       und religiöse Ikonen. Morris vermutet, dass „Farbe und interkulturelle
       Perspektiven beim Design für das Weltall eine immer größere Rolle spielen
       werden“.
       
       Barbara Imhof glaubt nicht, dass auf Sterilität im All verzichtet werden
       wird. Die Mitgründerin der Firma Liquifer in Wien ist eine ehemalige
       Schülerin von Yoshiko Sato. Die Space-Architektur ist eine kleine Welt,
       jeder kennt jeden. Mit ihren Kolleg:innen arbeitet Imhof an Designs für
       die Raumstation des Mondes. „Wir haben schon mit aufblasbaren Modulen
       experimentiert, aus Textilien wie Gore-Tex, deren Faltstruktur wir anhand
       einer Farbigkeit aus Blautönen abbilden wollten, um ein Muster zu
       erzeugen“, erzählt Imhof. „Aber eine Farbe hat man schnell satt. Wie macht
       man es allen recht?“
       
       Viele Astronaut:innen würden weiße Wände bevorzugen: Auf hellen Flächen
       erkennt man Schimmel am schnellsten. Im Weltall kann das Leben oder Tod
       bedeuten. Statt farbigen Wänden könnten virtuelle Fenster und
       Lichtprojektionen für persönlichere Räume sorgen.
       
       ## Dreck im 3D-Drucker
       
       Aber woraus baut man die Weltallhabitate? Materialien von der Erde ins All
       zu schleppen, würde Platz und Energie verbrauchen – und Mond und Mars mit
       fremden Substanzen kontaminieren. Deshalb arbeitet SEArch+ mit Stoffen, die
       sich auf der Oberfläche von Mars und Mond finden. Im Wesentlichen: Dreck.
       Aus dem Mond- oder Marssand werden Ziegel geschmolzen, die durch 3D-Druck
       in Form gebracht werden.
       
       Dazu kommt die Frage, ob wir durch den Bau der Weltraumhäuser nicht wieder
       unsere Spuren hinterlassen, die fremden Himmelskörpern schaden könnten.
       Michael Morris hat das bedacht: „Alle Gebäude auf Mars und Mond müssen
       temporär gedacht werden, nicht für die Ewigkeit. Sie müssen im Rahmen einer
       Kreislaufwirtschaft funktionieren und abbaubar sein, ohne die Oberfläche
       der Planeten zu schädigen.“ Als Ire, dessen Land jahrhundertelang von
       England ausgebeutet wurde, sei es ihm wichtig, kein koloniales Erbe zu
       hinterlassen.
       
       Für ihre Habitate bauen SEArch+ und Liquifer gerade Prototypen auf der
       Erde, in denen Testpersonen das Leben im Weltall simulieren sollen. Ob ihre
       Entwürfe einmal im Weltall stehen werden, ist nicht klar. Die komplexe
       Technologie und die immer größer werdende Anzahl von Wettbewerbern im
       [3][Rennen ums All] machen Architekturprojekte zu einem
       Generationenprojekt. Morris stört das nicht: „Wir verstehen uns als eine
       Art Thinktank. Wir wollen, dass mit unseren Ideen Menschen noch lange nach
       uns weiterarbeiten können.“
       
       4 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Morgane Llanque
       
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